John
Demjanjuk hat verbrecherischen Dienst getan im Schlachthaus
der Weltgeschichte: Er war KZ-Wächter in Sobibor, Majdanek
und Flossenbürg. Das ist sehr lange her, mehr als sechzig
Jahre.
Demjanjuk ist mittlerweile 88 Jahre alt, er lebt in Ohio.
Er leugnet, er will es nicht gewesen sein. Die Behörden
in den USA haben aber keine Zweifel, sie haben ihm deswegen
die US-Staatsbürgerschaft aberkannt.
Sie wollen Demjanjuk ausliefern, wenn Deutschland einen
Auslieferungsantrag stellt. Bislang hat Deutschland kein
Interesse gezeigt, obwohl Demjanjuk auf der Liste der NS-Verbrecher
ganz oben steht.
Wer soll auch Interesse haben an einem Gerichtsverfahren?
Die deutsche Justiz, die ohnehin viel genug zu tun hat? Ja,
sie soll. Sie reißt sich nicht darum, einen alten Mann
vor Gericht zu stellen und teuere Gutachter zu beauftragen,
um die Prozessfähigkeit eines Greises zu prüfen.
Anstrengende Verfahren
Die Justiz hat etliche solcher Verfahren geführt: Irgendwann
war es dann so weit, dass die Angeklagten Mitleid erregten
- manche tattrig, manche mit Hörschwächen, alle
ohne Einsicht.
Soll die Öffentlichkeit Interesse haben an diesen Prozessen?
Ja, sie soll. Es sind aber anstrengende Verfahren, sie schleppen
sich dahin, sie dauern nur drei Stunden am Tag, und die Öffentlichkeit
wird so schnell müde wie die Angeklagten; die Prozesse
werden immer wieder unterbrochen, weil das Gericht Rücksicht
nimmt auf Alter und Gesundheit.
Gnadengrund Rentnerleben?
Hätte man auf das Verfahren gnadenhalber verzichten
sollen - so wie man jetzt offenbar aus Alters- und Gnadengründen
auf ein Verfahren gegen Demjanjuk verzichten will?
Womit hätten sich die greisen Verbrecher das verdient?
Mit einem jahrzehntelagen beschaulichen Rentnerleben als
Gärtner mit Spaten und Schubkarren? Mit der Zögerlichkeit
der Justiz? Weil sie ihre Vergangenheit so lange haben verbergen
können? Soll den alten Verbrechern nicht wenigstens
noch attestiert werden, was sie verbrochen haben?
Mord verjährt nicht. Der ehemalige SS-Scherge Anton
Malloth war 89 und rüstig, als er 2001 in München
verurteilt wurde; er hatte Menschen, die für ihn "Saujuden" waren,
in Theresienstadt mit schweren Stiefeln totgetrampelt. Sein "lebenslang" dauerte
achtzehn Monate, er starb 2002 in einem Pflegeheim.
Auch für NS-Verbrecher gilt: Gegen Todkranke wird nicht
verhandelt, Schwerkranke werden nicht inhaftiert, Aber: Bloßes
Alter kann und darf vor einem Schuldspruch nicht schützen.
Der Schuldspruch ist, selbst wenn es dann nicht mehr zur
Strafvollstreckung kommen sollte, der Protest der Gesellschaft
gegen Unmenschlichkeit und Barbarei.
Die klassischen Strafzwecke mögen in solchen Fällen
keine Bedeutung mehr haben, und trotzdem: Die Opfer haben
einen Anspruch darauf, dass ihre Mörder nicht ohne staatlich
festgestellte Schuld aus dem Leben scheiden.
Gnade den Greisen? Es kann keine Gnade geben, bevor Schuld
festgestellt ist. Furchtbar ist nicht, dass heute, nach 60
Jahren, noch Prozesse geführt werden. Furchtbar ist,
dass der Staat sechzig Jahre lang so unerhört säumig
war.
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