28. Mai 2012, 12:41 Uhr spiegel.de
Heikle Mission im Heiligen Land
Von Florian Gathmann und Juliane von Mittelstaedt

Joachim Gauck reist zum Staatsbesuch nach Israel, und die Erwartungen könnten höher kaum sein: Die einen wünschen sich ein deutliches Bekenntnis zur deutsch-israelischen Freundschaft, die anderen klare Worte zu Palästina. Es ist die erste echte Bewährungsprobe für den Bundespräsidenten.

Die Generalprobe ist gelungen. Anfang Mai war das, der Bundespräsident hatte als erster Deutscher beim nationalen Befreiungstag der Niederlande - Hunderttausende wurden von den deutschen Nazi-Besatzern ermordet und verschleppt - eine Rede gehalten. Joachim Gauck machte eine so gute Figur, dass er auf dem Heimflug seinen Besuch im Nachbarland als "Geschenk" bezeichnete.

Doch nun zählt es wirklich für das deutsche Staatsoberhaupt. Wenn die Präsidentenmaschine am späten Montagnachmittag auf dem Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv landet, wird sich Gauck auf dem heikelsten Terrain bewegen, das es für deutsche Politiker gibt. Als der damalige Kanzler Willy Brandt im Juni 1973 - er besuchte damals als erster deutscher Regierungschef Israel - von "normalen Beziehungen vor besonderem Hintergrund" sprach, war das eine kolossale Untertreibung. 40 Jahre später wäre sie es immer noch.

Zuletzt zeigte sich das an der Kontroverse um das Israel-Gedicht von Günter Grass. Hinzu kommt das Ergebnis einer neuen Umfrage des Forsa-Instituts, wonach 58 Prozent der Deutschen Israel fremd ist. Dazu passt der Satz des deutsch-jüdischen Publizisten Michael Wolffsohn, der vor wenigen Wochen in der "Welt" gewohnt provokant feststellte: "Die deutsch-israelische Freundschaft ist auf winzige Teile der politischen und medialen Klasse beschränkt."

Und Gauck, gerade einmal zweieinhalb Monate im Amt und alles andere als ein erfahrener Politiker, soll es nun richten. Die Erwartungen sind enorm, die Anspannung bei ihm ist es ebenso. Staatsoberhaupt Schimon Peres persönlich hat dafür gesorgt, dass aus dem Antritts- ein Staatsbesuch wird. Diese Aufwertung kann auch eine Bürde für den Gast sein.

Zentralrats-Chef Graumann: "Israel verdient mehr Empathie und Sympathie"

"Hoffentlich kann der Bundespräsident mit seiner Reise dazu beitragen, dass Israel künftig mit mehr Verständnis und mit mehr Fairness behandelt wird", sagt Dieter Graumann, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland. "Israel verdient mehr Empathie und Sympathie - genau das könnte der Bundespräsident hervorragend vermitteln." Und Schimon Stein, Ex-Botschafter Israels in Deutschland, sagt: "Der Bundespräsident soll seinen Beitrag dazu leisten, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel auch eine Zukunft haben."

Gaucks persönliche Botschaft lautet: "Wir Deutschen stehen an Israels Seite." Bei seinem Besuch muss der Präsident den Gastgebern versichern, dass Deutschland weiterhin ein enger Freund ist, trotz Grass und zunehmendem Unverständnis. Das könnte aber gerade für ihn zum Balanceakt werden. Repräsentiert Israel für den Freiheitskämpfer Gauck nicht eine Menge von dem, wogegen er als Bürgerrechtler in der DDR einst anging? Ein Land, das ein Volk unter Besatzung hält, ihm elementare Rechte und Freiheiten verweigert? Man darf auf die Gespräche mit Präsident Peres und Regierungschef Benjamin Netanjahu gespannt sein.

"Loyalität und Kritik sind keine Gegensätze, recht verstandene Loyalität und Kritik bedingen einander", so hatte es Joachim Gauck vor zwei Jahren in seiner Laudatio auf den Schriftsteller David Grossman bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels gesagt. Jetzt muss er in der Praxis beweisen, wie Loyalität und Kritik zu verbinden sind.

In Israel weiß man noch nicht so recht, was von dem neuen deutschen Bundespräsidenten zu halten ist, der privat schon mehrfach das Land besuchte. Kritisch sieht man hier besonders, dass Gauck im Jahr 2008 die Prager Erklärung unterzeichnete. Darin werden Nationalsozialismus und Stalinismus als ähnlich verbrecherische Regime anerkannt, gefordert wird zudem ein gemeinsamer europäischer Gedenktag für die Opfer. Das wird vor allem in Israel als Versuch einer neuen deutschen Geschichtsschreibung verstanden, die das Einzigartige des Holocaust zu relativieren - und damit zu verharmlosen - versucht.

Wie geht Gauck mit dem Holocaust um?

"Joachim Gaucks Unterschrift unter der Prager Erklärung ist ein gefährliches Zeichen, dass er die Bundesrepublik in eine andere Richtung führen könnte", kritisierte Efraim Zuroff, Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem, in der "taz". Gaucks Haltung und seine öffentlichen Erklärungen, schreibt Zuroff, würden einen erheblichen Einfluss darauf ausüben, in welcher Form Deutschland in den kommenden Jahren mit dem Holocaust umgehe.

In Israel wird man daher besonders auf die Zwischentöne achten. Schon jetzt fällt auf, dass der Bundespräsident einiges anders macht als seine Vorgänger: Er wird keine Rede in der Knesset halten wie Horst Köhler und Johannes Rau. Er trifft den Schriftsteller Grossman, der in Israel wegen seiner linken Positionen von vielen Regierungsmitgliedern verachtet wird. Und er fährt im Anschluss an seinen dreitägigen Aufenthalt in Israel nach Ramallah, wo Gauck am Donnerstag den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas und Regierungschef Salam Fayad treffen wird. Zudem will er eine Mädchenschule nahe Nablus einweihen.

Prompt gibt es Kritik an dem geplanten Gauck-Abstecher in die palästinensischen Gebiete. Das sei offenbar ein Zeichen der "Ausgewogenheit der deutschen Außenpolitik", sagt Ex-Botschafter Stein. Aber er fügt hinzu: "Weil der Besuch von symbolischer Bedeutung ist, wäre es meiner Meinung nach angebracht, auf die bekannte Ausgewogenheit dieses Mal zu verzichten und die palästinensische Gebiete bei einer anderen Gelegenheit aufzusuchen."

Im israelischen Außenministerium gibt man sich zurückhaltend. Immerhin besuchte schon Vorgänger Christian Wulff den palästinensischen Präsidenten Abbas an seinem Amtssitz. "Das ist nicht nötig, aber warum sollte Gauck nicht nach Ramallah fahren?", sagt Sprecher Jigal Palmor. Diplomatische Verstimmungen bestreitet er, aber glücklich wird Israel über den Ramallah-Ausflug nicht sein. "Natürlich wird Gauck für eine Zweistaatenlösung und Friedensverhandlungen eintreten, aber das wird hier niemanden schockieren." Man erwarte eine "ausgewogene Rede" vom Bundespräsidenten, "wenn die Palästinenser öffentliche Israel-Schelte erwarten, werden sie enttäuscht sein".

In Ramallah sieht man jedoch schon den Besuch des Staatsoberhaupts als Hoffnungsschimmer. "Das ist ein sehr positives Zeichen für uns", sagt Regierungssprecher Ghassan Khatib. Es sei "ein Indikator für das wachsende deutsche Bewusstsein für den Konflikt - in einer Zeit, wo wir es sehr brauchen".

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