August 22, 2013 welt.de
Wenn ukrainische SS-Veteranen ihre Division feiern
Von Florian Stark

Eine Zufallsentdeckung in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota warf unlängst wieder einmal ein Schlaglicht auf ein schwieriges Kapitel der ukrainischen Geschichte. Journalisten der Nachrichtenagentur "Associated Press" spürten einen Mann mit Namen Michael Karkocauf. 1919 in Luzk im Nordwesten der Ukraine geboren, war er 1949 in die USA eingewandert. Während des Zweiten Weltkrieges soll Karkoc zunächst der "Ukrainischen Selbstschutz-Legion" angehört haben und später in die 14. Waffen-SS-Grenadier-Division "Galizien" eingetreten sein.

Auch wenn er den bisherigen Recherchen zufolge nicht im Apparat der NS-Vernichtungslager Dienst tat, drängt sich der Vergleich zum Fall des im KZ Sobibor eingesetzten Hilfswilligen der SS John (Iwan) Demjanjuk auf, der 2011 wegen Beihilfe zum Mord in Tausenden Fällen in München verurteilt worden ist. Auch Demjanjuk war Ukrainer und soll kurze Zeit im Verband der sogenannten Wlassow-Armee auf deutscher Seite gekämpft haben.

Die Kollaboration mit den Deutschen während des Zweiten Weltkrieges ist in der Ukraine der Gegenwart ein heikles Thema. Auch führende Politiker sind sich uneins, ob die damaligen Kollaborateure nun als Helden zu betrachten sind oder als Verbrecher. Damit liefern sie ein Spiegelbild der Gesellschaft. Als unlängst Veteranen den 70. Jahrestag der Gründung der 14. Waffen-SS-Division "Galizien" feierten, waren auch zahlreiche jüngere Leute dabei. Höhepunkt war eine nachgestellte Beisetzung von früheren Mitgliedern der Einheit, die Särge bedeckt mit der ukrainischen Flagge, vor der Kameraden in SS-Uniformen salutierten.

Nicht ein einziger Kriegsverbrecher wurde seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 angeklagt und vor Gericht gestellt, sagt Efraim Zuroff vom Simon Wiesenthal Zentrum. "Die Bemühungen – eher sind es Nicht-Bemühungen – der Ukraine, Kriegsverbrechen zu verfolgen, sind ein totaler Fehlschlag. Sie haben nichts gemacht."

"Ich habe für mein Vaterland gekämpft"

In anderen osteuropäischen Staaten, zum Beispiel Lettland, Estland oder Weißrussland, sei es ähnlich gelaufen. Nach Ansicht von Experten wurden NS-Kollaborateure vor allem deshalb geschützt, weil sie gegen die Sowjets kämpften, die von einem Großteil der Bevölkerung als größerer Feind empfunden wurden als die Deutschen.

So sehen sich frühere Mitglieder der Division "Galizien" bis heute als Freiheitskämpfer. "Ich habe für mein Vaterland gekämpft und für mein Volk", sagt der 86-jährige Jewhen Kuzik, der als 16-Jähriger zu der Einheit stieß. Er habe Berge von Leichen unschuldiger Männer, Frauen und sogar Kinder gesehen, die die Sowjets zurückgelassen hätten, berichtet er am Rande der "Galizien"-Gedenkfeier außerhalb von Lemberg (Lwiw) im Westen der Ukraine. Nach dem Krieg verbrachte er zwölf Jahre in einem sowjetischen Arbeitslager.

"Die Ukraine ist in unserer Seele und in unserm Herzen", erklärt Michailo Jamulik, ebenfalls Veteran. "Diejenigen, die sagen, wir hätten eine deutsche Uniform getragen – ja, das haben wir, und wir haben deutsche Waffen benutzt – aber unsere Herzen sind voll mit ukrainischem Blut." Nicht umsonst hat der nach Minneapolis emigrierte Michael Karkoc seine Vergangenheit in seinen Memoiren gelüftet, die er 1995 in der Ukraine veröffentlichte.

Egal auf welcher Seite die damaligen Soldaten kämpften: Alle bekommen heute eine staatliche Pension. In der Politik ist man sich nicht einig, wie mit früheren Kollaborateuren umgegangen werden sollte: Der westlich orientierte Ex-Präsident Viktor Juschtschenko, der das Land von 2005 bis 2010 führte, würdigte sie als Helden. Der derzeitige Präsident Viktor Janukowitsch, der Russland nahesteht, lehnt das ab.

Einsatz bei der "Bandenbekämpfung"

Janukowitsch hat seine Anhänger überwiegend im Osten der Ukraine, wo bis heute jedes Jahr der Sieg der Roten Armee über Hitler-Deutschland gefeiert wird. Im Westteil des Landes dagegen genießen die Nationalisten, die an der Seite der Deutschen kämpften, hohes Ansehen. Zum Teil wurden sogar Straßen nach ihnen benannt.

Dabei sind sich viele Historiker einig, dass eine Reihe von ihnen an Verbrechen der Nazis unmittelbar beteiligt waren. Die "Ukrainische Selbstschutz-Legion", in der Michael Karkoc als Leutnant diente und dabei sogar ausgezeichnet worden sein soll, war vor allem bei der "Bandenbekämpfung" im Hinterland der Front eingesetzt. Sicher ist, dass sie Ende 1943 in der Nähe von Luzk ein Massaker veranstaltete. Auch bei Deportationen von Juden in das Vernichtungslager Belzec war sie offensichtlich beteiligt.

Auch die Waffen-SS-Division "Galizien" gehörte zu den Einheiten, die oft in der "Partisanenbekämpfung" eingesetzt wurden. Ihre Beteiligung am Massaker von Huta Pieniacka in Ostpolen im Februar 1944 gilt als sicher.

Nicht alle Nationalisten waren Kollaborateure

Wie schwierig die Erinnerung an die Frontstellungen des Zweiten Weltkriegs immer noch ist, zeigte unlängst die Gedenkveranstaltung an den 70. Jahrestag des Massakers von Wolhynien. Im Juli 1943 hatten Kämpfer der "Ukrainischen Aufstandsarmee" von Polen besiedelte Ortschaften in Wolhynien im Nordwesten der Ukraine angegriffen. Ziel war es, damit den ukrainischen Anspruch auf das zu Polen gehörende Gebiet untermauern zu können. 100.000 Polen sollen dabei ums Leben gekommen sein, auf 10.000 werden die ukrainischen Opfer der Vergeltungsaktionen gezählt. Nur mit Mühe konnten sich die Kirchen beider Länder im Juli auf eine gemeinsame Erklärung einigen.

Mittlerweile sind die Archive mit Zeugenaussagen und Dokumenten zu den Ereignissen im Zweiten Weltkrieg zugänglich. "Nicht alle Nationalisten waren Kollaborateure der Nazis. Genauso wenig waren alle Helden", sagt Anatoli Podolski vom Ukrainischen Zentrum für Holocaust-Forschung. Er spricht sich für eine umfassende Untersuchung der Kriegsverbrechen aus, die von Nazis begangen wurden. Ebenso müssten auch Verbrechen untersucht werden, die die Sowjets begangen hätten, fordert er.

Nur so lässt sich nach Ansicht von Experten unterbinden, was in den vergangenen Jahren immer offensichtlicher geworden ist: Junge Rechtsextremisten tauchen bei den Gedenkveranstaltungen der Nationalisten auf, verwenden Symbole der Nazis und verherrlichen Kriegsverbrechen und -verbrecher.

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