04. September 2007 12:46 MESZ 

 
  Justizministerium räumt Versäumnisse ein  
 

Wiesenthal Center konstatierte "mangelhafte" Strafverfolgung von NS-Tätern und "bodenloses Versagen" der österreichischen Justiz

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Wien - Das Justizministerium hat am Dienstag Kritik des Simon Wiesenthal Centers (SWC) in Jerusalem zurückgewiesen, die österreichische Justiz versage bei der Strafverfolgung mutmaßlicher NS-Verbrecher. Gleichzeitig räumte Sprecher Thomas Geiblinger "Versäumnisse" ein - wenn auch nicht in der Amtszeit der aktuellen Justizministerin Maria Berger. "Die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte sind jetzt ungleich schwerer aufzuarbeiten", sagte Geiblinger der APA auf Anfrage.

"Sehr viel passiert"

Seit Berger zu Jahresbeginn ihr Amt angetreten habe, sei "sehr viel passiert", entgegnete der Sprecher des Justizministerium den Vorwürfen des SWC in einem am Montag vorgelegten Bericht zu Ermittlungen gegen mutmaßliche Nazi-Verbrecher weltweit. Für die Zeit davor könne er nicht sprechen, betonte Geiblinger.

Hinweise zu Brunner und Heim

Geiblinger verwies darauf, dass im Juli "zum ersten Mal in der Geschichte" in Österreich Ergreiferprämien gegen mutmaßliche NS-Täter ausgesetzt wurden - nämlich gegen Aribert Heim (93), der 1941 als SS-Arzt im Konzentrationslager Mauthausen zahlreiche Häftlinge durch Herzinjektionen ermordet haben soll, sowie gegen den früheren SS-Hauptsturmführer Alois Brunner (95), dem vorgeworfen wird, u.a. in Griechenland und Ungarn an der Deportation von Juden mitgewirkt zu haben. Gegen beide liegt ein österreichischer Haftbefehl vor.

Laut Geiblinger sind, seit es die Ergreiferprämien zu je 50.000 Euro gibt, rund zehn Hinweise zu Brunner und Heim eingegangen. Fünf davon seien "konkreter", das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) gehe ihnen nach. Der Sprecher des Innenministeriums, Rudolf Gollia, bestätigte dies gegenüber der APA, wollte aus "fahndungstaktischen Gründen" aber keine näheren Angaben machen.

Brunner wird in Syrien vermutet. Den Angaben Geiblingers zufolge sind Versuche ab den 70er Jahren, auf diplomatischem Weg eine Auslieferung bei Damaskus herbeizuführen, nicht erfolgreich gewesen. Heim sei in den 90er Jahren in Chile gesichtet worden; sein angeblicher Aufenthalt auf den Kanarischen Inseln danach habe sich nicht bestätigt. Laut dem Wiesenthal Center ist Heim seit 1962 untergetaucht. Es gebe "deutliche Hinweise", dass er noch am Leben sei.

"Hände gebunden"

Zum Fall des in Kärnten lebenden Milivoj Asner (Aschner), der während des faschistischen Ustascha-Regimes in Kroatien im Zweiten Weltkrieg als Polizeichef der Stadt Slavonska Pozega für Verbrechen an der Zivilbevölkerung, Deportationen in Konzentrationslager sowie Raub und Vertreibung verantwortlich sein soll, verwies Geiblinger auf zwei vom Justizministerium in Auftrag gegebene Ärzte-Gutachten: Der über 90-jährige Asner ist demnach weder vernehmungs- noch verhandlungsfähig. Daher könne er auf Basis der gültigen Rechtslage nicht an Kroatien ausgeliefert werden. "Da sind uns die Hände gebunden", sagte der Sprecher.

Der Fall der ehemaligen Wächterin im KZ Majdanek, Erna Wallisch, werde im Justizministerium gerade erneut geprüft, so Geiblinger weiter. Nach Angaben des Nazi-Jägers Efraim Zuroff vom SWC, bewachte Wallisch, die angeblich in Wien lebt, die Opfer, als sie zu den Gaskammern geführt wurden und soll laut einem Überlebenden auch an der Selektion der Opfer teilgenommen haben. In Polen laufen Ermittlungen gegen sie.

"Wichtiges Anliegen"

Geiblinger sagte, dass die Strafverfolgung von mutmaßlichen NS-Verbrechern heute schwierig sei. Nicht nur die mutmaßlichen Täter, auch die Zeugen seien betagt. "Die Zeit arbeitet gegen uns." Ministerin Berger sei die Strafverfolgung jedenfalls "ein wichtiges Anliegen", strich Geiblinger hervor.

Kritik des Simon Wiesenthal Center

Das Simon Wiesenthal Center in Jerusalem hatte am Montag bereits zum zweiten Mal in Folge das Versagen der österreichischen Justiz kritisiert, erfolgreich rechtliche Schritte gegen Holocaust-Täter einzuleiten. Obwohl in den vergangenen Jahren Untersuchungen in mehreren Fällen initiiert worden seien, sei es es zu keiner einzigen Anklage gekommen, heißt es in einer am Montag veröffentlichten Aussendung anlässlich der Vorlage des sechsten Jahresbericht über die weltweite Strafverfolgung von Nazi-Verbrechern.

Österreich und Deutschland "mangelhaft"

Der Bericht, der den Zeitraum vom 1. April 2006 bis 31. März 2007 untersucht, vergibt Noten für die Bemühungen von Ländern, in denen entweder NS-Verbrechen passiert sind oder die nach dem Zweiten Weltkrieg Holocaust-Täter aufgenommen haben. Österreich erhielt ebenso wie Deutschland die Note "mangelhaft" ("Failure in practice").

Dem Bericht des Wiesenthal Centers zufolge ist es der österreichischen Justiz in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht gelungen, einen einzigen Nazi-Verbrecher zu verurteilen. Im zurückliegenden Untersuchungszeitraum des jüngsten Jahresberichts sei in Österreich diesbezüglich kein wesentlicher Fortschritt verzeichnet werden. "Bedenkt man die große Anzahl potenzieller Verdächtiger in Österreich, könnte man erheblich bessere Ergebnisse von der österreichischen Justiz erwarten", so Efraim Zuroff, der Leiter des Jerusalemer Büros des Wiesenthal Centers.

"Mangel an politischem Willen"

Schuld daran ist laut Zuroff der "offensichtliche Mangel an politischem Willen". Schon im Februar 2006 hatte Zuroff Österreich nach Begegnungen mit den damaligen Ministerinnen Karin Gastinger (Justiz/B) und Liese Prokop (Inneres/V) als "Paradies für NS-Verbrecher" bezeichnet.

Laut Zuroff, dem weltweit die Koordination der Nachforschungen obliegt, soll der Bericht die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Thema lenken und dadurch zu einer Verstärkung der Bemühungen zur Verfolgung von NS-Tätern beitragen. In diesem Zusammenhang hob er die Erfolge der USA und Italiens hervor. Ländern wie Deutschland, Polen, Litauen, Lettland und Kanada warf er dagegen ebenso wie Österreich "bodenloses Versagen" vor. (APA)