Paul
Jandl
Ist es ein Coup gegen die Familie Thyssen, den die «FAZ» mit
der reisserischen Story des Journalisten David R. L. Litchfield
gelandet hat (NZZ 20. 10. 07)? Der am Donnerstag letzter Woche
erschienene lange Text, in dem es um rund zweihundert jüdische
Zwangsarbeiter ging, die kurz vor Kriegsende im burgenländischen
Rechnitz nach einem Fest auf Schloss Batthány ermordet
wurden, war im eigentlich betroffenen Österreich rasch
abgehakt. Während den Historikern der schon bisher gut
erforschte Fall nicht neu ist, haben sich die Zweifel an der
Seriosität des Artikels zum Unisono gesteigert. Wenn jemand
seine Quellen so wenig offenlege wie Litchfield, sei höchste
Vorsicht geboten, sagt der Salzburger Zeitgeschichtler Ernst
Hanisch. Das Tendenziöse eines Textes, der eher private
Abrechnung als historische Aufklärung ist, sei unübersehbar.
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Wesentliche Abweichungen
Vergleicht man etwa die Anklageschrift der Wiener Staatsanwaltschaft
vom 21. 11. 1947 mit dem Text Litchfields, so fallen die
wesentlichen Abweichungen sogleich auf. Dass im Schloss Rechnitz
die für den Bau des Südostwalls zuständige
lokale Unterabschnittsabteilung einquartiert war, also eine
NSDAP-Einrichtung, wird in Litchfields Text nicht erwähnt.
Weder waren wohl die SS-Offiziere nur auf private Einladung
Margit Batthánys und «zur Erholung» auf
dem Schloss, noch muss das Fest eine «makabre Party» der
Gräfin gewesen sein. Wenn allerdings die in die Schweiz
geflüchtete Margit Batthány im Januar 1947 bei
der Kantonspolizei Buchs angibt, sie habe erst am nächsten
Tag von den Erschiessungen erfahren, so ist auch dem nur
bedingt zu trauen.
Was den Ablauf der Mordnacht so undurchschaubar macht, ist
ein Muster der Angst und des Vertuschens. Und das Faktum,
dass nur die Täter überlebt haben. In der Nacht
auf den 25. März 1945 sind 180 ungarische Juden, am
Ende ihrer Kräfte, beim Rechnitzer Kreuzstadel erschossen
oder erschlagen worden. Vierzig bis fünfzig Gäste
waren beim Schlossfest, rund fünfzehn von ihnen wurden
vom Ortsgruppenleiter Franz Podezin aufgefordert, an den
Erschiessungen der jüdischen Zwangsarbeiter teilzunehmen.
Man drückt ihnen Waffen in die Hand. Der Angeklagte
Josef Beiglböck soll am nächsten Tag mit dem Satz
durchs Dorf gelaufen sein: «Heute Nacht habe ich sechs
oder sieben Juden selber erschlagen.»
In mehreren Prozessen hat sich die österreichische
Nachkriegsjustiz mit den Verbrechen auseinandergesetzt. In
den Gerichtsakten kann man sehen, wie das anfänglich
grosse Interesse an der Aufklärung der Morde immer mehr
einem österreichischen Pragmatismus weicht. Die wenigen
Beteiligten, deren man habhaft werden konnte, schwiegen oder
machten widersprüchliche Angaben. Als 1946 mit der Ermordung
von zwei prominenten Zeugen auch noch das Verfahren selbst
zum Kriminalfall wird, steht die Mauer des Schweigens endgültig.
Bis in die sechziger Jahre dauern die Untersuchungen, doch
im Fall der jüdischen Zwangsarbeiter kommt es zu keinen
nennenswerten Verurteilungen. Bald geben sogar die grossen
politischen Parteien der Nachkriegsrepublik Ehrenerklärungen
für Verdächtige ab.
Österreich findet sich schnell in seine Rolle als erstes
Opfer des Nationalsozialismus, da würden tatsächliche
Täter nur stören. Spätestens ab 1948 sei auch
die Justiz ganz im Bann des österreichischen Opfermythos
gestanden, sagt Ernst Hanisch. Bei den Wahlen 1949 durften
die minderbelasteten österreichischen Nationalsozialisten
wieder zur Urne gehen. Um sie wurde unter den politischen
Parteien eifrig geworben. In Rechnitz scheint die Mauer des
Schweigens zu halten. Der Ort, an dem die Ermordeten verscharrt
wurden, ist bis heute noch nicht gefunden worden. Dass niemand
in Rechnitz sagen kann, wo die Gräber liegen, dass in
keiner Familie der 3267 Einwohner zählenden Gemeinde
Wissen über die Verbrechen weitergegeben wurde, ist
kaum zu glauben.
Aufklärungsbemühungen
Die Politikwissenschafterin Eva Holpfer, die sich in den
letzten Jahren intensiv mit der Ermordung jüdischer
Zwangsarbeiter beschäftigt hat, meint, dass das Schweigen
der Bevölkerung Methode hat. Auch im nahen Deutsch
Schützen ist man erst nach jahrzehntelanger Suche
auf das Massengrab jüdischer Ermordeter gestossen.
Wie sich dann herausstellte, hat man in der Bevölkerung
durchaus von seiner exakten Lage gewusst.
In Rechnitz hat das Areal, in dem die Leichen der ermordeten
jüdischen Zwangsarbeiter gefunden werden könnten,
eine Grösse von rund fünfzehn Fussballfeldern.
Seit der Mitte der neunziger Jahre gibt es verstärkte
Suchanstrengungen. Ein kartografisches Forschungsprojekt
der Universität Wien hat eine Datenbank angelegt, die
auch die historischen Quellen zusammenführt. Das Innenministerium
ist mit seiner Abteilung für Gedenkstätten und
Kriegsgräberfürsorge ebenfalls dabei, nach dem
Massengrab zu suchen. Seit Jahren gibt es einen burgenländischen
Verein, der sich explizit mit der Aufarbeitung der Geschichte
des Südostwalls befasst. Vor ein paar Jahren wurde am
Rechnitzer Kreuzstadel ein Mahnmal errichtet. Neu ist die
Auseinandersetzung mit dem dunklen Kapitel nicht. Doch das
Schweigen des Dorfes ist hartnäckiger.
nzz.ch
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