Wiesenthal Center konstatierte "mangelhafte" Strafverfolgung
von NS-Tätern und "bodenloses Versagen" der österreichischen Justiz
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Wien - Das Justizministerium hat am
Dienstag Kritik des Simon Wiesenthal Centers (SWC) in Jerusalem
zurückgewiesen, die österreichische Justiz versage bei der
Strafverfolgung mutmaßlicher NS-Verbrecher. Gleichzeitig
räumte Sprecher Thomas Geiblinger "Versäumnisse" ein - wenn auch nicht in der Amtszeit der aktuellen Justizministerin Maria Berger. "Die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte sind jetzt ungleich schwerer aufzuarbeiten", sagte Geiblinger der APA auf Anfrage.
"Sehr viel passiert"
Seit Berger zu Jahresbeginn ihr Amt
angetreten habe, sei "sehr viel passiert", entgegnete der Sprecher des Justizministerium den Vorwürfen des SWC in einem
am Montag vorgelegten Bericht zu Ermittlungen gegen mutmaßliche
Nazi-Verbrecher weltweit. Für die Zeit davor könne er nicht
sprechen, betonte Geiblinger.
Hinweise zu Brunner und Heim
Geiblinger verwies darauf, dass im
Juli "zum ersten Mal in der Geschichte" in Österreich Ergreiferprämien gegen mutmaßliche NS-Täter ausgesetzt wurden
- nämlich gegen Aribert Heim (93), der 1941 als SS-Arzt im
Konzentrationslager Mauthausen zahlreiche Häftlinge durch
Herzinjektionen ermordet haben soll, sowie gegen den früheren
SS-Hauptsturmführer Alois Brunner (95), dem vorgeworfen wird,
u.a. in Griechenland und Ungarn an der Deportation von Juden
mitgewirkt zu haben. Gegen beide liegt ein österreichischer
Haftbefehl vor.
Laut Geiblinger sind, seit es die
Ergreiferprämien zu je 50.000 Euro gibt, rund zehn Hinweise
zu Brunner und Heim eingegangen. Fünf davon seien "konkreter", das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) gehe ihnen
nach. Der Sprecher des Innenministeriums, Rudolf Gollia,
bestätigte dies gegenüber der APA, wollte aus "fahndungstaktischen Gründen" aber keine näheren Angaben machen.
Brunner wird in Syrien vermutet. Den
Angaben Geiblingers zufolge sind Versuche ab den 70er Jahren,
auf diplomatischem Weg eine Auslieferung bei Damaskus herbeizuführen,
nicht erfolgreich gewesen. Heim sei in den 90er Jahren in
Chile gesichtet worden; sein angeblicher Aufenthalt auf den
Kanarischen Inseln danach habe sich nicht bestätigt. Laut
dem Wiesenthal Center ist Heim seit 1962 untergetaucht. Es
gebe "deutliche Hinweise", dass er noch am Leben sei.
"Hände gebunden"
Zum Fall des in Kärnten lebenden Milivoj
Asner (Aschner), der während des faschistischen Ustascha-Regimes
in Kroatien im Zweiten Weltkrieg als Polizeichef der Stadt
Slavonska Pozega für Verbrechen an der Zivilbevölkerung,
Deportationen in Konzentrationslager sowie Raub und Vertreibung
verantwortlich sein soll, verwies Geiblinger auf zwei vom
Justizministerium in Auftrag gegebene Ärzte-Gutachten: Der
über 90-jährige Asner ist demnach weder vernehmungs- noch
verhandlungsfähig. Daher könne er auf Basis der gültigen
Rechtslage nicht an Kroatien ausgeliefert werden. "Da sind uns die Hände gebunden", sagte der Sprecher.
Der Fall der ehemaligen Wächterin
im KZ Majdanek, Erna Wallisch, werde im Justizministerium
gerade erneut geprüft, so Geiblinger weiter. Nach Angaben
des Nazi-Jägers Efraim Zuroff vom SWC, bewachte Wallisch,
die angeblich in Wien lebt, die Opfer, als sie zu den Gaskammern
geführt wurden und soll laut einem Überlebenden auch an der
Selektion der Opfer teilgenommen haben. In Polen laufen Ermittlungen
gegen sie.
"Wichtiges Anliegen"
Geiblinger sagte, dass die Strafverfolgung
von mutmaßlichen NS-Verbrechern heute schwierig sei. Nicht
nur die mutmaßlichen Täter, auch die Zeugen seien betagt. "Die Zeit arbeitet gegen uns." Ministerin Berger sei die Strafverfolgung jedenfalls "ein wichtiges Anliegen", strich Geiblinger hervor.
Kritik des Simon Wiesenthal Center
Das Simon Wiesenthal Center in Jerusalem
hatte am Montag bereits zum zweiten Mal in Folge das Versagen
der österreichischen Justiz kritisiert, erfolgreich rechtliche
Schritte gegen Holocaust-Täter einzuleiten. Obwohl in den
vergangenen Jahren Untersuchungen in mehreren Fällen initiiert
worden seien, sei es es zu keiner einzigen Anklage gekommen,
heißt es in einer am Montag veröffentlichten Aussendung anlässlich
der Vorlage des sechsten Jahresbericht über die weltweite
Strafverfolgung von Nazi-Verbrechern.
Österreich und Deutschland "mangelhaft"
Der Bericht, der den Zeitraum vom
1. April 2006 bis 31. März 2007 untersucht, vergibt Noten
für die Bemühungen von Ländern, in denen entweder NS-Verbrechen
passiert sind oder die nach dem Zweiten Weltkrieg Holocaust-Täter
aufgenommen haben. Österreich erhielt ebenso wie Deutschland
die Note "mangelhaft" ("Failure in practice").
Dem Bericht des Wiesenthal Centers
zufolge ist es der österreichischen Justiz in den vergangenen
drei Jahrzehnten nicht gelungen, einen einzigen Nazi-Verbrecher
zu verurteilen. Im zurückliegenden Untersuchungszeitraum
des jüngsten Jahresberichts sei in Österreich diesbezüglich
kein wesentlicher Fortschritt verzeichnet werden. "Bedenkt man die große Anzahl potenzieller Verdächtiger in Österreich, könnte
man erheblich bessere Ergebnisse von der österreichischen
Justiz erwarten", so Efraim Zuroff, der Leiter des Jerusalemer Büros des Wiesenthal Centers.
"Mangel an politischem
Willen"
Schuld daran ist laut Zuroff der "offensichtliche
Mangel an politischem Willen". Schon im Februar 2006 hatte Zuroff Österreich nach Begegnungen mit den damaligen
Ministerinnen Karin Gastinger (Justiz/B) und Liese Prokop
(Inneres/V) als "Paradies für NS-Verbrecher" bezeichnet.
Laut Zuroff, dem weltweit die Koordination
der Nachforschungen obliegt, soll der Bericht die Aufmerksamkeit
der Öffentlichkeit auf das Thema lenken und dadurch zu einer
Verstärkung der Bemühungen zur Verfolgung von NS-Tätern beitragen.
In diesem Zusammenhang hob er die Erfolge der USA und Italiens
hervor. Ländern wie Deutschland, Polen, Litauen, Lettland
und Kanada warf er dagegen ebenso wie Österreich "bodenloses Versagen" vor. (APA)
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