15.07.2008 | 20:14 | diepresse.com
  NS-Verbrechen: Wo ist der „Schlächter von Mauthausen“?
 
 

Doktor Aribert Heim brachte im KZ Mauthausen hunderte Menschen um. Dann tauchte er ab. Heute lebt der 94-Jährige in Patagonien, davon ist der Nazi-Jäger Zuroff überzeugt.

Immer wieder ist er den Fahndern entkommen. Seit fast 46 Jahren ist der Arzt aus dem steirischen Bad Radkersburg für Ermittler kaum mehr als ein Phantom, dem sie von Deutschland über Ägypten bis Chile und Argentinien nachjagen und ihn nicht zu fassen kriegen: Doktor Aribert Heim, NSDAP-Mitglied der ersten Stunde, Mitglied der Waffen-SS und ehemaliger Lagerarzt des Konzentrationslagers Mauthausen, wo er grausame Experimente an seinen Patienten durchführte und Hunderte tötete.

Dass der „Schlächter von Mauthausen“ oder „Doktor Tod“, wie in israelische Zeitungen nannten, alles andere als ein Phantom ist, davon sind die Nazi-Jäger des Simon-Wiesenthal-Zentrums überzeugt. Efraim Zuroff, Leiter des Zentrums in Jerusalem, und Sergio Widder von der argentinischen Niederlassung beendeten gestern, Dienstag, ihre fünftägige Reise durch den Süden Chiles und Argentiniens. Sie vermuten, dass sich der heute 94-Jährige in der Region aufhält und von seiner Tochter Waltraud (64) versorgt wird, die seit Jahrzehnten in Puerto Montt in Chile lebt.

Bringt Kopfgeld Erfolg?
„Menschen in seinem Alter können nicht völlig auf sich allein gestellt leben. Offenbar gibt es Personen, die ihm helfen“, erklärte Zuroff vor seiner Abreise aus Südamerika. Der Chef-Nazi-Jäger rechnet damit, dass schon in den „nächsten Wochen, höchstens Monaten“ der hochbetagte Heim verhaftet werden könne. Es gebe nämlich keine Beweise für seinen Tod, jedoch zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass der Nazi-Scherge sich in Patagonien aufhalte, so Zuroff.

In verschiedenen Zeitungen werden nun Inserate geschaltet, um die Bevölkerung auf die dunkle Vergangenheit des Mannes aufmerksam zu machen. Außerdem lockt ein saftiges Kopfgeld: 310.000 Euro sind auf die Ergreifung Heims ausgesetzt. 50.000 Euro davon zahlt das Justizministerium in Wien, der Rest kommt von deutschen Behörden, dem Simon-Wiesenthal-Zentrum und von einem amerikanischen Privatmann. Bisher hat jedoch auch Geld nicht den gewünschten Erfolg gebracht: Hinweise gingen viele ein, auch beim österreichischen Justizministerium. Doch ernst zu nehmen waren nur wenige.

Ließen bürokratische Fehler den meist gesuchten Nazi-Verbrecher immer wieder durchs Netz der Fahnder schlüpfen? Oder rechtzeitige Warnungen von Gesinnungsgenossen aus höchsten Kreisen? Die Geschichte von Heims Flucht ist geprägt von Versäumnissen der Behörden, von mächtigen Seilschaften und Familienbanden und auch von Glück – das der NS-Arzt seinen Opfern verwehrte.

Mit nur 27 Jahren landete Aribert Ferdinand Heim nach kurzen Zwischenspielen als Lagerarzt in Sachsenhausen und in Buchenwald in Mauthausen. Nur zwei Monate war er in Oberösterreich – das reichte Heim, um als einer der sadistischsten Ärzte des NS-Regimes in die Geschichte einzugehen. Mehrere hundert Menschen tötete er durch Giftinjektionen mitten ins Herz. Als Versuchskaninchen benutzte er seine Patienten, wenn ihm im Dienst langweilig war und schnitt ihnen Organe heraus. Das Operationsbuch von Mauthausen, in dem penibel jeder Eingriff verzeichnet wurde, führt etwa für den 28. Oktober 1941 an, dass „Dr. Heim in der Zeit von 7.30 bis 10.15 Uhr und von 15.20 bis 16.30 Uhr elf Tote, darunter zehn Juden“ zu verzeichnen hatte.

Ehemalige KZ-Gefangene gaben gleich nach dem Krieg Heims beispiellose Grausamkeiten zu Protokoll. Dennoch schaffte es der 1,90 Meter große Mann mit der auffälligen Mensur-Narbe im Gesicht, von den Amerikanern als Mitläufer eingestuft zu werden und bereits 1947 wieder auf freien Fuß zu kommen.

Bis 1962 führte er ein unbehelligtes, gutbürgerliches Leben in Mannheim und in Baden-Baden, praktizierte als Gynäkologe und war seiner Frau Frieda ein liebevoller Ehemann und seinen beiden Söhnen ein fürsorglicher Vater.

Geldfluss verriet ihn
Als Ermittler aus Stuttgart an jenem Septembertag 1962 an die Tür seiner Villa klopften, hatte Heim sich nur kurz zuvor aus dem Staub gemacht. Im roten Mercedes seiner Schwiegermutter. „Wir gingen vorne rein, er hinten raus“, meinten damals Fahnder. Nur wenige Monate zuvor hatte der passionierte Eishockeyspieler dem Anwalt Friedrich Steinacker, der schon KZ-Arzt Josef Mengele vertreten hatte, eine Generalvollmacht übergeben. Der heute 86-jährige Steinacker, dessen Lebenslauf sich immer wieder mit Heims kreuzt, sorgte dafür, dass die Einkünfte aus der Vermietung von Heims Zinshaus in Berlin versteuert wurden – bis es 1979 zur Zwangsenteignung kam.

Die Spur des Geldes begannen Ermittler schon sehr früh zu verfolgen: Mit Wertpapieren, Konten und Immobilien, die die Familie Heim in Deutschland und in der Schweiz besitzt, finanziert sich der Nazi-Verbrecher die Flucht. Seine Schwester Hertha wickelte bis zu ihrem Tod die Geschäfte ab. Spuren führten nach Ibiza und an die Costa Blanca. Jetzt dürfte seine Frau Frieda, die abwechselnd in den Villen in Lugano und in Baden-Baden residiert, eine Schlüsselrolle spielen. Ermittler gehen davon aus, dass die Scheidung 1967 nur pro forma gewesen war, und sich die beiden immer wieder getroffen haben. Zuletzt sah man sich angeblich 1986 bei einem Familientreffen im Tessin.

Starb „Doktor Tod“ 1993?
Noch immer gibt es bei einer Berliner Bank ein Konto auf den Namen Aribert Heims. Dort sollen 1,2 Millionen liegen. Dass das Geld bis dato unangetastet blieb, werten die Nazi-Jäger als Beweis dafür, dass Heim noch am Leben ist. Warum erschienen die Erben nicht mit der Sterbeurkunde bei der Bank, wenn Heim tatsächlich 1993 verstorben sei?

Behält Nazi-Jäger Zuroff Recht und die Verhaftung steht bevor, könnte es zur späten Schließung eines der letzten offenen NS-Akten kommen. Mindestens 45 Jahre, zehn Monate und drei Tage nachdem Aribert Heim untertauchte.

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