Publiziert am 08.04.2013 orf.at
  Nie zu spät, "Holocaust-Verbrechen zu ahnden"  
 

Bei den Bemühungen, NS-Verbrechen strafrechtlich zu verfolgen und vor Gericht zu stellen, ist Österreich vom Simon-Wiesenthal-Zentrum ein schlechtes Zeugnis ausgestellt worden. Die Einrichtung vergab in ihrem am Sonntag veröffentlichten Jahresbericht die Note „gut“ an Deutschland, die USA erhielten sogar ein „sehr gut“. Österreich wurde als „mangelhaft“ eingestuft.

Es gebe in Österreich keinen politischen Willen, NS-Verbrecher vor Gericht zu bringen, heißt es in dem Bericht als Begründung. Damit erhielt Österreich neben Estland, Lettland, Litauen, der Ukraine aber auch Australien die schlechteste Note „F“. Ein Grund für die schlechte Bewertung dürfte unter anderem der Umgang mit dem Fall Asner gewesen sein.

Schützende Hand über Asner

Der mutmaßliche kroatische Kriegsverbrecher Milivoj Asner war der letzte „Österreicher“ unter den zehn meistgesuchten Nazi-Kriegsverbrechern und hatte es sogar in die „Top Drei“ der Liste des Wiesenthal-Zentrums geschafft. Ihm wurde die Beteiligung an der Verfolgung und Deportation Hunderter Serben, Juden sowie Sinti und Roma vorgeworfen. Nach dem Zweiten Weltkrieg flüchtete Asner nach Österreich, wo er 2011 in Klagenfurt starb. Österreich verweigerte bis zuletzt seine Auslieferung nach Kroatien, wo er 2005 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt wurde.

Der Leiter des Jerusalemer Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff, kritisierte das Vorgehen der heimischen Justiz damals scharf und bezeichnete Österreich unter anderem als „Paradies für Nazis“. Zu Asners stärksten Fürsprechern zählte auch der 2009 verstorbene Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider. In einem Interview mit der Tageszeitung „Der Standard“ äußerte sich Haider im Jahr 2008 lobend über die „nette Familie“ und sicherte Asner zu, „seinen Lebensabend bei uns verbringen zu dürfen“.

89 neue Anklagen eingereicht

Das Zentrum berichtete weiter, dass „in den letzten zwölf Jahren mindestens 99 Nazi-Kriegsverbrecher verurteilt und mindestens 89 neue Anklagen eingereicht wurden“. Die „mancherorts vorherrschende Meinung, es sei wegen des Alters der Täter zu spät, die Holocaust-Verbrechen zu ahnden“, würden durch diese Zahlen widerlegt. „Die Erfolge, die durch darauf spezialisierte Ermittler in den USA, Italien und Deutschland erzielt wurden, sollten Ansporn für andere Länder sein“, folgerte das Wiesenthal-Zentrum.

Als wichtigsten Erfolg des vergangenen Jahres wertet das Wiesenthal-Zentrum die Anklage des „meistgesuchten NS-Kriegsverbrechers“ Laszlo Csatary. Er soll 1944 als Polizeichef im damals ungarisch besetzten slowakischen Kosice federführend die Deportation von nahezu 16.000 Juden ins KZ Auschwitz organisiert haben. Bis Juli 2012, als er festgenommen wurde, lebte er unbehelligt in Budapest.

Australien verweigert Auslieferung

Als größte Enttäuschung im Berichtszeitraum seit April 2012 sei der Fall Karoly (Charles) Zentai, dessen von Ungarn beantragte Auslieferung durch das Oberste Gericht in Australien abgewiesen wurde; in Ungarn sollte Zentai wegen Mordes vor Gericht gestellt werden. Zur Begründung erklärte das australische Gericht, im Jahr 1944 habe es in Ungarn den Straftatbestand des Kriegsverbrechens, für den Zentai zur Verantwortung gezogen werden solle, noch nicht gegeben.

Dem heute 90-Jährigen wird von der ungarischen Justiz vorgeworfen, als Mitglied der mit den Nationalsozialisten verbündeten ungarischen Armee im Jahr 1944 einen 18-jährigen Juden gemeinsam mit zwei weiteren Soldaten geschlagen und getötet zu haben, weil dieser keinen Davidstern trug. Zentai wies die Vorwürfe stets zurück und beteuerte, zum Zeitpunkt der Tat nicht in Ungarn gewesen zu sein. Australiens Haltung dürfte Grund für die negative Bewertung im aktuellen Jahresbericht sein.

686 antisemitische Gewaltakte 2012

Zugleich wurde eine wissenschaftliche Studie über weltweit zunehmende antisemitische Gewaltakte anlässlich des israelischen Holocaust-Gedenktages von der Universität Tel Aviv veröffentlicht. Das auf die globale Beobachtung von Antisemitismus spezialisierte Kantor Center registrierte für das vergangene Jahr 686 Gewaltakte gegen Juden oder jüdische Einrichtungen. Das bedeute eine Steigerung um 30 Prozent gegenüber 526 antisemitischen Vorfällen im Jahr 2011.

Der schlimmste Vorfall sei der Mord an einem Lehrer und drei Kindern in Toulouse im März 2012 gewesen. Mit 200 seien die meisten Angriffe in Frankreich verzeichnet worden. Aber auch das israelkritische Gedicht des deutschen Autors Günter Grass wurde als ein Beispiel für antisemitische Tendenzen im antiisraelischen Diskurs erwähnt.

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