Eine Meldung machte
am Wochenende die Runde: Ermittler haben Zweifel am Tod von
KZ-Arzt Aribert Heim. Offenbar wurden aus dem LKA Baden-Württemberg
Teilerkenntnisse in die Medien gestreut, obwohl die Ermittlungen
längst noch nicht abgeschlossen sind.
Dabei sitzen sie auf einer Fülle von Informationen, die
zum ersten Mal seit vielen Jahren detailliert Aufschluss über
den Verbleib des NS-Verbrechers geben. Sie stammen aus der
Aktentasche von Aribert Heim, vollgestopft mit wertvollen Dokumenten.
Diesen Riesenfortschritt verdanken die Fahnder den Recherchen
von "New York Times" und ZDF, die darüber hinaus
dafür gesorgt haben, dass den Ermittlern die Aktentasche
zur Verfügung steht.
Seit den 60er Jahren in Kairo
Im Februar hatten die amerikanische Zeitung und der deutsche Fernsehsender gemeinsam
berichtet, dass Aribert Heim seit den 60er Jahren in Kairo lebte und dort am
10. August 1992 gestorben ist. Für den ersten Teil der Meldung finden sich
in der Aktentasche unzählige Hinweise und Belege, die selbst im Stuttgarter
Landeskriminalamt zu der Einsicht führten, dass Heim sich tatsächlich über
Jahrzehnte in Ägypten versteckt hielt.
Stolz lassen die Fahnder den "Spiegel" wissen, dass nach ihren Ermittlungen
Heim wohl von einem größeren Kreis von Unterstützern gedeckt
wurde, als bisher bekannt. Dass diese Erkenntnis auf den Unterlagen aus der Aktentasche
beruht, zum Beispiel den Überweisungsträgern und Schecks, und dass
es diese ohne die Recherchen von "New York Times" und ZDF nicht gäbe,
dazu kein Wort.
Völlig unwichtig scheinen den Ermittlern dagegen die
Schriftstücke aus der Aktentasche zu sein, die mindestens
als Indizien für die tödliche Krebserkrankung Heims
gelten können, zum Beispiel eindeutige Diagnosen der
behandelnden Ärzte und Rezepte für die notwendigen
Medikamente. Über diese Details schweigt das LKA, obwohl
sie doch zumindest auch Zweifel wecken könnten - in
diesem Fall am Überleben des Aribert Heim.
Tarik Farid Hussein, "der Deutsche"
Aber "New York Times" und ZDF hatten im Februar
deutlich mehr zu bieten, als nur die Dokumente: Interviews
mit Augenzeugen, Heims Krebsarzt, mit seinen Freunden, seinen
Nachbarn, seinem Sohn und zahlreichen Menschen in seinem
Wohnviertel, in dem er als "der Deutsche" und mit
seinem muslimischen Namen Tarik Farid Hussein bekannt war.
Viele der Interviewten berichten übereinstimmend vom
Tod des Mannes. Eine Behauptung, die zumindest durch ein
amtliches Dokument - nämlich die beglaubigte Abschrift
der Sterbeurkunde - bestätigt werden konnte.
Solange das Landeskriminalamt diese Zeugen nicht befragen kann, zählen ihre
Aussagen offenbar nichts. Und solange die ägyptische Regierung nicht offiziell
die Sterbeurkunde bestätigt, gibt es sie offenbar auch nicht. Für manche
wird auch all das nicht gelten, solange kein DNA-Test an den sterblichen Überresten
Heims den Tod belegt. Da die Leiche wohl in einem Massengrab bestattet wurde,
bleibt Heim also am Leben.
Kein Ermittler in Kairo
Also, deshalb hier einmal der Stand der Dinge: Bisher war kein Ermittler des
LKA in Kairo. Keine Einreisegenehmigung. Bisher hat das Auswärtige Amt in
Berlin offenbar auch nicht für eine Kooperationsbereitschaft der Ägypter
sorgen können, als hätte Deutschland so gar kein Gewicht in einem Land,
das auch von deutschem Tourismus lebt. Bisher fanden die Beamten allerdings auch
keinen Fingerabdruck Heims auf seiner Tasche oder den Dokumenten. Es sind aber
noch längst nicht alle Schriftstücke überprüft. Und eventuell
vorhandene Abdrücke sind vielleicht durch die Fingerspuren vieler anderer
Menschen, darunter auch die der Reporter, verwischt. Das ist für alle Beteiligte äußerst ärgerlich.
Dennoch ist bislang viel passiert: Die ägyptischen Behörden haben jeden,
der auch nur irgendetwas mit der Berichterstattung von "New York Times" und
ZDF zu tun hatte, ausgiebig befragt - über viele Stunden, unter nicht sonderlich
angenehmen Bedingungen. Mehr darüber zu schreiben, könnte kontraproduktiv
sein. Unter wesentlich komfortableren Umständen haben die Reporter derweil
den deutschen Ermittlern geholfen, soweit der Schutz ihrer Informanten das zulässt.
Deshalb stellt sich jetzt eine Frage an die deutschen Behörden und an den
Chefermittler des Simon-Wiesenthal-Centers, Efraim Zuroff, der bisher nur Vorwürfe
an "New York Times" und ZDF gerichtet hat, statt sich ernsthaft mit
den vielfältigen Indizien auseinander zu setzen: Haben sie wirklich alles
getan, recherchiert, diplomatische Kanäle genutzt, um die Wahrheit herauszufinden?
Rätsel der NS-Vergangenheit
Die ägyptischen Behörden sind im Besitz wichtiger Originalunterlagen.
Sie haben die wichtigsten Zeugen befragt. Sie bewahren die Verzeichnisse auf,
aus denen die Grabstätte Aribert Heims hervorgehen muss. Nur sie können
die sterblichen Überreste finden, exhumieren und analysieren lassen. Schon
in der Vergangenheit blieben bürokratische Rechtshilfeersuchen an Ägypten
ergebnislos. Deshalb braucht es politische Unterstützung aus Berlin, um
eines der größten Rätsel der NS-Vergangenheit zu lösen.
Schreibtischanalysen können die Ermittlungen vor Ort nicht ersetzen. Und
die sind jetzt Aufgabe der Ermittler, nicht die von Journalisten.
Was haben deutsche Behörden und das Simon-Wiesenthal-Center unternommen,
um die Informationen dort einzusammeln, wo der Schlüssel des Rätsels
zu finden ist: in Kairo! Dort hat Aribert Heim nämlich gelebt und dort ist
er auch gestorben.
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