Efraim Zuroff, Leiter des Wiesenthal Centers in Jerusalem, sieht Österreich als
perfektes Beispiel für fehlenden politischen Willen zur strafrechtlichen Verfolgung
nationalsozialistischer Kriegsverbrecher.
Die Presse: Sie publizierten hunderte Artikel über den Holocaust, was fühlen
und denken Sie persönlich über den Internationalen Holocaustgedenktag?
Efraim Zuroff: Ich habe gemischte Gefühle bezüglich des 27. Januar als Internationalen
Holocaustgedenktag. Einerseits ist es eine enorme Errungenschaft
für das jüdische Volk, dass unsere schlimmste Tragödie internationale
Anerkennung in einer präzedenzlosen Weise erfuhr, eine Tatsache,
die auch dafür genutzt werden kann, Bewusstsein und Sensibilität
für den Holocaust weltweit in einer positiven Weise zu schaffen.
Aber es ist immer noch nicht klar, was heute auf der ganzen
Welt getan wird. Wenn zum Beispiel dieser Tag in der arabischen
und muslimischen Welt für Attacken auf Israel wegen der Situation
im Mittleren Osten missbraucht wird, hat ein derartiger Tag
nicht nur ein negatives Resultat, sondern dient auch ganz
klar nicht dem Zweck, für den er geschaffen wurde.
Sie stehen Österreich und seinen Gesetzen
für lebende nationalsozialistische Verbrecher kritisch gegenüber.
Was würde Ihrer Ansicht nach hierbei der Gerechtigkeit dienen?
Zuroff: Anstelle nach jedem nur möglichen
Grund zu suchen, weshalb nationalsozialistische Kriegsverbrecher
nicht strafrechtlich verfolgt werden sollten, sollte genau
der gegenteilige Ansatz verfolgt werden – alles zu tun, um
sie für ihre Verbrechen bezahlen zu lassen. Diese Mörder
mögen alt sein, aber sie verdienen keinerlei Mitleid. Viele
von ihnen waren kaltblütige Mörder, die Frauen, Kinder und
alte Menschen umbrachten.
Sie sind als „letzter Nazijäger“ und
Leiter der „Operation: Last Chance“ bekannt, deren Aktivitäten
sich zur Zeit auf die osteuropäischen Länder konzentrieren.
Welche Schwierigkeiten bestehen dort, Naziverbrecher vor
Gericht zu stellen?
Zuroff: Jeder, der mit der gegenwärtigen
Situation der Anstrengungen zur Strafverfolgung der nationalsozialistischen
Kriegsverbrecher vertraut ist, versteht, dass sehr oft nicht
das Auffinden der Verbrecher oder der Beweise gegen sie das
zentrale Problem ist, sondern das Fehlen des politischen
Willens zur Strafverfolgung der Verbrecher in den Ländern,
in denen sie ihre Verbrechen begingen oder in welchen sie
gegenwärtig leben. Für diesen Sachverhalt ist Österreich
das perfekte Beispiel. Die Wärterin des Konzentrationslagers
Majdanek, Erna Wallisch, und der Chef der Polizei in Pozega,
Milivoj Asner, sind Nutznießer des Fehlens des politischen
Willens zur Strafverfolgung von Tätern des Holocaust in Österreich.
Im Dokumentarfilm „Hafners Paradies“
wird ein ehemaliger Waffen-SS Offizier gezeigt, der immer
noch seiner Nazi-Ideologie anhängt. Welche Konsequenzen könnte
man aus einem solchen Film ziehen?
Zuroff: Ich sah den Film nicht, las
aber über ihn. Es macht äußerst wütend, einem Nazi wie Hafner
zuzuhören und zu wissen, dass es ihm frei steht, seinen Rassismus
und Extremismus zu verbreiten. Aber ohne den Beweis von Kriegsverbrechen
können wir gegen ihn kein Gerichtsverfahren anstreben.
Das Internet bildet eine Waffe von
Neonazigruppen, indem sie etwa die Namen von Mitgliedern
jüdischer Gemeinden veröffentlichen. In welchem Maß sind
sie eine Bedrohung für die Gesellschaft?
Zuroff: Es gibt bereits mehr als 5000
solcher Seiten. Vor einem Jahrzehnt waren es weniger als
fünf. Es steht außer Frage, dass das Internet ungeheures
Potenzial zur Verursachung von Schaden besitzt, weshalb das
Wiesenthal Center jedes Jahr eine CD mit allen Hass-Seiten,
die wir entdecken, produziert, die wir an führende Persönlichkeiten
der Weltpolitik, an Parlamentsabgeordnete und andere verteilen.
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