Doktor Aribert Heim brachte im KZ Mauthausen hunderte Menschen
um. Dann tauchte er ab. Heute lebt der 94-Jährige in Patagonien,
davon ist der Nazi-Jäger Zuroff überzeugt.
Immer wieder ist er den Fahndern entkommen. Seit fast 46 Jahren ist der Arzt
aus dem steirischen Bad Radkersburg für Ermittler kaum mehr
als ein Phantom, dem sie von Deutschland über Ägypten bis
Chile und Argentinien nachjagen und ihn nicht zu fassen kriegen:
Doktor Aribert Heim, NSDAP-Mitglied der ersten Stunde, Mitglied
der Waffen-SS und ehemaliger Lagerarzt des Konzentrationslagers
Mauthausen, wo er grausame Experimente an seinen Patienten
durchführte und Hunderte tötete.
Dass der „Schlächter von Mauthausen“ oder „Doktor Tod“, wie in israelische Zeitungen
nannten, alles andere als ein Phantom ist, davon sind die
Nazi-Jäger des Simon-Wiesenthal-Zentrums überzeugt. Efraim
Zuroff, Leiter des Zentrums in Jerusalem, und Sergio Widder
von der argentinischen Niederlassung beendeten gestern, Dienstag,
ihre fünftägige Reise durch den Süden Chiles und Argentiniens.
Sie vermuten, dass sich der heute 94-Jährige in der Region
aufhält und von seiner Tochter Waltraud (64) versorgt wird,
die seit Jahrzehnten in Puerto Montt in Chile lebt.
Bringt Kopfgeld Erfolg?
„Menschen in seinem Alter können nicht völlig auf sich allein
gestellt leben. Offenbar gibt es Personen, die ihm helfen“,
erklärte Zuroff vor seiner Abreise aus Südamerika. Der
Chef-Nazi-Jäger rechnet damit, dass schon in den „nächsten
Wochen, höchstens Monaten“ der hochbetagte Heim verhaftet
werden könne. Es gebe nämlich keine Beweise für seinen
Tod, jedoch zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass der Nazi-Scherge
sich in Patagonien aufhalte, so Zuroff.
In verschiedenen Zeitungen werden
nun Inserate geschaltet, um die Bevölkerung auf die dunkle
Vergangenheit des Mannes aufmerksam zu machen. Außerdem lockt
ein saftiges Kopfgeld: 310.000 Euro sind auf die Ergreifung
Heims ausgesetzt. 50.000 Euro davon zahlt das Justizministerium
in Wien, der Rest kommt von deutschen Behörden, dem Simon-Wiesenthal-Zentrum
und von einem amerikanischen Privatmann. Bisher hat jedoch
auch Geld nicht den gewünschten Erfolg gebracht: Hinweise
gingen viele ein, auch beim österreichischen Justizministerium.
Doch ernst zu nehmen waren nur wenige.
Ließen bürokratische Fehler den meist
gesuchten Nazi-Verbrecher immer wieder durchs Netz der Fahnder
schlüpfen? Oder rechtzeitige Warnungen von Gesinnungsgenossen
aus höchsten Kreisen? Die Geschichte von Heims Flucht ist
geprägt von Versäumnissen der Behörden, von mächtigen Seilschaften
und Familienbanden und auch von Glück – das der NS-Arzt seinen
Opfern verwehrte.
Mit nur 27 Jahren landete Aribert
Ferdinand Heim nach kurzen Zwischenspielen als Lagerarzt
in Sachsenhausen und in Buchenwald in Mauthausen. Nur zwei
Monate war er in Oberösterreich – das reichte Heim, um als
einer der sadistischsten Ärzte des NS-Regimes in die Geschichte
einzugehen. Mehrere hundert Menschen tötete er durch Giftinjektionen
mitten ins Herz. Als Versuchskaninchen benutzte er seine
Patienten, wenn ihm im Dienst langweilig war und schnitt
ihnen Organe heraus. Das Operationsbuch von Mauthausen, in
dem penibel jeder Eingriff verzeichnet wurde, führt etwa
für den 28. Oktober 1941 an, dass „Dr. Heim in der Zeit von
7.30 bis 10.15 Uhr und von 15.20 bis 16.30 Uhr elf Tote,
darunter zehn Juden“ zu verzeichnen hatte.
Ehemalige KZ-Gefangene gaben gleich
nach dem Krieg Heims beispiellose Grausamkeiten zu Protokoll.
Dennoch schaffte es der 1,90 Meter große Mann mit der auffälligen
Mensur-Narbe im Gesicht, von den Amerikanern als Mitläufer
eingestuft zu werden und bereits 1947 wieder auf freien Fuß
zu kommen.
Bis 1962 führte er ein unbehelligtes,
gutbürgerliches Leben in Mannheim und in Baden-Baden, praktizierte
als Gynäkologe und war seiner Frau Frieda ein liebevoller
Ehemann und seinen beiden Söhnen ein fürsorglicher Vater.
Geldfluss verriet ihn
Als Ermittler aus Stuttgart an jenem Septembertag 1962 an
die Tür seiner Villa klopften, hatte Heim sich nur kurz
zuvor aus dem Staub gemacht. Im roten Mercedes seiner Schwiegermutter.
„Wir gingen vorne rein, er hinten raus“, meinten damals
Fahnder. Nur wenige Monate zuvor hatte der passionierte
Eishockeyspieler dem Anwalt Friedrich Steinacker, der schon
KZ-Arzt Josef Mengele vertreten hatte, eine Generalvollmacht
übergeben. Der heute 86-jährige Steinacker, dessen Lebenslauf
sich immer wieder mit Heims kreuzt, sorgte dafür, dass
die Einkünfte aus der Vermietung von Heims Zinshaus in
Berlin versteuert wurden – bis es 1979 zur Zwangsenteignung
kam.
Die Spur des Geldes begannen Ermittler
schon sehr früh zu verfolgen: Mit Wertpapieren, Konten und
Immobilien, die die Familie Heim in Deutschland und in der
Schweiz besitzt, finanziert sich der Nazi-Verbrecher die
Flucht. Seine Schwester Hertha wickelte bis zu ihrem Tod
die Geschäfte ab. Spuren führten nach Ibiza und an die Costa
Blanca. Jetzt dürfte seine Frau Frieda, die abwechselnd in
den Villen in Lugano und in Baden-Baden residiert, eine Schlüsselrolle
spielen. Ermittler gehen davon aus, dass die Scheidung 1967
nur pro forma gewesen war, und sich die beiden immer wieder
getroffen haben. Zuletzt sah man sich angeblich 1986 bei
einem Familientreffen im Tessin.
Starb „Doktor Tod“ 1993?
Noch immer gibt es bei einer Berliner Bank ein Konto auf
den Namen Aribert Heims. Dort sollen 1,2 Millionen liegen.
Dass das Geld bis dato unangetastet blieb, werten die Nazi-Jäger
als Beweis dafür, dass Heim noch am Leben ist. Warum erschienen
die Erben nicht mit der Sterbeurkunde bei der Bank, wenn
Heim tatsächlich 1993 verstorben sei?
Behält Nazi-Jäger Zuroff Recht und
die Verhaftung steht bevor, könnte es zur späten Schließung
eines der letzten offenen NS-Akten kommen. Mindestens 45
Jahre, zehn Monate und drei Tage nachdem Aribert Heim untertauchte.
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