Das Simon-Wiesenthal-Center in Jerusalem hat bereits zum
zweiten Mal in Folge das Versagen der österreichischen
Justiz kritisiert, erfolgreich rechtliche Schritte gegen
gesuchte Nazi-Verbrecher einzuleiten. Obwohl in den vergangenen
Jahren Untersuchungen in mehreren Fällen initiiert wurden,
kam es zu keiner einzigen Anklage, hieß es anlässlich der
Vorlage des sechsten Jahresberichts über die weltweite
Strafverfolgung von NS-Verbrechern. Dabei sollen sich zwei
der elf meistgesuchten Holocaust-Verbrecher in Österreich
befinden.
Der Bericht, der den Zeitraum vom 1. April 2006 bis 31. März 2007 untersucht,
vergibt Noten für die Bemühungen von Ländern, in denen entweder
NS-Verbrechen passiert sind oder die nach dem Zweiten Weltkrieg
Holocaust-Täter aufgenommen haben. Österreich erhielt ebenso
wie Deutschland die Note „mangelhaft“ („Failure in practice“).
Dem Bericht des Wiesenthal Centers zufolge ist es der österreichischen Justiz
in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht gelungen, einen
einzigen Nazi-Verbrecher zu verurteilen. Im zurückliegenden
Untersuchungszeitraum des jüngsten Jahresberichts sei in
Österreich diesbezüglich kein wesentlicher Fortschritt verzeichnet
werden. „Bedenkt man die große Anzahl potenzieller Verdächtiger
in Österreich, könnte man erheblich bessere Ergebnisse von
der österreichischen Justiz erwarten“, so Efraim Zuroff,
der Leiter des Jerusalemer Büros des Wiesenthal Centers.
Zwei der meistgesuchten NS-Verbrecher
in Österreich?
Schuld daran ist laut Zuroff der „offensichtliche Mangel
an politischem Willen“. Dies werde besonders an dem Umstand
deutlich, dass sich zwei der elf meistgesuchten NS-Verbrecher
dem Jahresbericht nach in Österreich aufhalten sollen. Hierbei
handle es sich um Milivoy Aschner (Asner), während des faschistischen
Ustascha-Regimes Polizeichef der kroatischen Stadt Slavonska
Pozega, sowie um die ehemalige Wächterin im KZ Majdanek,
Erna Wallisch.
„Bodenloses Versagen“
Laut Zuroff, dem weltweit die Koordination der Nachforschungen
obliegt, soll der Bericht die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit
auf das Thema lenken und dadurch zu einer Verstärkung der
Bemühungen zur Verfolgung von NS-Tätern beitragen. In diesem
Zusammenhang hob er die Erfolge der USA und Italiens hervor.
Ländern wie Deutschland, Polen, Litauen, Lettland und Kanada
warf er dagegen ebenso wie Österreich „bodenloses Versagen“
vor.
50.000 Euro Ergreiferprämien für NS-Schergen
Das Justizministerium hat am Dienstag Kritik des Simon Wiesenthal
Centers in Jerusalem zurückgewiesen, die österreichische
Justiz versage bei der Strafverfolgung mutmaßlicher NS-Verbrecher.
Gleichzeitig räumte Sprecher Thomas Geiblinger „Versäumnisse“
ein - wenn diese auch nicht in der Amtszeit der aktuellen
SPÖ-Justizministerin Maria Berger lägen. Und es tönte wie
zu erwarten: „Die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte
sind jetzt ungleich schwerer aufzuarbeiten“, sagte Geiblinger.
Seit Berger zu Jahresbeginn ihr Amt
angetreten habe, sei „sehr viel passiert“, entgegnete der
Sprecher des Justizministerium den Vorwürfen des SWC in einem
am Montag vorgelegten Bericht zu Ermittlungen gegen mutmaßliche
Nazi-Verbrecher weltweit. Für die Zeit davor könne er nicht
sprechen, betonte Geiblinger. Geiblinger verwies darauf,
dass im Juli „zum ersten Mal in der Geschichte“ in Österreich
Ergreiferprämien gegen mutmaßliche NS-Täter ausgesetzt wurden.
Nämlich gegen Aribert Heim (93), der
1941 als SS-Arzt im Konzentrationslager Mauthausen zahlreiche
Häftlinge durch Herzinjektionen ermordet haben soll, sowie
gegen den früheren SS-Hauptsturmführer Alois Brunner (95),
dem vorgeworfen wird, unter anderem in Griechenland und Ungarn
an der Deportation von Juden mitgewirkt zu haben. Gegen beide
liegt ein Haftbefehl vor.
Laut Geiblinger sind, seit es die
Ergreiferprämien zu je 50.000 Euro gibt, rund zehn Hinweise
zu Brunner und Heim eingegangen. Fünf davon seien „konkreter“,
das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung
gehe ihnen nach. Brunner wird in Syrien vermutet. Versuche,
auf diplomatischem Weg eine Auslieferung bei Damaskus herbeizuführen,
sind nicht erfolgreich gewesen. Heim sei in den 90er Jahren
in Chile gesichtet worden; sein angeblicher Aufenthalt auf
den Kanarischen Inseln danach habe sich nicht bestätigt.
Laut dem Wiesenthal Center ist Heim seit 1962 untergetaucht.
Es gebe aber „deutliche Hinweise“, dass er noch am Leben
sei.
Aschner nicht vernehmungsfähig
Zum Fall des in Kärnten lebenden Milivoj Asner (Aschner),
der während des faschistischen Ustascha-Regimes in Kroatien
im Zweiten Weltkrieg als Polizeichef der Stadt Slavonska
Pozega für Verbrechen an der Zivilbevölkerung, Deportationen
in Konzentrationslager sowie Raub und Vertreibung verantwortlich
sein soll, verwies Geiblinger auf zwei vom Justizministerium
in Auftrag gegebene Ärzte-Gutachten: Der über 90-jährige
Asner ist demnach weder vernehmungs- noch verhandlungsfähig.
Daher könne er auf Basis der gültigen Rechtslage nicht
an Kroatien ausgeliefert werden. „Da sind uns die Hände
gebunden“, sagte der Sprecher.
Der Fall der ehemaligen Wächterin
im KZ Majdanek, Erna Wallisch, werde im Justizministerium
gerade erneut geprüft, so Geiblinger weiter. Nach Angaben
des Nazi-Jägers Efraim Zuroff vom SWC, bewachte Wallisch,
die angeblich in Wien lebt, die Opfer, als sie zu den Gaskammern
geführt wurden und soll laut einem Überlebenden auch an der
Selektion der Opfer teilgenommen haben. In Polen laufen Ermittlungen
gegen sie.
„Die Zeit arbeitet gegen uns“
Geiblinger sagte, dass die Strafverfolgung von mutmaßlichen
NS-Verbrechern heute schwierig sei. Nicht nur die mutmaßlichen
Täter, auch die Zeugen seien betagt. „Die Zeit arbeitet
gegen uns.“ Ministerin Berger sei die Strafverfolgung jedenfalls
„ein wichtiges Anliegen“, strich Geiblinger hervor. Schon
im Februar 2006 hatte Zuroff Österreich nach Begegnungen
mit den damaligen Ministerinnen Karin Gastinger und Liese
Prokop als „Paradies für NS-Verbrecher“ bezeichnet.
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