Ein mutmaßlicher NS-Kriegsverbrecher spaziert über die Fanmeile in Klagenfurt
- wie kann das sein? Trotz Haftbefehl leben noch immer viele Täter in Freiheit.
Regierungen schauen weg, medizinische Gutachten und versteckte Sympathien schützen
Massenmörder vor Auslieferung und Strafverfolgung.
Hamburg - "Art der Verbrechen: Massenmord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Haftbefehl erlassen in Kroatien." Daneben ein Passfoto mit akkuratem gelben Hemd und Sakko. Mit diesem förmlichen
Passfoto fahndet Interpol weltweit nach dem 95-jährigen Milivoj
Asner.
Dieser Tage gibt er sich gerne legerer.
Auf der EM-Fanmeile in Klagenfurt hat ihn ein Journalist der britischen "Sun" ausfindig gemacht - dass Asner in Kärnten wohnt, war seit langem kein Geheimnis.
In welchem Gesundheitszustand er sich befindet dagegen schon.
Der Reporter der "Sun" beobachtete Asner und dessen Frau Edeltraut: beim Kaffeetrinken, beim Spazierengehen,
beim Unterhalten. Und er besuchte ihn in dessen Klagenfurter
Wohnung.
"Ich kann vor jedem Gericht erscheinen"
Hohlwangig sei der alte Mann gewesen,
aber mit festem Blick und festem Händedruck, seine Ausdrucksweise
sei gewählt und höflich gewesen. Er habe zwar "betont, dass ihn sein Gedächtnis im Stich lässt" und seine Frau "demonstrativ gefragt, wie viele Kinder er hat", aber alles in allem habe Asner einen klaren Eindruck gemacht.
Erstaunlich - waren doch die renommiertesten Psychiater Österreichs in verschiedenen
Gutachten zu dem Schluss gekommen, Asner leide unter fortschreitender
Demenz, sei nicht in der Lage, die Folgen des von ihm Gesagten
abzusehen und könne deshalb auch nicht an Kroatien ausgeliefert
und rechtlich belangt werden.
Dass Interpol ihn sucht, entlockt Asner im Gespräch mit dem britischen Journalisten
nur ein Lächeln. Offenbar weiß er, was ihm vorgeworfen wird.
Seine Verfolger seien "Hohlköpfe", sagt er. Es gehe ihm gut genug für einen Prozess: "Ich kann vor jedem Gericht erscheinen."
Bislang war das aber gar nicht erforderlich:
Asner wird vorgeworfen, im Zweiten Weltkrieg als Chef der
Ustascha-Polizei in der kroatischen Stadt Pozega für die
Deportation Hunderter Juden und Serben verantwortlich gewesen
zu sein. Nach Kriegsende flüchtet er vor den Kommunisten
nach Österreich, beantragt unter dem Namen Georg Aschner
die österreichische Staatsbürgerschaft und lebt mehr als
viereinhalb Jahrzehnte unbehelligt in der Alpenrepublik.
1991 kehrt er zurück in seine Geburtsstadt Daruvar - Kroatien
wird nach seiner Unabhängigkeit vom Nationalisten Franjo
Tudjman regiert, Asner fühlt sich
Mitte der neunziger Jahre stellt der Amateurhistoriker Alen Budaj erste Nachforschungen
zur Geschichte der Juden von Pozega an. Dabei stößt er immer
wieder auf einen Namen: Milivoj Asner. Mehr als hundert Seiten
Papier trägt der damals 19-Jährige zusammen: von Asner unterzeichnete
Befehle, die Namen von Augenzeugen. Asner nachzuspüren wird
zu Budajs Mission.
"Österreich ist nicht Guantanamo"
Im Jahr 2004 gelangen die Beweise
über das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem in die Hände
des damaligen kroatischen Präsidenten Stipe Mesic. Mesic,
selber Jurist, entscheidet: Asner dürfe das Land in keinem
Fall verlassen.
Am selben Tag packt Asner sein Hab
und Gut und fährt mit dem Auto zurück nach Österreich. Sein
Anwalt bestreitet vehement, dass es sich um eine Flucht gehandelt
habe: Reiner Zufall sei die Abreise am selben Tag gewesen,
der 91-Jährige habe nur Urlaub machen wollen in Österreich.
Urlaub ohne Wiederkehr.
Asner selbst redet offener: Er sei
von Freunden davor gewarnt worden, dass man versuche, ihn
zu verleumden. "Ich bin 92 Jahre alt und ich möchte einfach in Frieden und in Ruhe leben. Ich
habe zehn Jahre lang in Daruvar gelebt und dann kommt plötzlich
dieser Jude daher, und nur weil er ein Jude ist, glaubt man
ihm alles, was er sagt", hat Asner einst in einem Interview gesagt.
DIE MEISTGESUCHTEN NAZI-KRIEGSVERBRECHERAribert Heim
Heim, 1914 in Bad Radkershof in Österreich geboren, wird vorgeworfen, als Arzt
im KZ Mauthausen Tausende Häftlinge ermordet zu haben. Aufgrund eines Haftbefehls
des Landgerichts Baden-Baden wird Heim international gesucht. Er ist seit 1962
flüchtig. Für seine Ergreifung ist eine Belohnung in Höhe von 130.000 Euro
ausgesetzt. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum vermutet ihn in Südamerika. "Uns
liegen einige entsprechende Hinweise vor", sagt Efraim Zuroff. Im Sommer will eine Delegation daher nach Südamerika reisen.
