Politologe Walter Manoschek kritisiert die halbherzige Verfolgung von NS-Mördern
in Österreich
Beim Wiener Universitäts-Professor Walter Manoschek gehen nicht nur Studierende
ein und aus. Auch Beamte des Verfassungsschutzes sind ab und zu in seinem Büro
anzutreffen: Manoschek und seine Studenten forschen über Nazi-Verbrecher. Deren
halbherzige Verfolgung in Österreich nach dem Jahr 1945 bezeichnet Politologe
Manoschek als „Riesenskandal“. Warum Bruno Kreisky die Nazis zurück ins Rampenlicht
geholt hat, erklärt Manoschek genauso, wie die „rechtsextreme“ Politik der FPÖ
und warum die Grünen nur mehr „Wischiwaschi“ betreiben.
Walter Manoschek: „Rassismus bei Jungen stärker“
CHiLLi: Im Juni dieses Jahres hat
der in Kroatien gesuchte, mutmaßliche NS-Verbrecher Milivoj
Ašner in Klagenfurt die Fanmeile bei der Fußball-Europameisterschaft
besucht, öffentlich Kaffee getrunken und ein Interview gegeben.
Ist Österreich ein Altersparadies für Kriegsverbrecher?
Walter Manoschek: Ob es ein Paradies ist, kann ich nicht
sagen. Aber die Wahrscheinlichkeit gerichtlich belangt zu
werden, ist in Österreich nicht wahnsinnig groß.
CHiLLi: Jörg Haider war damals gegen
eine Auslieferung Ašners. Er hat gesagt, er schätze diese
Familie sehr. Ein Landeshauptmann nimmt einen gesuchten NS-Kriegsverbrecher
in Schutz und trotzdem erfolgt kein Aufschrei in der Öffentlichkeit.
Überrascht Sie das?
Walter Manoschek: Das interessiert doch niemanden hier. Dafür
gibt es in der politischen Kultur in Österreich kein Problembewusstsein.
Von daher überrascht mich das überhaupt nicht, schon gar
nicht in Kärnten. Ašner hatte einmal die österreichische
Staatsbürgerschaft. Er ist mittlerweile offensichtlich kroatischer
Staatsbürger. Für Verbrechen, die er in Kroatien begangen
hat, kann ihm in Österreich nicht der Prozess gemacht werden.
CHiLLi: Hat Jörg Haider mit solchen
Aussagen dazu beigetragen, die Verbrechen der Nationalsozialisten
zu verharmlosen?
Walter Manoschek: Das ist ja nichts Neues. Das hat der Herr
Haider ja immer getan. Ich erinnere nur an das Jahr 1995,
als er in Krumpendorf bei seiner Rede die versammelten Waffen-SSler
ob ihrer Standhaftigkeit auch in schlechten Zeiten gelobt
hat und sie als Vorbild für die Jugend hingestellt hat. Was
erwartet man von so jemandem?
CHiLLi: Welche Instanz ist für die
Verfolgung von Nazi-Kriegsverbrechern zuständig?
Walter Manoschek: Das Justizministerium. Es gibt ja auch
den Historiker Efraim Zuroff, der seit Jahren immer wieder
Personenlisten ans Justizministerium schickt. Ob da ermittelt
wird oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls ist
das Ergebnis null.
CHiLLi: Macht es in solchen Fällen
einen Unterschied, ob das Justizministerium von der Volkspartei
oder den Sozialdemokraten besetzt ist?
Walter Manoschek: Völlig wurscht.
CHiLLi: Sie haben gesagt, dass das
Problembewusstsein in Österreich fehlt. Wo müssten die Politiker
ansetzen, um das zu ändern?
Walter Manoschek: Die Sache mit den Kriegsverbrechern ist
aus biologischen Gründen dem Ende zugehend. Wenn man sich
die Geschichte der Aufarbeitung der NS-Verbrechen nach 1945
ansieht, so ist das ein einziger Riesenskandal. Bis auf die
ersten zwei Jahre nach dem Krieg, wo wirklich sehr harte
Urteile ergangen sind, hat es danach de facto nichts mehr
gegeben. In den Sechzigern gab es Freisprüche für tragende
Mitarbeiter von Adolf Eichmann (dem Organisator der Juden-Deportationen,
Anmerkung der der Redaktion), die internationales Aufsehen
erregt haben. Da hat es Szenen gegeben, wo in der Steiermark
KZ-Kommandanten freigesprochen wurden und nachher die Geschworenen
inklusive Richter ins nächste Lokal feiern gegangen sind.
