25. April 2003, 02:06 Neue Zürcher Zeitung
  Simon Wiesenthal zieht sich zurück

 
 

Äusserung in einem Interview

cer. Wien, 24. April

Der heute 94-jährige Simon Wiesenthal hat in einem Interview mit der österreichischen Wochenzeitschrift «Format» Bilanz seiner jahrzehntelangen Fahndung nach NS-Verbrechern gezogen. Die Massenmörder, die er gesucht habe, sagt Wiesenthal, habe er gefunden. Er habe sie «alle überlebt». Wenn es welche gebe, die seinen Nachforschungen entgangen seien, so seien sie heute zu alt und zu gebrechlich, um sich noch vor den Gerichten zu verantworten.

Seine Devise «Recht, nicht Rache» habe er, wie er in dem Gespräch rückblickend feststellt, weitgehend verwirklichen können. Wiesenthal hatte sich nach Auskunft seines Büros schon vor einigen Jahren von der aktiven Suche nach NS-Verbrechern zurückgezogen. Doch nach wie vor verbringt er täglich mindestens eine Stunde in dem von ihm ursprünglich 1947 in Linz gegründeten und 1961 nach Wien verlagerten «Dokumentationszentrum des Bundes jüdischer Verfolgter des Naziregimes». Wiesenthal sieht seine Lebensaufgabe naturgemäss als «nie beendet» an. Nunmehr will sich der Hochbetagte gegen das Vergessen oder Verharmlosen der NS-Verbrechen einsetzen; er möchte Kommunikation und Aufklärung fördern. Sein Wiener Büro wird weiterhin Hinweise auf mutmassliche Naziverbrecher entgegennehmen und diese weiterleiten.

Die aktive Suche überlässt Wiesenthal allerdings den nach ihm benannten Zentren in Los Angeles, Jerusalem und Paris. Efraim Zuroff, der Leiter des Zentrums Jerusalem, ist schon vor einem Vierteljahrhundert in die Fussstapfen Simon Wiesenthals getreten. Zuroff interessiert sich gegenwärtig besonders für die Aktivität österreichischer Polizeibataillone, die laut Aktenfunden aus jüngster Zeit ebenso an Aktionen zur Judenvernichtung im Osten im Schatten der deutschen Wehrmacht beteiligt waren wie die SS. In einem Interview mit «Format» beklagt Zuroff allerdings die von ihm behauptete «Inaktivität der österreichischen Behörden». Diese hätten «keine nennenswerten Aktivitäten» zur Aufklärung immer noch unaufgedeckter NS-Verbrechen entfaltet - nach Meinung Zuroffs ein «direktes Resultat des fehlenden Willens, NS-Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen».

URL: http://www.nzz.ch/2003/04/25/al/page-article8TFX7.html