08.04.2013 18:10 diepresse.com
NS-Vergangenheit: Vor Anklage gegen vier Altnazis?
PHILIPP AICHINGER

Während das Simon-Wiesenthal-Zentrum im aktuellen Jahresbericht Österreichs Justiz kritisiert, verweist das Justizministerium auf jüngste Recherchen: Experten suchen nach ungesühnten Verbrechen.

Wien. F – die schlechtestmögliche Note bekommt Österreich im aktuellen Jahresbericht des Simon-Wiesenthal-Zentrums. Es gebe in Österreich keinen politischen Willen, NS-Verbrecher vor Gericht zu bringen, heißt es in der Begründung.

Es ist nicht das erste Mal, dass Österreich im Jahresbericht eine schlechte Note bekommt. Vor allem im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen kroatischen Kriegsverbrecher Milivoj Ašner hat die heimische Justiz Kritik einstecken müssen. Ašner, einer der meistgesuchten Leute weltweit, flüchtete nach dem Zweiten Weltkrieg nach Österreich, wo er unbehelligt lebte und eingebürgert wurde. 2004 wurde zwar ein Gerichtsverfahren eingeleitet, wegen schwerer Demenz galt Ašner aber als nicht mehr verhandlungsfähig, 2011 starb der Mann 98-jährig. Im Justizministerium betont man, dass man auf die Kritik im Fall Ašner bereits reagiert habe: So wurde im Februar 2010 eine eigene Arbeitsgruppe zur Ausforschung mutmaßlicher NS-Täter im Justizministerium gegründet. Die nun erneut schlechte Bewertung des Wiesenthal-Zentrums sei „nicht leicht nachzuvollziehen“, erklärte am Montag ein Sprecher von Justizministerin Beatrix Karl. Auch die Statistik des Wiesenthal-Zentrums zeige in der Gesamtübersicht der in den letzten zehn Jahren untersuchten Fälle, dass Österreich hinter Polen und Deutschland auf dem dritten Platz liege.

188 verdächtige Personen

Doch was hat die seit drei Jahren aktive Arbeitsgruppe, der auch Historiker des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW) angehören, herausgefunden? Laut den der „Presse“ vorliegenden Daten wurden die Namen von 188 neu verdächtigen Personen herausgefiltert. Bei 145 davon schied ein Verfahren aber aus, weil es nicht mehr genügend Anhaltspunkte gab, um die Täter als solche zu identifizieren. In 39Fällen musste das Verfahren wegen des Ablebens der Verdächtigen eingestellt werden. Bei zwei Personen war die Einleitung des Strafverfahrens nicht möglich, weil sie zum Tatzeitpunkt noch unter 21Jahren waren und als jugendlich galten. Bei Jungtätern kann Verjährung eintreten. Bei zum Tatzeitpunkt volljährigen Personen hingegen verjährt Mord nie: Zwei im Zuge der Recherche ausgekundschaftete Personen müssen deswegen zittern. Sie stehen im Verdacht, an KZ-Morden beteiligt gewesen zu sein. Es wird nun noch geprüft, ob eine Anklage möglich ist.

Eine Anklage wird zudem bei zwei weiteren Personen, die nach Informationen aus dem Ausland verdächtig wurden, ins Auge gefasst. Insgesamt gibt es somit vier Nazi-Täter, die in Österreich vor Gericht gestellt werden könnten. Nach Informationen aus dem Ausland sind zuletzt sogar elf Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Sechsmal musste das Verfahren aus Beweismangel eingestellt werden, dreimal starb der Beschuldigte.

Letzte Verurteilung gab es 1972

Neben Beweisproblemen gilt es bei Nazis auch knifflige juristische Fragen zu klären: So muss das Nazi-Recht von einst und das heutige österreichische Strafrecht auf Differenzen untersucht werden, um Anklagen möglich zu machen. Die Zeit für die juristische Aufarbeitung drängt aber in Anbetracht des Alters der Verdächtigen. Und Verurteilungen gab es in Österreich schon lange nicht mehr: Das letzte Mal wurde in Österreich 1972 ein Altnazi schuldig gesprochen: Der SS-Hauptsturmführer Franz Novak, der Eisenbahntransporte zur Deportation der Juden in Konzentrations- und Vernichtungslager koordiniert hatte, wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt. Ins Gefängnis musste er aber nicht mehr: Fünf Jahre aus der Untersuchungshaft wurden ihm angerechnet, die restliche Haft wurde ihm erlassen. Simon Wiesenthal rechnete vor, dass Novak nur drei Minuten und 20 Sekunden pro Person, die er in den Untergang fahren ließ, ins Gefängnis musste. Anklagen ohne Verurteilung gab es immer wieder: So stand etwa der Nazi-Arzt Heinrich Gross mehrfach vor Gericht. Nach Freispruch in den 1950er-Jahren scheiterte ein von der Justiz neu angestrengter Prozess im Jahr 2000 an der Demenzerkrankung des Mannes.

Mit wenig Ruhm bekleckerte sich Österreich bei der Suche nach dem auch als Dr. Tod bezeichneten Nazi-Arzt Aribert Heim: Das Innenministerium schrieb den inzwischen Verstorbenen jahrelang mit falschem Foto zur Fahndung aus.

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