31.07.2008 | SN salzburg.com
  Der Standpunkt: Wenn Unmenschen doch noch die Stunde schlägt
RONALD ESCHER
 
 

Erinnerung kann schmerzhaft, aufwühlend, belastend sein. Erinnerung nach Art eines öffentlichen Gewissens gilt mitunter als Stachel im Fleisch: Die argentinischen "Mütter der Plaza de Mayo" in Buenos Aires, die bosnischen "Mütter von Srebrenica", der Nazi-Jäger Efraim Zuroff. Vergangen, vergessen? Nein: Die Untaten des 94-jährigen Österreichers Aribert Heim sind so real wie jene des 63-jährigen Serben Radovan Karadzic und des 81-jährigen argentinischen Generals Luciano Benjamín Menéndez.

Heim trägt als mörderischer SS-Arzt im KZ Mauthausen das Odium des "Dr. Tod". Karadzic war Kriegstreiber im Bosnien-Krieg, ein Psychiater, der sogar in Gedichten "ethnische Säuberungen" propagierte. Konsequenz: Mord, Gräueltaten, die 8000 Opfer von Srebrenica.

Und General Menéndez: Mitträger des Staatsterrors während der argentinischen Militärdiktatur (1976-1983). Brutale Repression, Entführung, Folter, Mord waren an der Tagesordnung. Menéndez: "Wir werden 50.000 Menschen töten müssen: 25.000 Subversive, 20.000 Sympathisanten, und 5000 Fehler machen."

Es ist ein Zufall, dass alle drei gerade jetzt wieder in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit treten. Erstmals gibt es konkrete Hinweise darauf, dass Aribert Heim - so er noch lebt - nach 46 Jahren auf der Flucht in einer "Operation Letzte Chance" doch noch gefasst werden könnte. Seit Mittwoch sitzt der 13 Jahre lang untergetauchte Radovan Karadzic im Gefängnis des Völkermord-Tribunals in Scheveningen. General Menéndez wurde 30 Jahre "danach" zu lebenslanger Haft verurteilt.

Was verbindet sie? Dass sie sich unglaublich lange auf Seilschaften verlassen konnten, Kameraden, politische Zuhälter und auf das Gras, das man nur allzu gern über die Toten wachsen lässt. Keiner hat je Schuldbewusstsein gezeigt.

"Eine Farce", soll Karadzic bei seiner Verhaftung gesagt haben. Seine Anhänger behaupten jetzt "Ressentiments gegen Serbien", "einen Deal" mit der EU, "Verrat". - Verrat am Mitorganisator des Völkermordes? Das wäre so, wie wenn man argumentieren würde, die grausigen Experimente des "Dr. Tod" an lebenden "Objekten" hätten der Wissenschaft gedient. Menéndez beklagte sich über den "Undank des Volkes", dem die Junta doch eine "neue Ordnung" gegeben habe - mit 20.000 Ermordeten.

Es gibt Leute, die scheuen die Erinnerung: "Alles schon so lange her, was soll die Verfolgung alter Leute . . ." Es wäre eine "Farce", eine Posse auf Gerechtigkeit und Humanität, wenn eine Verfolgung "wegen Zeitablaufs" nicht der Mühe für wert befunden würde. Es geht nicht um "Monsterjagd", nicht um Volk und Vaterland, nicht um Ideologie und politische Opportunität, nicht um vergangene Zeiten, nicht um Alter, sondern um die Rettung der letzten Würde der Opfer, und sei es nur ihr Andenken.

Einmal muss auch Unmenschen die Stunde schlagen. Die Zeit relativiert keine Schuld.

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