Also diese Geschichte zu schreiben, ist wahrlich kein Vergnügen.
CHiLLi: Wie hat sich der Umgang mit
NS-Verbrechern danach verändert?
Walter Manoschek: Den Höhepunkt hat das ganze unter Bundeskanzler
Bruno Kreisky erreicht. Er hat damals in seiner Minderheitsregierung
einige ehemalige NSDAP-, beziehungsweise Waffen-SS-Mitglieder
gestellt. Das ist nicht zufällig passiert, sondern das war
ein Signal an die FPÖ, diese Minderheitsregierung zu stützen.
CHiLLi: Ihr Student Andreas Forster
hat in Deutschland einen Mann ausfindig gemacht, der zu Kriegsende
im Burgenland sechzig Juden erschossen haben soll. Dieser
Mann stand ganz normal im Telefonbuch. Hatten die Behörden
in Österreich und Deutschland sechzig Jahre lang kein Telefonbuch?
Walter Manoschek: Da müssen Sie die Behörden fragen. Offensichtlich
nicht.
CHiLLi: Sie sind nach Deutschland
gefahren und haben mit diesem Mann, dem ehemaligen Waffen-SS-Mitglied
Adolf S., gesprochen. Ist er geistig noch fit?
Walter Manoschek: Der ist geistig voll fit. Zumindest war
er das zu dem Zeitpunkt, als ich zwischen Juli und September
mit ihm gesprochen habe. Der ist geistig absolut da. Seine
Enkelin hat mir inzwischen aber Hausverbot erteilt. Sie meint
ihr Großvater sei unschuldig. Ich habe sie daraufhin gefragt,
woher sie das so genau wisse. Da hat sie gemeint: „Weil er
es mir gesagt hat.“
CHiLLi: Glauben Sie, dass dieser Mann
irgendwann noch einmal vor Gericht gestellt wird?
Walter Manoschek: Soweit ich die Materialen und die Beweislage
kenne, und ich kenne sie sehr gut, denke ich, dass Anklage
erhoben wird.
CHiLLi: Im Jahr 2008 jährt sich Österreichs
„Anschluss“ an Nazi-Deutschland zum siebzigsten Mal. Empfindet
sich Österreich noch immer als Opfer-Nation?
Walter Manoschek: Nein, ich glaube da hat sich in den letzten
zwanzig Jahren schon einiges getan. Die Umfrageergebnisse
besagen: Ungefähr ein Drittel hält Österreich für ein Opfer,
ein Drittel für Täter und ein Drittel sagt sowohl als auch.
Bei Jugendlichen ist es übrigens besser. Die haben einen
besseren historischen Realitätssinn. Dieses Umdenken ist
aber erst im Zuge der Waldheim-Affäre erfolgt. Ich kann mich
noch gut an die Zeit davor erinnern, als wir versucht haben
in diese Richtung ein Bewusstsein zu schaffen. Das war, als
würde man gegen Puddingwände laufen.
CHiLLi: Wie kann ein breites Bewusstsein
für solche Problematiken bei den Menschen entwickelt werden?
Walter Manoschek: Naja, da sind Politik und die Medien gefordert,
nicht immer nur Lippenbekenntnisse von sich zu geben. Was
soll ein Novemberpogrom-Erinnerungstheater, wenn wenige Tage
vorher Martin Graf von den Freiheitlichen mit Stimmen der
SPÖ zum dritten Nationalratspräsidenten gewählt wird? Jemand,
der bei einer Burschenschaft (der Olympia, Anmerkung der
Redaktion) ist, aus der andere Burschenschaftler ausgetreten
sind, weil die zu rechtsextrem ist. Wenn so ein Mann viert
wichtigste Person im Staat wird, interessiert mich kein November-Gedenken
der Regierung oder des Parlaments. Das ist einfach lächerlich.
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