Österreich muss sich im Umgang mit seiner Vergangenheit im
National-Sozialismus wieder einmal heftiger Kritik stellen.
Das Simon-Wiesenthal-Center in Jerusalem wirft der österreichischen
Justiz bodenloses Versagen vor: NS-Verbrecher würden in
Österreich so gut wie nicht verfolgt bzw. verurteilt, heißt
es da. Österreichische Experten, konkret das Dokumentationsarchiv
des österreichischen Widerstandes (DÖW) teilen diese Meinung
und sagen: Ja in den vergangenen 30 Jahren ist tatsächlich
kein einziger NS-Täter verurteilt worden.
Keine Verurteilung seit den 70er Jahren
So scharf wie es das Wiesenthal-Center tut, will die Leiterin
des Dokumentationsarchivs Brigitte Bailer ihre Kritik an
der österreichischen Justiz nicht formulieren, das heißt "bodenloses
Versagen" will sie der Justiz nicht vorwerfen, aber: die inhaltliche also faktische Kritik
- so Bailer - unterschreibe sie Eins zu Eins: Seit den
70er Jahren sei es zu keiner Verurteilung eines NS-Verbrechers
in Österreich gekommen.
Später Umgang mit NS-Vergangenheit
Die Kritik aus Jerusalem, sei sehr wohl, vermutet Bailer,
bewusst scharf formuliert, um auf die Situation aufmerksam
zu machen. Inhaltlich sei sie aber berechtigt - vielleicht
mit einer Differenzierung:
Alleine am politischen Unwillen, wie
es das Wiesenthal-Center ja Österreich vorwirft, liege es
nur bedingt, so Bailer - dass in Österreich NS-Täter kaum
verfolgt, bzw. vors Gericht gestellt werden. Der offene Umgang
mit der NS-Vergangenheit sei erst sehr spät erfolgt - siehe
Waldheim-Debatte - da habe es sicher viele Versäumnisse gegeben,
meint Bailer.
Viele heute zu alt
Und ein weiterer Grund so Bailer: Viele NS-Täter seien heute
tatsächlich zu alt, also vernehmungsunfähig, um ihnen den
Prozess zu machen. Das treffe auch auf jene beiden Fälle
zu, so Bailer, von denen das Wiesenthal-Center ja Österreich
vorwirft, nichts zu unternehmen.
Zwei konkrete Fälle
Konkret kritisiert das Wiesenthal-Center ja, dass zwei der
elf meist gesuchtesten NS-Verbrecher unbehelligt in Österreich
sein würden. Nämlich der ehemalige Ustascha-Polizei-Chef
Aschner und die ehemalige KZ-Wächterin Wallisch. Laut Justizministerium
besagt im Fall Aschner ein Gutachten, dass der mittlerweile
93-Jährige vernehmungs- und prozessunfähig sei. Und im
Fall Wallisch, so das Justizministerium, sei ein Verfahren
aus Mangel an Beweisen bzw. wegen Verjährung eingestellt
worden.
Justiz bisher zu nachlässig
Trotzdem räumt die Leiterin des DÖW aber ein, dass die Justizminister
der vergangenen Jahre zu nachlässig in Sachen Strafverfolgung
von NS-Tätern vorgegangen seien: Bailer glaubt, es sei
ihnen kein großes Anliegen gewesen. Nachsatz: mit NS-Verbrechen
seien keine Wahlen zu gewinnen.
Hoffnung liegt bei Berger
Eine positive Wende - so Bailer sei derzeit jedoch politisch
schon auszumachen, nämlich jene Signale die die derzeitige
SPÖ-Justizministerin Berger setzt, indem sie erstmals eine
Ergreiferprämie auf NS-Verbrecher aussetzt. Ob dieses Signale
auch ihre gewünschte Wirkung bringen, werde sich -so Bailer
- erst zeigen, spätestens wenn das Wiesenthal Center in
einem Jahr wieder seinen Bericht veröffentlicht.
oe1.orf.at
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