Mittwoch, 24. Oktober 2007, 16:35:22
nzz.ch
  Der Ort des Schweigens
Österreich und der Fall Rechnitz
 
 

Paul Jandl

Ist es ein Coup gegen die Familie Thyssen, den die «FAZ» mit der reisserischen Story des Journalisten David R. L. Litchfield gelandet hat (NZZ 20. 10. 07)? Der am Donnerstag letzter Woche erschienene lange Text, in dem es um rund zweihundert jüdische Zwangsarbeiter ging, die kurz vor Kriegsende im burgenländischen Rechnitz nach einem Fest auf Schloss Batthány ermordet wurden, war im eigentlich betroffenen Österreich rasch abgehakt. Während den Historikern der schon bisher gut erforschte Fall nicht neu ist, haben sich die Zweifel an der Seriosität des Artikels zum Unisono gesteigert. Wenn jemand seine Quellen so wenig offenlege wie Litchfield, sei höchste Vorsicht geboten, sagt der Salzburger Zeitgeschichtler Ernst Hanisch. Das Tendenziöse eines Textes, der eher private Abrechnung als historische Aufklärung ist, sei unübersehbar.

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Wesentliche Abweichungen
Vergleicht man etwa die Anklageschrift der Wiener Staatsanwaltschaft vom 21. 11. 1947 mit dem Text Litchfields, so fallen die wesentlichen Abweichungen sogleich auf. Dass im Schloss Rechnitz die für den Bau des Südostwalls zuständige lokale Unterabschnittsabteilung einquartiert war, also eine NSDAP-Einrichtung, wird in Litchfields Text nicht erwähnt. Weder waren wohl die SS-Offiziere nur auf private Einladung Margit Batthánys und «zur Erholung» auf dem Schloss, noch muss das Fest eine «makabre Party» der Gräfin gewesen sein. Wenn allerdings die in die Schweiz geflüchtete Margit Batthány im Januar 1947 bei der Kantonspolizei Buchs angibt, sie habe erst am nächsten Tag von den Erschiessungen erfahren, so ist auch dem nur bedingt zu trauen.

Was den Ablauf der Mordnacht so undurchschaubar macht, ist ein Muster der Angst und des Vertuschens. Und das Faktum, dass nur die Täter überlebt haben. In der Nacht auf den 25. März 1945 sind 180 ungarische Juden, am Ende ihrer Kräfte, beim Rechnitzer Kreuzstadel erschossen oder erschlagen worden. Vierzig bis fünfzig Gäste waren beim Schlossfest, rund fünfzehn von ihnen wurden vom Ortsgruppenleiter Franz Podezin aufgefordert, an den Erschiessungen der jüdischen Zwangsarbeiter teilzunehmen. Man drückt ihnen Waffen in die Hand. Der Angeklagte Josef Beiglböck soll am nächsten Tag mit dem Satz durchs Dorf gelaufen sein: «Heute Nacht habe ich sechs oder sieben Juden selber erschlagen.»

In mehreren Prozessen hat sich die österreichische Nachkriegsjustiz mit den Verbrechen auseinandergesetzt. In den Gerichtsakten kann man sehen, wie das anfänglich grosse Interesse an der Aufklärung der Morde immer mehr einem österreichischen Pragmatismus weicht. Die wenigen Beteiligten, deren man habhaft werden konnte, schwiegen oder machten widersprüchliche Angaben. Als 1946 mit der Ermordung von zwei prominenten Zeugen auch noch das Verfahren selbst zum Kriminalfall wird, steht die Mauer des Schweigens endgültig. Bis in die sechziger Jahre dauern die Untersuchungen, doch im Fall der jüdischen Zwangsarbeiter kommt es zu keinen nennenswerten Verurteilungen. Bald geben sogar die grossen politischen Parteien der Nachkriegsrepublik Ehrenerklärungen für Verdächtige ab.

Österreich findet sich schnell in seine Rolle als erstes Opfer des Nationalsozialismus, da würden tatsächliche Täter nur stören. Spätestens ab 1948 sei auch die Justiz ganz im Bann des österreichischen Opfermythos gestanden, sagt Ernst Hanisch. Bei den Wahlen 1949 durften die minderbelasteten österreichischen Nationalsozialisten wieder zur Urne gehen. Um sie wurde unter den politischen Parteien eifrig geworben. In Rechnitz scheint die Mauer des Schweigens zu halten. Der Ort, an dem die Ermordeten verscharrt wurden, ist bis heute noch nicht gefunden worden. Dass niemand in Rechnitz sagen kann, wo die Gräber liegen, dass in keiner Familie der 3267 Einwohner zählenden Gemeinde Wissen über die Verbrechen weitergegeben wurde, ist kaum zu glauben.

Aufklärungsbemühungen
Die Politikwissenschafterin Eva Holpfer, die sich in den letzten Jahren intensiv mit der Ermordung jüdischer Zwangsarbeiter beschäftigt hat, meint, dass das Schweigen der Bevölkerung Methode hat. Auch im nahen Deutsch Schützen ist man erst nach jahrzehntelanger Suche auf das Massengrab jüdischer Ermordeter gestossen. Wie sich dann herausstellte, hat man in der Bevölkerung durchaus von seiner exakten Lage gewusst.

In Rechnitz hat das Areal, in dem die Leichen der ermordeten jüdischen Zwangsarbeiter gefunden werden könnten, eine Grösse von rund fünfzehn Fussballfeldern. Seit der Mitte der neunziger Jahre gibt es verstärkte Suchanstrengungen. Ein kartografisches Forschungsprojekt der Universität Wien hat eine Datenbank angelegt, die auch die historischen Quellen zusammenführt. Das Innenministerium ist mit seiner Abteilung für Gedenkstätten und Kriegsgräberfürsorge ebenfalls dabei, nach dem Massengrab zu suchen. Seit Jahren gibt es einen burgenländischen Verein, der sich explizit mit der Aufarbeitung der Geschichte des Südostwalls befasst. Vor ein paar Jahren wurde am Rechnitzer Kreuzstadel ein Mahnmal errichtet. Neu ist die Auseinandersetzung mit dem dunklen Kapitel nicht. Doch das Schweigen des Dorfes ist hartnäckiger.

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