Alois Brunner
Brunners Nazi-Karriere beginnt 1931: Wenig später lernt er Adolf Eichmann kennen,
der ihn bald darauf zu sich in die "Zentralstelle
für jüdische Auswanderung" nach Wien holt. Ab 1939 ist es seine Aufgabe, die Stadt "judenfrei" zu machen. Innerhalb von drei Jahren lässt er 180.000 Menschen deportieren und
ins Gas schicken. Vom Wiesenthal-Zentrum wird er als schlimmster der Nazi-Verbrecher
geführt. Ob Brunner, der lange in Damaskus untergetaucht war, heute noch lebt,
ist unklar. Immer wieder melden sich Touristen, die ihn gesehen haben wollen. "Solange wir nicht den gegenteiligen Beweis haben, gehen wir davon aus, dass er
noch lebt", sagt Efraim Zuroff, der Direktor des Wiesenthal-Zentrums.
Ivan (John) Demjanjuk
Seit 1951 lebt Demjanjuk, der mit vollem Namen Iwan Nikolajewitsch Demjanjuk
heißt und aus der Ukraine stammt, in den USA. 1958 erhielt er die US-amerikanische
Staatsbürgerschaft. Die USA wollen den heute 88-Jährigen abschieben, der sich
in deutscher Kriegsgefangenschaft zur Kooperation mit den Nazis entschied und
als KZ-Wärter in Treblinka arbeitete. Zwar wurde Demjanjuk vor 20 Jahren von
Israel zum Tode verurteilt, allerdings wurde die Strafe nie vollstreckt, weil
Zweifel aufkamen, ob er tatsächlich der gesuchte Wärter "Iwan
der Schreckliche" war, den Überlebende identifizierten. Bislang hat sich kein Land bereit erklärt,
ihn aufzunehmen.
Sandor Kepiro Kepiro war Gendarmerist der ungarischen Gendarmerie und laut
Wiesenthal-Zentrum aktiv am Massenmord an Zivilisten vom 23. Januar 1942 in
Novi Sad beteiligt. Mindestens 1300 Menschen starben an diesem Tag. Kepiro
wurde noch während des Krieges in Ungarn für dieses Verbrechen verurteilt,
aber kurz nach dem Prozess besetzten die Nazis Ungarn und ließen ihn wieder
frei. Kepiro soll bis heute in Budapest unter seinem richtigen Namen leben.
Soeren Kam
Kam, 1921 in Kopenhagen geboren, gehörte dänischen SS-Einheiten an. Gemeinsam
mit Helfern soll er 1943 einen dänischen Journalisten ermordet haben. Er lebt
in Bayern. Deutschland lehnte die Auslieferung an Dänemark in der Vergangenheit
mehrfach ab - weil Kam inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
Heinrich Boere
Der Niederländer Boere, 1921 geboren, lebt in einem Seniorenheim im nordrhein-westfälischen
Eschweiler. Von der niederlänischen Justiz wurde er wegen der Ermordung von
drei Menschen zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach verschiedenen Prozessen
hat das Oberlandesgericht Köln entschieden, dass Boere auf freiem Fuß bleiben
darf - weil die Entscheidung des Sondergerichtshofs aus dem Jahr 1949 gegen
völkerrechtlich verbindliche Mindeststandards verstoßen hat.
Karoly (Charles) Zentai
Der Ungar Zentai war nach dem Krieg nach Australien geflohen und wird dort
noch immer vermutet. Er soll im November 1944 als Soldat den 18-jährigen ungarischen
Juden Péter Balázs gequält, ermordet und seine Leiche in der Donau versenkt
haben.
Michail Gorschkow
Der aus Estland stammende Gorschkow soll an der Ermordung von Juden in Weißrussland
beteiligt gewesen sein. Die USA haben ihm die Staatsbürgerschaft entzogen,
in Estland wird gegen ihn ermittelt.
Algimantas Dailide
Dailide soll Juden festgenommen haben, die anschließend von Nazis und litauischen
Kollaborateuren ermordet wurden. Er wurde von den USA ausgeliefert und in Litauen
verurteilt, musste die Haft jedoch nicht antreten. Er lebt in Deutschland.
Harry Mannil
Mannil, der heute in Venezuela lebt, soll Juden festgenommen haben, die anschließend
von Nazis und estnischen Kollaborateuren ermordet wurden. Die Staatsanwaltschaft
in Estland stellte die Ermittlungen gegen ihn aus Mangel an Beweisen ein. Das
Wiesenthal-Zentrum listet ihn auf Platz 10 der meistgesuchten Nazi-Kriegsverbrecher.
In Österreich findet er Zuflucht -
bis Kroatien im Jahr 2006 einen Auslieferungsantrag stellt.
Doch zu einer Vernehmung, die nach österreichischem Recht
zwingend für eine Auslieferung ist, kommt es erst gar nicht.
Asner sei weder verhandlungs- noch vernehmungsfähig, urteilt
Psychiater Reinhard Haller.
Seither sind zwei weitere Gutachten
erstellt worden, das letzte vor wenigen Wochen. Das Urteil
der Wissenschaftler ist einhellig: Asner gilt als schwer
dement und leidet unter Alzheimer. "Es gab erhebliche Zweifel, ob er in der Lage ist, dem förmlichen Verfahren zu
folgen", sagt Gerichtssprecher Manfred Herrenhofer SPIEGEL ONLINE. "Es bestand der Eindruck, der Herr ist nicht in der Lage zu verarbeiten, was ihm
vorgetragen wird." Auch ein Mann wie Asner habe ein Anrecht auf ein rechtstaatliches Verfahren. "Österreich ist nicht Guantanamo."
spiegel.de
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