09.01.2014 | 18:24 | diepresse.com
SS-Massaker: Niederösterreicher unter Verdacht
von Irene Zöch (Die Presse)

Ein 89-jähriger Niederösterreicher soll 1944 an der Ermordung von 624 Zivilisten im französischen Oradour beteiligt gewesen sein. Deutsche Behörden ermitteln. 

Wien. Der Befehl, den die SS-Soldaten am Vormittag des 10.Juni 1944 erhielten, war klar und deutlich: Vier Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie sollten sie die französische Ortschaft Oradour-sur-Glane „niederbrennen und ohne Ausnahme alle Personen vom Säugling bis zum Greis vernichten“. Wenige Stunden später hatten die Männer der 3. Kompanie des I. Bataillons des SS-Panzergrenadier-Regiments 4 „Der Führer“ den Auftrag ausgeführt: 624 Einwohner des kleinen Dorfes hatten sie ermordet, die Kirche in die Luft gesprengt und das Dorf niedergebrannt. Nur wenige Menschen überlebten.

70 Jahre später beschäftigt sich nun die deutsche Justiz mit dem Massaker von Oradour – und zwingt nun auch die österreichischen Behörden, sich mit diesem Thema zu befassen: Das Landeskriminalamt Düsseldorf ermittelt gegen einen 89 Jahre alten Niederösterreicher, der an den Gräueltaten in Zentralfrankreich 1944 beteiligt gewesen sein soll. Gleichzeitig hat die Oberstaatsanwaltschaft Dortmund bereits gegen einen 88 Jahre alten Kölner Anklage erhoben, gegen fünf weitere Deutsche wird – wie gegen den Österreicher – derzeit ermittelt.

Bei ihren Nachforschungen stützt sich die Oberstaatsanwaltschaft auf Namenslisten von Soldaten, die in der 3. Kompanie dienten. Und der Name des Österreichers, dessen Identität und Wohnort der leitende Staatsanwalt nicht bekannt geben will, fand sich auf dieser Liste. Als gesichert gilt, dass die gesamte Kompanie in Oradour eingesetzt war. „Das reicht als Grund, Ermittlungen gegen Einzelne einzuleiten“, sagt der Dortmunder Oberstaatsanwalt Andreas Brendel zur „Presse“. Die Deutschen stellten ein Rechtshilfegesuch an die zuständige Behörde in Österreich, die Staatsanwaltschaft Korneuburg. „Es gibt noch keinen hinreichenden Tatverdacht. Allein der Einsatz in Oradour reicht nicht für eine Anklage aus“, erklärt Oberstaatsanwalt Brendel. „Jetzt geht es darum, was der Tatverdächtige denn in Oradour gemacht hat. Aber es ist äußerst schwierig, das festzustellen.“

 Landet Prozess vor Jugendgericht?
Zu einem gemeinsamen Einsatz deutscher und österreichischer Polizeibeamter ist es bereits vor mehr als einem Jahr gekommen: Eine Durchsuchung der Wohnung des 89-Jährigen brachte aber „keine Ergebnisse“. „Der Mann selbst hat sich zu den Vorwürfen nicht geäußert“, sagt Brendel. Zwar strengt die Staatsanwaltschaft Dortmund weitere Ermittlungen an, eine Anklage müsste aber in Österreich erfolgen.

Die Beweislage im Fall des 88-jährigen Kölners Werner C. war für die Staatsanwaltschaft ausreichend. Die Anklage gegen den Kölner lautet gemeinschaftlich begangener Mord an 25 Menschen und Beihilfe zum Mord an mehreren hundert Menschen. An der Erschießung von 25 Männern in einem Weinlager soll er direkt beteiligt gewesen sein. Danach soll der Mann Wache gestanden sein, als Frauen und Kinder in der Kirche eingesperrt und getötet wurden. Nun muss das Landgericht Köln klären, ob ein mögliches Verfahren vor dem Jugendgericht landet, weil der frühere SS-Soldat zur Tatzeit erst 19 Jahre alt war – wie übrigens auch der Österreicher.

 Großer Prozess in Bordeaux
Mit dem Massaker von Oradour haben sich schon zwei Gerichte befasst: 1953 fand ein Verfahren in Bordeaux gegen 21 Anwesende und 44 Flüchtige statt. Der Ex-Zugführer Heinz Barth, der in Frankreich zum Tode verurteilt worden war, wurde noch einmal der Prozess gemacht, in der DDR: 1983 erhielt er in Berlin lebenslänglich, kam 1997 aber wegen seiner schlechten Gesundheit frei.

diepresse.com