04.05.2009 heute.de
Seltsame Behauptungen zum Fall des KZ-Arztes Aribert Heim
LKA streut Zweifel am Tod des NS-Verbrechers
Kommentar von Elmar Theveßen

Eine Meldung machte am Wochenende die Runde: Ermittler haben Zweifel am Tod von KZ-Arzt Aribert Heim. Offenbar wurden aus dem LKA Baden-Württemberg Teilerkenntnisse in die Medien gestreut, obwohl die Ermittlungen längst noch nicht abgeschlossen sind.

Dabei sitzen sie auf einer Fülle von Informationen, die zum ersten Mal seit vielen Jahren detailliert Aufschluss über den Verbleib des NS-Verbrechers geben. Sie stammen aus der Aktentasche von Aribert Heim, vollgestopft mit wertvollen Dokumenten. Diesen Riesenfortschritt verdanken die Fahnder den Recherchen von "New York Times" und ZDF, die darüber hinaus dafür gesorgt haben, dass den Ermittlern die Aktentasche zur Verfügung steht.
Seit den 60er Jahren in Kairo
Im Februar hatten die amerikanische Zeitung und der deutsche Fernsehsender gemeinsam berichtet, dass Aribert Heim seit den 60er Jahren in Kairo lebte und dort am 10. August 1992 gestorben ist. Für den ersten Teil der Meldung finden sich in der Aktentasche unzählige Hinweise und Belege, die selbst im Stuttgarter Landeskriminalamt zu der Einsicht führten, dass Heim sich tatsächlich über Jahrzehnte in Ägypten versteckt hielt.
Stolz lassen die Fahnder den "Spiegel" wissen, dass nach ihren Ermittlungen Heim wohl von einem größeren Kreis von Unterstützern gedeckt wurde, als bisher bekannt. Dass diese Erkenntnis auf den Unterlagen aus der Aktentasche beruht, zum Beispiel den Überweisungsträgern und Schecks, und dass es diese ohne die Recherchen von "New York Times" und ZDF nicht gäbe, dazu kein Wort.

Völlig unwichtig scheinen den Ermittlern dagegen die Schriftstücke aus der Aktentasche zu sein, die mindestens als Indizien für die tödliche Krebserkrankung Heims gelten können, zum Beispiel eindeutige Diagnosen der behandelnden Ärzte und Rezepte für die notwendigen Medikamente. Über diese Details schweigt das LKA, obwohl sie doch zumindest auch Zweifel wecken könnten - in diesem Fall am Überleben des Aribert Heim.

Tarik Farid Hussein, "der Deutsche"
Aber "New York Times" und ZDF hatten im Februar deutlich mehr zu bieten, als nur die Dokumente: Interviews mit Augenzeugen, Heims Krebsarzt, mit seinen Freunden, seinen Nachbarn, seinem Sohn und zahlreichen Menschen in seinem Wohnviertel, in dem er als "der Deutsche" und mit seinem muslimischen Namen Tarik Farid Hussein bekannt war. Viele der Interviewten berichten übereinstimmend vom Tod des Mannes. Eine Behauptung, die zumindest durch ein amtliches Dokument - nämlich die beglaubigte Abschrift der Sterbeurkunde - bestätigt werden konnte.
Solange das Landeskriminalamt diese Zeugen nicht befragen kann, zählen ihre Aussagen offenbar nichts. Und solange die ägyptische Regierung nicht offiziell die Sterbeurkunde bestätigt, gibt es sie offenbar auch nicht. Für manche wird auch all das nicht gelten, solange kein DNA-Test an den sterblichen Überresten Heims den Tod belegt. Da die Leiche wohl in einem Massengrab bestattet wurde, bleibt Heim also am Leben.

Kein Ermittler in Kairo
Also, deshalb hier einmal der Stand der Dinge: Bisher war kein Ermittler des LKA in Kairo. Keine Einreisegenehmigung. Bisher hat das Auswärtige Amt in Berlin offenbar auch nicht für eine Kooperationsbereitschaft der Ägypter sorgen können, als hätte Deutschland so gar kein Gewicht in einem Land, das auch von deutschem Tourismus lebt. Bisher fanden die Beamten allerdings auch keinen Fingerabdruck Heims auf seiner Tasche oder den Dokumenten. Es sind aber noch längst nicht alle Schriftstücke überprüft. Und eventuell vorhandene Abdrücke sind vielleicht durch die Fingerspuren vieler anderer Menschen, darunter auch die der Reporter, verwischt. Das ist für alle Beteiligte äußerst ärgerlich.

Dennoch ist bislang viel passiert: Die ägyptischen Behörden haben jeden, der auch nur irgendetwas mit der Berichterstattung von "New York Times" und ZDF zu tun hatte, ausgiebig befragt - über viele Stunden, unter nicht sonderlich angenehmen Bedingungen. Mehr darüber zu schreiben, könnte kontraproduktiv sein. Unter wesentlich komfortableren Umständen haben die Reporter derweil den deutschen Ermittlern geholfen, soweit der Schutz ihrer Informanten das zulässt.
Deshalb stellt sich jetzt eine Frage an die deutschen Behörden und an den Chefermittler des Simon-Wiesenthal-Centers, Efraim Zuroff, der bisher nur Vorwürfe an "New York Times" und ZDF gerichtet hat, statt sich ernsthaft mit den vielfältigen Indizien auseinander zu setzen: Haben sie wirklich alles getan, recherchiert, diplomatische Kanäle genutzt, um die Wahrheit herauszufinden?
Rätsel der NS-Vergangenheit

Die ägyptischen Behörden sind im Besitz wichtiger Originalunterlagen. Sie haben die wichtigsten Zeugen befragt. Sie bewahren die Verzeichnisse auf, aus denen die Grabstätte Aribert Heims hervorgehen muss. Nur sie können die sterblichen Überreste finden, exhumieren und analysieren lassen. Schon in der Vergangenheit blieben bürokratische Rechtshilfeersuchen an Ägypten ergebnislos. Deshalb braucht es politische Unterstützung aus Berlin, um eines der größten Rätsel der NS-Vergangenheit zu lösen. Schreibtischanalysen können die Ermittlungen vor Ort nicht ersetzen. Und die sind jetzt Aufgabe der Ermittler, nicht die von Journalisten.
Was haben deutsche Behörden und das Simon-Wiesenthal-Center unternommen, um die Informationen dort einzusammeln, wo der Schlüssel des Rätsels zu finden ist: in Kairo! Dort hat Aribert Heim nämlich gelebt und dort ist er auch gestorben.

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