24.09.2005 Tagblatt
  Wiesenthals letzter Fall

 
 

«Operation letzte Chance» letzter Erfolg des legendären Nazi-Jägers?

Drei Tage nach dem Tod von Simon Wiesenthal wird Österreich einmal mehr von seiner NS-Vergangenheit eingeholt: Jahrzehntelang blieb ein mutmasslicher Kriegsverbrecher unbehelligt, erst jetzt wird gegen ihn ermittelt.

Rudolf Gruber/Wien

Es ist quasi der letzte Fall des legendären Nazi-Jägers, der gestern in Israel beigesetzt wurde: Seit mehr als einem Jahr läuft die Operation «Letzte Chance», die das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem zur Ausforschung noch lebender und unbestrafter Nazi-Verbrecher startete.

Unbehelligt in Kärnten

Einer der grössten Erfolge dieser Aktion könnte sein, dass ein schweres Verbrechen in Kroatien doch noch vor Gericht kommt. Milivoj Asner ist jetzt 92 Jahre alt. Zwischen Mai 1941 und September 1942 war der Jurist Polizeichef in der ostkroatischen Kleinstadt Pozega. In Kroatien war damals die Ustascha, das faschistische Marionettenregime von Hitlers Gnaden, an der Macht. Das Wiesenthal-Zentrum lastet Asner die Deportation von 28 jüdischen Familien an. Ausserdem soll er für die Ermordung von mehreren Hundert weiterer Häftlinge, namentlich Serben und Roma, verantwortlich sein. Sie alle starben im nahe gelegenen Todeslager Jasenovac. Nach der Machtergreifung der Tito-Kommunisten floh Asner nach Österreich, als Dr. Georg Aschner lebt er bis heute in der Kärntner Landesmetropole Klagenfurt. 1952 bekam er neben dem kroatischen auch den österreichischen Pass. Das bis heute andauernde nazifreundliche Klima im Haiderland schützte ihn vor gerichtlicher Verfolgung. 1991, als sich Kroatien vom alten Jugoslawien lossagte, wagte der eingefleischte Nationalist Asner erstmals die Rückkehr in seine Heimat. Er wollte sich dort sogar politisch betätigen und gründete eine Splittergruppe der nationalistischen «Bauernpartei». Als aber der Staatsanwalt in Pozega gegen ihn zu ermitteln begann, zog es Asner vor, wieder zu seinem Sohn nach Kärnten zurückzukehren.

«Kommunistische Intrige»

Die kroatische Justiz war aufgrund der Recherchen von Alen Budaj, eines 28-jährigen Publizisten aus Pozega und Nachkommen ermordeter Juden, aktiv geworden. Budajs Dossier und eine Namenliste von 16 Belastungszeugen rechtfertigte ein Verfahren gegen Asner, zitiert die Zeitung «Slobodna Dalmacija» einen kroatischen Justizsprecher. In einem Artikel der Zeitschrift «Die Jüdische» bestreitet Asner die schweren Anschuldigungen. Er sei nur ein einfacher Stadtpolizist gewesen und selbst verfolgt worden, weil er auch gegen Ustascha-Anhänger vorgegangen sei. Gestern sagte er gegenüber Medien: «Das ist eine kommunistische Intrige. Ich lebe seit über 40 Jahren in Österreich, warum hat man bisher nichts gefunden?» Efraim Zuroff, der Direktor des Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem, kritisierte gestern Österreichs Regierung, sie verschleppe den Fall: «Wenn Wien jetzt nicht handelt, sind die vielen Lobpreisungen für den verstorbenen Simon Wiesenthal bedeutungslos.»

Wien lehnt Auslieferung ab

Ein Klagenfurter Staatsanwalt hatte erst im Juli dieses Jahres Ermittlungen eingeleitet. Das umfangreiche Material müsse erst übersetzt werden, hiess es. Die kroatische Regierung wiederum stellte vorgestern einen Auslieferungsantrag an Österreich, ein Jahr nach einem Besuch Zuroffs in Zagreb. Das Wiener Justizministerium lehnte den Antrag bereits gestern ab, eine Auslieferung österreichischer Staatsbürger sei nicht möglich. Asner werde deshalb in Österreich vor Gericht gestellt.

Ob Asner auch verurteilt wird, ist aber völlig offen: Sollte er nicht anhand von konkreten Dokumenten überführt werden können, gelten die ihm angelasteten Taten als verjährt. Österreichs unrühmliche Liste der nicht belangten oder freigesprochenen Nazi-Verbrecher wäre dann um einen Fall länger.

Tagblatt, 24.09.2005