29.01.2008 | 18:33 diepresse.com
  Nazijäger: „Alte Mörder verdienen kein Mitleid“
IDA LABUDOVIC
 
 

Efraim Zuroff, Leiter des Wiesenthal Centers in Jerusalem, sieht Österreich als perfektes Beispiel für fehlenden politischen Willen zur strafrechtlichen Verfolgung nationalsozialistischer Kriegsverbrecher.

Die Presse: Sie publizierten hunderte Artikel über den Holocaust, was fühlen und denken Sie persönlich über den Internationalen Holocaustgedenktag?

Efraim Zuroff: Ich habe gemischte Gefühle bezüglich des 27. Januar als Internationalen Holocaustgedenktag. Einerseits ist es eine enorme Errungenschaft für das jüdische Volk, dass unsere schlimmste Tragödie internationale Anerkennung in einer präzedenzlosen Weise erfuhr, eine Tatsache, die auch dafür genutzt werden kann, Bewusstsein und Sensibilität für den Holocaust weltweit in einer positiven Weise zu schaffen. Aber es ist immer noch nicht klar, was heute auf der ganzen Welt getan wird. Wenn zum Beispiel dieser Tag in der arabischen und muslimischen Welt für Attacken auf Israel wegen der Situation im Mittleren Osten missbraucht wird, hat ein derartiger Tag nicht nur ein negatives Resultat, sondern dient auch ganz klar nicht dem Zweck, für den er geschaffen wurde.

Sie stehen Österreich und seinen Gesetzen für lebende nationalsozialistische Verbrecher kritisch gegenüber. Was würde Ihrer Ansicht nach hierbei der Gerechtigkeit dienen?

Zuroff: Anstelle nach jedem nur möglichen Grund zu suchen, weshalb nationalsozialistische Kriegsverbrecher nicht strafrechtlich verfolgt werden sollten, sollte genau der gegenteilige Ansatz verfolgt werden – alles zu tun, um sie für ihre Verbrechen bezahlen zu lassen. Diese Mörder mögen alt sein, aber sie verdienen keinerlei Mitleid. Viele von ihnen waren kaltblütige Mörder, die Frauen, Kinder und alte Menschen umbrachten.

Sie sind als „letzter Nazijäger“ und Leiter der „Operation: Last Chance“ bekannt, deren Aktivitäten sich zur Zeit auf die osteuropäischen Länder konzentrieren. Welche Schwierigkeiten bestehen dort, Naziverbrecher vor Gericht zu stellen?

Zuroff: Jeder, der mit der gegenwärtigen Situation der Anstrengungen zur Strafverfolgung der nationalsozialistischen Kriegsverbrecher vertraut ist, versteht, dass sehr oft nicht das Auffinden der Verbrecher oder der Beweise gegen sie das zentrale Problem ist, sondern das Fehlen des politischen Willens zur Strafverfolgung der Verbrecher in den Ländern, in denen sie ihre Verbrechen begingen oder in welchen sie gegenwärtig leben. Für diesen Sachverhalt ist Österreich das perfekte Beispiel. Die Wärterin des Konzentrationslagers Majdanek, Erna Wallisch, und der Chef der Polizei in Pozega, Milivoj Asner, sind Nutznießer des Fehlens des politischen Willens zur Strafverfolgung von Tätern des Holocaust in Österreich.

Im Dokumentarfilm „Hafners Paradies“ wird ein ehemaliger Waffen-SS Offizier gezeigt, der immer noch seiner Nazi-Ideologie anhängt. Welche Konsequenzen könnte man aus einem solchen Film ziehen?

Zuroff: Ich sah den Film nicht, las aber über ihn. Es macht äußerst wütend, einem Nazi wie Hafner zuzuhören und zu wissen, dass es ihm frei steht, seinen Rassismus und Extremismus zu verbreiten. Aber ohne den Beweis von Kriegsverbrechen können wir gegen ihn kein Gerichtsverfahren anstreben.

Das Internet bildet eine Waffe von Neonazigruppen, indem sie etwa die Namen von Mitgliedern jüdischer Gemeinden veröffentlichen. In welchem Maß sind sie eine Bedrohung für die Gesellschaft?

Zuroff: Es gibt bereits mehr als 5000 solcher Seiten. Vor einem Jahrzehnt waren es weniger als fünf. Es steht außer Frage, dass das Internet ungeheures Potenzial zur Verursachung von Schaden besitzt, weshalb das Wiesenthal Center jedes Jahr eine CD mit allen Hass-Seiten, die wir entdecken, produziert, die wir an führende Persönlichkeiten der Weltpolitik, an Parlamentsabgeordnete und andere verteilen.

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