04.09.2007

krone.at
  Österreichische Justiz bei Nazi-Jagd "mangelhaft"  
 

Das Simon-Wiesenthal-Center in Jerusalem hat bereits zum zweiten Mal in Folge das Versagen der österreichischen Justiz kritisiert, erfolgreich rechtliche Schritte gegen gesuchte Nazi-Verbrecher einzuleiten. Obwohl in den vergangenen Jahren Untersuchungen in mehreren Fällen initiiert wurden, kam es zu keiner einzigen Anklage, hieß es anlässlich der Vorlage des sechsten Jahresberichts über die weltweite Strafverfolgung von NS-Verbrechern. Dabei sollen sich zwei der elf meistgesuchten Holocaust-Verbrecher in Österreich befinden.

Der Bericht, der den Zeitraum vom 1. April 2006 bis 31. März 2007 untersucht, vergibt Noten für die Bemühungen von Ländern, in denen entweder NS-Verbrechen passiert sind oder die nach dem Zweiten Weltkrieg Holocaust-Täter aufgenommen haben. Österreich erhielt ebenso wie Deutschland die Note „mangelhaft“ („Failure in practice“).

Dem Bericht des Wiesenthal Centers zufolge ist es der österreichischen Justiz in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht gelungen, einen einzigen Nazi-Verbrecher zu verurteilen. Im zurückliegenden Untersuchungszeitraum des jüngsten Jahresberichts sei in Österreich diesbezüglich kein wesentlicher Fortschritt verzeichnet werden. „Bedenkt man die große Anzahl potenzieller Verdächtiger in Österreich, könnte man erheblich bessere Ergebnisse von der österreichischen Justiz erwarten“, so Efraim Zuroff, der Leiter des Jerusalemer Büros des Wiesenthal Centers.

Zwei der meistgesuchten NS-Verbrecher in Österreich?
Schuld daran ist laut Zuroff der „offensichtliche Mangel an politischem Willen“. Dies werde besonders an dem Umstand deutlich, dass sich zwei der elf meistgesuchten NS-Verbrecher dem Jahresbericht nach in Österreich aufhalten sollen. Hierbei handle es sich um Milivoy Aschner (Asner), während des faschistischen Ustascha-Regimes Polizeichef der kroatischen Stadt Slavonska Pozega, sowie um die ehemalige Wächterin im KZ Majdanek, Erna Wallisch.

„Bodenloses Versagen“
Laut Zuroff, dem weltweit die Koordination der Nachforschungen obliegt, soll der Bericht die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Thema lenken und dadurch zu einer Verstärkung der Bemühungen zur Verfolgung von NS-Tätern beitragen. In diesem Zusammenhang hob er die Erfolge der USA und Italiens hervor. Ländern wie Deutschland, Polen, Litauen, Lettland und Kanada warf er dagegen ebenso wie Österreich „bodenloses Versagen“ vor.

50.000 Euro Ergreiferprämien für NS-Schergen
Das Justizministerium hat am Dienstag Kritik des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem zurückgewiesen, die österreichische Justiz versage bei der Strafverfolgung mutmaßlicher NS-Verbrecher. Gleichzeitig räumte Sprecher Thomas Geiblinger „Versäumnisse“ ein - wenn diese auch nicht in der Amtszeit der aktuellen SPÖ-Justizministerin Maria Berger lägen. Und es tönte wie zu erwarten: „Die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte sind jetzt ungleich schwerer aufzuarbeiten“, sagte Geiblinger.

Seit Berger zu Jahresbeginn ihr Amt angetreten habe, sei „sehr viel passiert“, entgegnete der Sprecher des Justizministerium den Vorwürfen des SWC in einem am Montag vorgelegten Bericht zu Ermittlungen gegen mutmaßliche Nazi-Verbrecher weltweit. Für die Zeit davor könne er nicht sprechen, betonte Geiblinger. Geiblinger verwies darauf, dass im Juli „zum ersten Mal in der Geschichte“ in Österreich Ergreiferprämien gegen mutmaßliche NS-Täter ausgesetzt wurden.

Nämlich gegen Aribert Heim (93), der 1941 als SS-Arzt im Konzentrationslager Mauthausen zahlreiche Häftlinge durch Herzinjektionen ermordet haben soll, sowie gegen den früheren SS-Hauptsturmführer Alois Brunner (95), dem vorgeworfen wird, unter anderem in Griechenland und Ungarn an der Deportation von Juden mitgewirkt zu haben. Gegen beide liegt ein Haftbefehl vor.

Laut Geiblinger sind, seit es die Ergreiferprämien zu je 50.000 Euro gibt, rund zehn Hinweise zu Brunner und Heim eingegangen. Fünf davon seien „konkreter“, das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung gehe ihnen nach. Brunner wird in Syrien vermutet. Versuche, auf diplomatischem Weg eine Auslieferung bei Damaskus herbeizuführen, sind nicht erfolgreich gewesen. Heim sei in den 90er Jahren in Chile gesichtet worden; sein angeblicher Aufenthalt auf den Kanarischen Inseln danach habe sich nicht bestätigt. Laut dem Wiesenthal Center ist Heim seit 1962 untergetaucht. Es gebe aber „deutliche Hinweise“, dass er noch am Leben sei.

Aschner nicht vernehmungsfähig
Zum Fall des in Kärnten lebenden Milivoj Asner (Aschner), der während des faschistischen Ustascha-Regimes in Kroatien im Zweiten Weltkrieg als Polizeichef der Stadt Slavonska Pozega für Verbrechen an der Zivilbevölkerung, Deportationen in Konzentrationslager sowie Raub und Vertreibung verantwortlich sein soll, verwies Geiblinger auf zwei vom Justizministerium in Auftrag gegebene Ärzte-Gutachten: Der über 90-jährige Asner ist demnach weder vernehmungs- noch verhandlungsfähig. Daher könne er auf Basis der gültigen Rechtslage nicht an Kroatien ausgeliefert werden. „Da sind uns die Hände gebunden“, sagte der Sprecher.

Der Fall der ehemaligen Wächterin im KZ Majdanek, Erna Wallisch, werde im Justizministerium gerade erneut geprüft, so Geiblinger weiter. Nach Angaben des Nazi-Jägers Efraim Zuroff vom SWC, bewachte Wallisch, die angeblich in Wien lebt, die Opfer, als sie zu den Gaskammern geführt wurden und soll laut einem Überlebenden auch an der Selektion der Opfer teilgenommen haben. In Polen laufen Ermittlungen gegen sie.

„Die Zeit arbeitet gegen uns“
Geiblinger sagte, dass die Strafverfolgung von mutmaßlichen NS-Verbrechern heute schwierig sei. Nicht nur die mutmaßlichen Täter, auch die Zeugen seien betagt. „Die Zeit arbeitet gegen uns.“ Ministerin Berger sei die Strafverfolgung jedenfalls „ein wichtiges Anliegen“, strich Geiblinger hervor. Schon im Februar 2006 hatte Zuroff Österreich nach Begegnungen mit den damaligen Ministerinnen Karin Gastinger und Liese Prokop als „Paradies für NS-Verbrecher“ bezeichnet.

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