Der "Spiegel"-Titel über
Hitlers Helfer in Europa versetzt polnische Medien in Aufregung.
Aber es gibt auch mäßigende Stimmen
Die Schlagzeilen sprechen wieder einmal eine klare Sprache. "Die
Deutschen wollen sich reinwaschen", alarmiert die polnische
Boulevardzeitung "Fakt". Die Zeitungen "Dziennik" und "Rzeczpospolita" schreiben
in ähnlichem Ton. Der konservative Oppositionsführer
Jaroslaw Kaczynski sekundiert, in Europa machten sich nur
wenige eine Vorstellung, welch "unglaublichen Bandenterror" die
deutschen Invasoren nach 1939 entfaltet hätten. Da wolle
jemand den Europäern weismachen, die Besatzungsherrschaft
in Polen sei vergleichsweise zivilisiert gewesen - "so
wie in Dänemark".
Anlass für die neuste Historienhysterie ist der "Spiegel" von
dieser Woche. Das Magazin hatte noch einmal zusammengetragen,
was immer wieder in Büchern und oft genug auch in Zeitungen
zu lesen war: dass französische Bürgermeister,
rumänische und italienische Soldaten, ukrainische ebenso
wie lettische Gendarmen und polnische Bauern mitgemacht haben "bei
dem Verbrechen schlechthin, dem Holocaust". Seit es
in Polen - schon vor der Kaczynski-Zeit - Teil der Staatsräson
geworden ist, ausländischen Medien beim Gebrauch fahrlässiger
Formulierungen (etwa "Polish death camps" oder "polnische
Konzentrationslager") Protestschreiben ins Haus zu
schicken, führen Verdachtsmomente dieser Art regelmäßig
zu scharfen Reaktionen. Diesmal meldete sich auch der frühere
israelische Diplomat und Knesset-Vorsitzende Schewach Weiss
in der polnischen Presse zu Wort. Weiss, der mit seinen Eltern
den Holocaust in Verstecken bei Polen überlebte und
der an der Weichsel große Beliebtheit genießt,
warnte, in Deutschland lebten die unterirdischen "Quellen
des Bösen" fort. In Zeiten von Krise und Arbeitslosigkeit "kann
aus diesen Quellen ein neuer deutscher Nationalismus erwachsen".
Doch schon die erste Reaktion des polnischen Außenministers
Radoslaw Sikorski war um Mäßigung bemüht: "Die
Presse in Deutschland ist frei, ebenso wie in Polen." Das
Außenministerium sieht trotz entsprechender Aufforderungen
aus der Kaczynski-Partei keinen Handlungsbedarf. Sikorski
gab die Aufgabe elegant an das "Institut des Nationalen
Gedenkens" weiter, das die polnischen Stasi-Akten verwaltet,
dessen Aufgabenbereich jedoch zurückreicht bis ins Jahr
1939 und auch Bildungsarbeit umfasst. Das Institut beeilte
sich mitzuteilen, man werde dem "Spiegel" ein jüngst
zur medialen Verwendung geschnürtes Päckchen mit
Bildungsgut schicken: über jene Polen, die im Krieg
Juden gerettet haben. Soweit das Erwartbare. Doch diesmal
war da noch mehr: Die Fraktion der Nachdenklichen war nicht
zu übersehen. Adam Rotfeld, Polens früherer Außenminister,
der sein Überleben im Holocaust ukrainischen Mönchen
in Galizien verdankt, schrieb sachlich: "Die Deutschen
berühren jetzt Themen, die früher zu berühren
sie nicht den Mut hatten." 60 Jahre nach Kriegsende
lebe in Deutschland nun einmal "eine ganz neue Generation,
die eine ganz neue Erinnerung an den Krieg hat". In
der Tat habe in vielen Völkern "das immanente Böse" geschlummert;
der deutsche Nazismus habe es zum Ausbruch kommen lassen.
Den "Spiegel" nahm Rotfeld in Schutz.
Auch die liberale "Gazeta Wyborcza" mahnte von
Anfang an zur Besonnenheit. Die oft vorgebrachte Behauptung,
die Deutschen wollten "ihre Geschichte relativieren",
entspringe einer "ziemlich paranoiden Vision".
Die Titelseite der deutschen Publikation ("Hitlers europäische
Helfer beim Judenmord") sei zwar ein "widerlicher
Marketing-Gag", aber mehr auch nicht. Wundern könne
man sich lediglich über die Aussage der deutschen Autoren,
Polen sei bei der Aufarbeitung dunkler Flecken in seiner
Vergangenheit ganz am Anfang.
Inzwischen hat die polnische Holocaust-Forschung, ebenso
wie die Untersuchung des landeseigenen Antisemitismus, aber
auch des Phänomens der Rettung von Juden, zu dieser
Aufarbeitung wichtige Beiträge geliefert. Einer der
Beitragenden ist der schwedische Historiker Gunnar Paulsson,
der in Polen kürzlich ein Buch über diese Rettungsaktionen
und ihren Kontext veröffentlicht hat. Er schätzt,
allein in Warschau hätten sich bis zu 60 000 Polen wissentlich
an der Rettung von Juden beteiligt - eine unter Lebensgefahr
geleistete Arbeit, deren Früchte jedoch durch die "Gegenseite",
durch einige tausend Verräter in der Stadt, die so genannten "Schmalzowniks",
oft genug zunichte gemacht wurden.
welt.de
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