Jan. 5, 2006 der Standard
 
 

Estland stellt NS-Kriegsverbrecher-Verfahren ein

 
 


Medienberichte über offiziellen Protest Israels zurückgewiesen

Tallinn - Die Einstellung eines Verfahrens gegen den in Venezuela lebenden mutmaßlichen estnischen Kriegsverbrecher Harry Männil (86) hat in Israel heftige Reaktionen hervorgerufen. Auf seiner Webseite bezeichnet das Simon Wiesenthal Center in Jerusalem die Entscheidung von vergangener Woche als "lächerliche Reinwaschung eines aktiven Nazi-Kollaborateurs aus politischen Gründen". Medienberichte über einen offiziellen Protest Israels wies das estnische Außenministerium am Donnerstag entschieden zurück.

Männil steht unter dem Verdacht, als Mitglied der von den Nazis kontrollierten estnischen Staatspolizei während der deutschen Besatzung Estlands zwischen 1941 und 1944 für die Folter und den Tod von zahlreichen Zivilisten verantwortlich zu sein. Die estnische Staatsanwaltschaft hatte am vergangenen Freitag die Untersuchung gegen Männil nach fünf Jahren wegen Mangels an Beweisen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestellt.

1941-44 wurden Schätzungen zufolge rund 5.000 Juden in Estland ermordet. Der Direktor des Jerusalemer Wiesenthal Center, Efraim Zuroff, hat in der Vergangenheit Estland immer wieder heftig wegen der seiner Meinung nach unzureichenden Verfolgung von Nazi-Verbrechern kritisiert. Ministerpräsident Andrus Ansip entgegnete am Donnerstag laut Nachrichtenagentur BNS der jüngsten Kritik, es gebe keine politischen Prozesse in Estland. Er sei "überzeugt" davon, dass die estnischen Justizbehörden keine Informationen hätten, die Männils Schuld beweisen würden.

Ein von der "Jerusalem Post" am Donnerstag kolportierter offizieller Protest bei der für Israel akkreditierten und sich derzeit in Tel Aviv aufhaltenden estnischen Botschafterin in Moskau, Marina Kaljurand, fand laut Außenministerium in Tallinn nicht statt. Ehtel Halliste, Sprecherin des Außenministeriums in Tallinn, sagte gegenüber der APA auf Anfrage, die Angelegenheit sei bei den Gesprächen der Botschafterin in Israel nicht einmal zur Sprache gebracht worden. "Was in der 'Jerusalem Post' steht, ist falsch", so die Sprecherin. (APA)