Efraim
Zuroff, Direktor des Simon Wiesenthal Center, im Interview.
"Wiener Zeitung": Was sagen Sie zum Urteil gegen Heinrich Boere?
Efraim Zuroff: Natürlich bin ich sehr
erfreut darüber, dass er zu lebenslanger Haft verurteilt
wurde. Das setzt einer sehr langen Geschichte ein Ende, die
in den späten 1940ern begonnen hat, als er in den Niederlanden
verurteilt wurde.
Am Ende bekommt er, was er verdient. Das ist auch ein sehr
starkes Zeichen dafür, dass man auch heute noch Nazi-Verbrecher
bestrafen kann, auch wenn ihre Taten viele Jahre zurückliegen.
Wie viele Kriegsverbrecher sind Ihrer
Einschätzung nach noch am Leben?
Das kann niemand so genau beantworten,
aber es sind nicht wenige. Viele Hunderttausende waren an
der Umsetzung der Endlösung beteiligt. Es geht aber heute
nicht mehr so sehr darum, die Täter oder die Beweise zu finden.
Vielmehr geht es darum, ob der politische Wille in jenen
Ländern, wo die Verbrechen begangen wurden, da ist, diese
Leute vor Gericht zu bringen. Viele Länder tun das nicht.
Dafür ist Österreich das beste Beispiel.
Sie kritisieren immer wieder, dass
Österreich nicht genug tut, um Nazi-Verbrecher vor Gericht
zu bringen. Sehen Sie da eine Veränderung?
Nein. In Deutschland hat sich etwas
verändert. Bis vor zwei Jahren haben die deutschen Behörden
nur die hohen Kader verfolgt. Nun haben sie ihre Verfolgungspraxis
geändert, um mehr Leute vor Gericht zu stellen. Österreich
hingegen hat in den letzten 30 Jahren keinen einzigen Kriegsverbrecher
erfolgreich vor Gericht gestellt. Denken Sie, dass ein Mensch
in Österreich glaubt, dass es dort keine Nazis gibt?
Was ist der Grund dafür?
Gerichtsurteile spiegeln – auch wenn
die Unabhängigkeit der Justiz betont wird – die Prioritäten
der Politik wider. In Deutschland ist also die Politik um
einiges mehr an der Verfolgung von Nazis interessiert als
in Österreich.
Die Verfolgungspraxis hängt also nur
von der Politik ab?
Ja, ausschließlich. Ohne Frage hat
sich die österreichische Einstellung zum Holocaust verbessert.
Mittlerweile erkennt man, dass Österreich Teil des Problems
war. Aber bei der Verfolgung hat es absolut keine Fortschritte
gegeben – das ist haarsträubend.
Milivoj Aš ner wird nicht verfolgt,
weil er dement ist.
Aber in Österreich ist doch jeder
Nazi dement. Ašner erinnert sich sehr gut daran, was im Zweiten
Weltkrieg passiert ist. In der Minute, in der festgestellt
wurde, dass er kein österreichischer Staatsbürger ist, hätte
man ihn in den Zug nach Zagreb setzen sollen. Das ist nie
passiert – man hat zugewartet, bis man sagen konnte, dass
er an Demenz leidet.
Wie lange machen Sie weiter?
Ich kann nicht ewig weitermachen.
In wenigen Jahren ist es vorbei, dann wird niemand mehr von
mir belästigt. Täte ich es nicht, würde ich die Opfer der
Nazis betrügen. Österreich ist aber das frustrierendste Land
der Welt für mich.
Efraim Zuroff ist Direktor des Simon
Wiesenthal Center in Jerusalem. Vor Kurzem ist sein Buch "Operation Last Chance". One Man’s Quest to Bring Nazi Criminals to Justice" im Palgrave Macmillan Verlag erschienen.
wienerzeitung.at
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