Dienstag, 23. März 2010 18:17:14 wienerzeitung.at
"Keine Fortschritte in der Verfolgung"
Von Katharina Schmidt

Efraim Zuroff, Direktor des Simon Wiesenthal Center, im Interview.

"Wiener Zeitung": Was sagen Sie zum Urteil gegen Heinrich Boere?

Efraim Zuroff: Natürlich bin ich sehr erfreut darüber, dass er zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Das setzt einer sehr langen Geschichte ein Ende, die in den späten 1940ern begonnen hat, als er in den Niederlanden verurteilt wurde.
Am Ende bekommt er, was er verdient. Das ist auch ein sehr starkes Zeichen dafür, dass man auch heute noch Nazi-Verbrecher bestrafen kann, auch wenn ihre Taten viele Jahre zurückliegen.

Wie viele Kriegsverbrecher sind Ihrer Einschätzung nach noch am Leben?

Das kann niemand so genau beantworten, aber es sind nicht wenige. Viele Hunderttausende waren an der Umsetzung der Endlösung beteiligt. Es geht aber heute nicht mehr so sehr darum, die Täter oder die Beweise zu finden. Vielmehr geht es darum, ob der politische Wille in jenen Ländern, wo die Verbrechen begangen wurden, da ist, diese Leute vor Gericht zu bringen. Viele Länder tun das nicht. Dafür ist Österreich das beste Beispiel.

Sie kritisieren immer wieder, dass Österreich nicht genug tut, um Nazi-Verbrecher vor Gericht zu bringen. Sehen Sie da eine Veränderung?

Nein. In Deutschland hat sich etwas verändert. Bis vor zwei Jahren haben die deutschen Behörden nur die hohen Kader verfolgt. Nun haben sie ihre Verfolgungspraxis geändert, um mehr Leute vor Gericht zu stellen. Österreich hingegen hat in den letzten 30 Jahren keinen einzigen Kriegsverbrecher erfolgreich vor Gericht gestellt. Denken Sie, dass ein Mensch in Österreich glaubt, dass es dort keine Nazis gibt?

Was ist der Grund dafür?

Gerichtsurteile spiegeln – auch wenn die Unabhängigkeit der Justiz betont wird – die Prioritäten der Politik wider. In Deutschland ist also die Politik um einiges mehr an der Verfolgung von Nazis interessiert als in Österreich.

Die Verfolgungspraxis hängt also nur von der Politik ab?

Ja, ausschließlich. Ohne Frage hat sich die österreichische Einstellung zum Holocaust verbessert. Mittlerweile erkennt man, dass Österreich Teil des Problems war. Aber bei der Verfolgung hat es absolut keine Fortschritte gegeben – das ist haarsträubend.

Milivoj Aš ner wird nicht verfolgt, weil er dement ist.

Aber in Österreich ist doch jeder Nazi dement. Ašner erinnert sich sehr gut daran, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist. In der Minute, in der festgestellt wurde, dass er kein österreichischer Staatsbürger ist, hätte man ihn in den Zug nach Zagreb setzen sollen. Das ist nie passiert – man hat zugewartet, bis man sagen konnte, dass er an Demenz leidet.

Wie lange machen Sie weiter?

Ich kann nicht ewig weitermachen. In wenigen Jahren ist es vorbei, dann wird niemand mehr von mir belästigt. Täte ich es nicht, würde ich die Opfer der Nazis betrügen. Österreich ist aber das frustrierendste Land der Welt für mich.

Efraim Zuroff ist Direktor des Simon Wiesenthal Center in Jerusalem. Vor Kurzem ist sein Buch "Operation Last Chance". One Man’s Quest to Bring Nazi Criminals to Justice" im Palgrave Macmillan Verlag erschienen.

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