23. Juli 2015 19:53 Uhr nordschleswiger.dk
Kein Schlussstrich
Siegfried Matlok

Der Sheriff ritt in die Stadt: So ähnlich mögen manche gedacht haben, die vor laufenden Kameras erlebten, wie „der letzte Nazi-Jäger“ vor der Polizeiwache City Station am Halmtorvet in Kopenhagen Station machte, vor die Presse trat und mitteilte, dass er soeben Strafanzeige gegen einen 90-jährigen Dänen erstattet hatte, dem die Beteiligung am Mord jüdischer Bürger im weißrussischen Bobruisk zur Last gelegt wird.

Es wirkte medienmäßig auch wie ein Stunt, aber der Hintergrund ist leider ernst, bitterernst. Gegen den 90-jährigen Helmuth Leif Rasmussen, der seit Jahrzehnten unter einem neuen Namen in Dänemark lebt, soll nun Anklage erhoben und damit ein neues Kapitel der dänischen Vergangenheit aufgeschlagen werden. DF, selbst dem rechten Spektrum zuzuordnen, fordert vom neuen Justizminister Søren Pind, was Vorgängerin Mette Frederiksen abgelehnt hatte. Ein Verfahren zu eröffnen,um den Dänen die Augen zu öffnen, damit das historische Glanzbild korrigiert werden kann. Bei aller Bewunderung für die Rettung der rund 8.000 dänischen Juden im Oktober 1943 dürfe nicht vergessen werden, dass es auch Dänen gegeben hat, die im Dienste Hitlers auch an der Ermordung von Juden mitgewirkt haben, so Efraim Zuroff, israelischer Historiker amerikanischer Abstammung, der als Direktor des Simon-Wiesenthal-Centers weltweit als Koordinator bei der Verfolgung von Nazi-Kriegsverbrechern agiert und zuletzt sogar eine Belohnung von 25.000 Dollar für Hinweise zur Aufklärung ausgesetzt hat. 
Zuroff ist nicht allein; ihm zur Seite stehen der anerkannte dänische Holocaust-Forscher Therkel Stræde und der Historiker am „Frøslevlejrens Museum“, Dennis Larsen. Beide haben sich große Verdienste bei der historischen Aufarbeitung dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit erworben. Sie prüfen zurzeit mit Zuroff, ob weitere Tatverdächtige in Dänemark gefunden werden können. 
Zuroff selbst sprach bei seiner Ankunft von etwa 20 Personen. Ob die noch am Leben sind, ist zu bezweifeln, aber Dennis Larsen hat 2010 in seinem Buch festgestellt, dass viele dänische Frikorps-Soldaten in Bobruisk an der Tötung von mindestens 1.400 Juden mitgewirkt haben. 
Die Behauptung von Rasmussen, er sei als Soldat unschuldig, wird von den Forschern zurückgewiesen. Er soll als KZ-Wärter gedient haben.
Dass kürzlich in Lüneburg der 94-jährige Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen verurteilt worden ist – er war Buchhalter an der Todesrampe in Auschwitz –, ist für die Nazi-Jäger ein ermutigendes Signal, das schreckliche Kapitel nicht Historikern allein zu überlassen, trotz aller rechtsstaatlichen Bedenken, die 70 Jahre danach wohl angebracht sind. Da von 90 dänischen Staatsbürgern, die als KZ-Wärter tätig gewesen sind, laut Larsen 44 Angehörige der deutschen Minderheit waren, bleibt abzuwarten, ob auch in diesem Kreise Verdächtige ermittelt werden können.  Unmittelbar deutet zwar nichts darauf hin, aber auch die Untaten von Soldaten der Waffen-SS sind noch längst nicht aufgeklärt. 
Ein neues trauriges Kapitel steht uns bevor: Schmerzhaft, aber an der Wahrheit führt kein Weg vorbei!

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