Di, 04.09.2007

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  DÖW: NS-Kritik an Österreich berechtigt  
 

Österreich muss sich im Umgang mit seiner Vergangenheit im National-Sozialismus wieder einmal heftiger Kritik stellen. Das Simon-Wiesenthal-Center in Jerusalem wirft der österreichischen Justiz bodenloses Versagen vor: NS-Verbrecher würden in Österreich so gut wie nicht verfolgt bzw. verurteilt, heißt es da. Österreichische Experten, konkret das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) teilen diese Meinung und sagen: Ja in den vergangenen 30 Jahren ist tatsächlich kein einziger NS-Täter verurteilt worden.

Keine Verurteilung seit den 70er Jahren
So scharf wie es das Wiesenthal-Center tut, will die Leiterin des Dokumentationsarchivs Brigitte Bailer ihre Kritik an der österreichischen Justiz nicht formulieren, das heißt "bodenloses Versagen" will sie der Justiz nicht vorwerfen, aber: die inhaltliche also faktische Kritik - so Bailer - unterschreibe sie Eins zu Eins: Seit den 70er Jahren sei es zu keiner Verurteilung eines NS-Verbrechers in Österreich gekommen.

Später Umgang mit NS-Vergangenheit
Die Kritik aus Jerusalem, sei sehr wohl, vermutet Bailer, bewusst scharf formuliert, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Inhaltlich sei sie aber berechtigt - vielleicht mit einer Differenzierung:

Alleine am politischen Unwillen, wie es das Wiesenthal-Center ja Österreich vorwirft, liege es nur bedingt, so Bailer - dass in Österreich NS-Täter kaum verfolgt, bzw. vors Gericht gestellt werden. Der offene Umgang mit der NS-Vergangenheit sei erst sehr spät erfolgt - siehe Waldheim-Debatte - da habe es sicher viele Versäumnisse gegeben, meint Bailer.

Viele heute zu alt
Und ein weiterer Grund so Bailer: Viele NS-Täter seien heute tatsächlich zu alt, also vernehmungsunfähig, um ihnen den Prozess zu machen. Das treffe auch auf jene beiden Fälle zu, so Bailer, von denen das Wiesenthal-Center ja Österreich vorwirft, nichts zu unternehmen.

Zwei konkrete Fälle
Konkret kritisiert das Wiesenthal-Center ja, dass zwei der elf meist gesuchtesten NS-Verbrecher unbehelligt in Österreich sein würden. Nämlich der ehemalige Ustascha-Polizei-Chef Aschner und die ehemalige KZ-Wächterin Wallisch. Laut Justizministerium besagt im Fall Aschner ein Gutachten, dass der mittlerweile 93-Jährige vernehmungs- und prozessunfähig sei. Und im Fall Wallisch, so das Justizministerium, sei ein Verfahren aus Mangel an Beweisen bzw. wegen Verjährung eingestellt worden.

Justiz bisher zu nachlässig
Trotzdem räumt die Leiterin des DÖW aber ein, dass die Justizminister der vergangenen Jahre zu nachlässig in Sachen Strafverfolgung von NS-Tätern vorgegangen seien: Bailer glaubt, es sei ihnen kein großes Anliegen gewesen. Nachsatz: mit NS-Verbrechen seien keine Wahlen zu gewinnen.

Hoffnung liegt bei Berger
Eine positive Wende - so Bailer sei derzeit jedoch politisch schon auszumachen, nämlich jene Signale die die derzeitige SPÖ-Justizministerin Berger setzt, indem sie erstmals eine Ergreiferprämie auf NS-Verbrecher aussetzt. Ob dieses Signale auch ihre gewünschte Wirkung bringen, werde sich -so Bailer - erst zeigen, spätestens wenn das Wiesenthal Center in einem Jahr wieder seinen Bericht veröffentlicht.

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