01.09.2003 berlinonline
  Operation letzte Chance

 
 

By Andreas Förster

10 000 Dollar für Hinweise auf NS-Kriegsverbrecher

BERLIN, 31. August. Das Simon Wiesenthal Center in Jerusalem erhöht den Druck auf Österreich, die Strafverfolgung gegen frühere NS-Kriegsverbrecher wieder aufzunehmen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten sei in Österreich keinem Holocaust-Täter mehr der Prozess gemacht worden, heißt es in einem Bericht des Centers, das die weltweite Verfolgung von NS-Verbrechen koordiniert. Im September will die Einrichtung aus Jerusalem daher in Wien die "Operation letzte Chance" starten, von der sie sich weitere Hinweise auf in Österreich versteckte Kriegsverbrecher erhofft. Eine ähnliche Aktion hatte das Wiesenthal Center erstmals im Vorjahr in den baltischen Staaten durchgeführt.

Bei der "Operation letzte Chance" wird für Hinweise, die zu Ermittlungen gegen NS-Täter führen, eine Prämie von 10 000 US-Dollar ausgesetzt. Die Aktion hatte in den baltischen Staaten zwar für viel Kritik gesorgt, war aber auch erfolgreich: In Litauen wurden zwei Mordermittlungsverfahren gegen insgesamt zwanzig Verdächtige eröffnet. Dass das Wiesenthal Center jetzt auch in Österreich zu der von konservativen Kreisen schon als "Kopfgeldjagd" bezeichneten Aktion aufruft, hat mit der dort praktisch seit langem eingestellten Strafverfolgung von NS-Tätern zu tun. Im jüngsten Bericht des Centers über die "Weltweite Untersuchung und Verfolgung von NS-Kriegsverbrechen" kommt das deutsche Nachbarland ganz schlecht weg.

Keine Verfahren in Österreich

" Österreich ist jenes Land, das - gemessen an der Zahl potenzieller Verdächtiger und Täter - am wenigsten getan hat, Menschen vor Gericht zu stellen", heißt es in dem Bericht. In mehr als einem Dutzend Staaten weltweit laufen derzeit dem Bericht zufolge noch Ermittlungen gegen rund 500 Verdächtige. Allein zwischen April 2002 und März 2003 kam es zu sechs Urteilen gegen NS-Kriegsverbrecher. Das letzte in Österreich geführte Gerichtsverfahren gegen einen Nazi-Täter datiert dagegen aus dem Jahre 1975.

Der Zorn über die österreichische Schlussstrich-Mentalität hatte das Wiesenthal Center bereits im vergangenen Monat zu einem ungewöhnlichen Schritt veranlasst. Im August übergab der Direktor des Centers, Efraim Zuroff, der Botschaft Wiens in Israel eine Liste mit 47 Namen von Österreichern, die im Verdacht stehen, an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein.

Einem Bericht des österreichischen Nachrichtenmagazins profil zufolge handelt es sich dabei um Männer, die als Angehörige der berüchtigten Polizeibataillon an Judenmorden und anderen Kriegsverbrechen in Osteuropa beteiligt waren. Wie Zuroff dem Magazin sagte, nimmt das Wiesenthal Center an, dass diese Männer noch am Leben sind und in Österreich wohnen.

Knapp die Hälfte der übermittelten Namen betreffen ehemalige Angehörige der Polizeibataillone 61 und 316. Neben den Namen enthält die Liste auch Angaben zu den Bataillonen 314 und 318, deren Heimatstandort jeweils Wien gewesen ist.

Letztes Urteil 1975 // Ein Freispruch war das letzte Urteil in einem NS-Kriegsverbrecherprozess in Österreich. Am 2. Dezember 1975 wurde der frühere SS-Mann Johann Gogl, dem vielfacher Mord im Konzentrationslager Mauthausen vorgeworfen worden war, von jeder Schuld freigesprochen.

Noch in den ersten Nachkriegsjahren hatten eigens gebildete Volksgerichte zwischen 3 000 und 4 000 Urteile gegen NS-Täter ausgesprochen. Ab 1948 aber, als eine Vielzahl der Verurteilten durch eine erste Amnestie freikam, ließ die Ermittlungstätigkeit rapide nach. 1955 wurden die Volksgerichte aufgelöst.

Bis 1975 kamen nur noch 48 Menschen wegen schwerer Kriegsverbrechen vor ein österreichisches Gericht; 20 von ihnen wurden verurteilt.

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