Erinnerung kann schmerzhaft, aufwühlend, belastend sein. Erinnerung nach Art
eines öffentlichen Gewissens gilt mitunter als Stachel im Fleisch: Die argentinischen "Mütter der Plaza de Mayo" in Buenos Aires, die bosnischen "Mütter von Srebrenica", der Nazi-Jäger Efraim Zuroff. Vergangen, vergessen? Nein: Die Untaten des 94-jährigen
Österreichers Aribert Heim sind so real wie jene des 63-jährigen Serben Radovan
Karadzic und des 81-jährigen argentinischen Generals Luciano Benjamín Menéndez.
Heim trägt als mörderischer SS-Arzt im KZ Mauthausen das Odium des "Dr. Tod". Karadzic war Kriegstreiber im Bosnien-Krieg, ein Psychiater, der sogar in Gedichten "ethnische Säuberungen" propagierte. Konsequenz: Mord, Gräueltaten, die 8000 Opfer von Srebrenica.
Und General Menéndez: Mitträger des
Staatsterrors während der argentinischen Militärdiktatur
(1976-1983). Brutale Repression, Entführung, Folter, Mord
waren an der Tagesordnung. Menéndez: "Wir werden 50.000 Menschen töten müssen: 25.000 Subversive, 20.000 Sympathisanten,
und 5000 Fehler machen."
Es ist ein Zufall, dass alle drei
gerade jetzt wieder in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit
treten. Erstmals gibt es konkrete Hinweise darauf, dass Aribert
Heim - so er noch lebt - nach 46 Jahren auf der Flucht in
einer "Operation Letzte Chance" doch noch gefasst werden könnte. Seit Mittwoch sitzt der 13 Jahre lang untergetauchte
Radovan Karadzic im Gefängnis des Völkermord-Tribunals in
Scheveningen. General Menéndez wurde 30 Jahre "danach" zu lebenslanger Haft verurteilt.
Was verbindet sie? Dass sie sich unglaublich
lange auf Seilschaften verlassen konnten, Kameraden, politische
Zuhälter und auf das Gras, das man nur allzu gern über die
Toten wachsen lässt. Keiner hat je Schuldbewusstsein gezeigt.
"Eine Farce",
soll Karadzic bei seiner Verhaftung gesagt haben. Seine Anhänger
behaupten jetzt "Ressentiments gegen Serbien", "einen Deal" mit der EU, "Verrat". - Verrat am Mitorganisator des Völkermordes? Das wäre so, wie wenn man argumentieren
würde, die grausigen Experimente des "Dr. Tod" an lebenden "Objekten" hätten der Wissenschaft gedient. Menéndez beklagte sich über den "Undank des Volkes", dem die Junta doch eine "neue Ordnung" gegeben habe - mit 20.000 Ermordeten.
Es gibt Leute, die scheuen die Erinnerung: "Alles
schon so lange her, was soll die Verfolgung alter Leute .
. ." Es wäre eine "Farce", eine Posse auf Gerechtigkeit und Humanität, wenn eine Verfolgung "wegen Zeitablaufs" nicht der Mühe für wert befunden würde. Es geht nicht um "Monsterjagd", nicht um Volk und Vaterland, nicht um Ideologie und politische Opportunität,
nicht um vergangene Zeiten, nicht um Alter, sondern um die
Rettung der letzten Würde der Opfer, und sei es nur ihr Andenken.
Einmal muss auch Unmenschen die Stunde
schlagen. Die Zeit relativiert keine Schuld.
salzburg.com
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