Weil
Gauck die Prager Erklärung unterschrieben hat, wird
Kritik an seinem Geschichtsverständnis laut
Normalerweise wird eine Bundespräsidentenwahl in Israel
und den USA nicht besonders zur Kenntnis genommen. Doch ausgerechnet
um die Personalie Gauck hat sich dort eine in Deutschland
kaum zur Kenntnis genommene Kritik entzündet. Der israelische
Historiker Efraim Zuroff hat lange Zeit in den USA gelebt
und war der erste Leiter des Simon-Wiesenthal-Centers [1].
Er hat in einem jetzt von der taz nachgedruckten Artikel
[2] heftige Kritik an dem neuen Bundespräsidenten geübt
und dort die Befürchtung vor einem Rollback in der deutschen
Erinnerungspolitik geäußert.
Der Anlass für die heftige Kritik Zuroffs ist Gaucks
Unterschrift unter der Prager Erklärung [3] mit dem
Untertitel "Europas Gewissen und der Totalitarismus",
die zu einer Entschließung des EU-Parlaments [4] am
2. April 2009 führte. Darin wird die Notwendigkeit formuliert,
die "Verbrechen der totalitären Systeme" des
National- und Realsozialismus aufzuarbeiten und zu verurteilen.
Für Zuroff wirft die Unterstützung der Erklärung "mehr
als alles andere einen Schatten auf die Kandidatur von Joachim
Gauck" und lässt bei ihm "ernsthafte Zweifel
an dessen Eignung für dieses repräsentative Amt
aufkommen".
Dabei unterstützt der Historiker Zuroff ausdrücklich
die Intention, auch die Verbrechen im nominalsozialistischen
Herrschaftsbereich aufzudecken. Seine Hauptkritik richtet
sich gegen die Gleichsetzung mit dem Nationalsozialismus.
Die entscheidenden Unterschiede beider Ideologien, so Zuroff,
würden ignoriert:
"Die behauptete Austauschbarkeit beider Phänomene übersieht
den präzedenzlosen Charakter des Holocaust und erhöht
die kommunistischen Verbrechen in ihrer tatsächlichen
historischen Bedeutung."
Zuroff sieht in der in Deutschland weitgehend ausgebliebenen
Kritik an der Prager Erklärung ein Indiz für eine "merkliche
Holocaust-Ermüdung" in Deutschland. Obwohl das "Wissen
um die Judenvernichtung und die Sensibilität dafür
unverkennbar zugenommen" hätte, würden "die
Stimmen derer, die die deutschen Opfer im und nach dem Krieg
betonen, (...) kühner und lauter", diagnostiziert
der Historiker. Einige Kommentare [5] scheinen die Befürchtung
zu bestätigen.
Auch wenn diese Kritik in Deutschland kaum wahrgenommen
wurde, macht sie doch deutlich, dass in manchen Ländern
gewisse Zungenschläge zu historischen Themen deutscher
Politiker sehr genau analysiert werden und nicht überall
die deutsche Geschichte mit dem Mauerfall beginnt.
heise.de
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