Joachim
Gauck reist zum Staatsbesuch nach Israel, und die Erwartungen
könnten höher kaum sein: Die einen wünschen
sich ein deutliches Bekenntnis zur deutsch-israelischen Freundschaft,
die anderen klare Worte zu Palästina. Es ist die erste
echte Bewährungsprobe für den Bundespräsidenten.
Die Generalprobe ist gelungen. Anfang Mai war das, der Bundespräsident
hatte als erster Deutscher beim nationalen Befreiungstag
der Niederlande - Hunderttausende wurden von den deutschen
Nazi-Besatzern ermordet und verschleppt - eine Rede gehalten.
Joachim Gauck machte eine so gute Figur, dass er auf dem
Heimflug seinen Besuch im Nachbarland als "Geschenk" bezeichnete.
Doch nun zählt es wirklich für das deutsche Staatsoberhaupt.
Wenn die Präsidentenmaschine am späten Montagnachmittag
auf dem Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv landet, wird sich
Gauck auf dem heikelsten Terrain bewegen, das es für
deutsche Politiker gibt. Als der damalige Kanzler Willy Brandt
im Juni 1973 - er besuchte damals als erster deutscher Regierungschef
Israel - von "normalen Beziehungen vor besonderem Hintergrund" sprach,
war das eine kolossale Untertreibung. 40 Jahre später
wäre sie es immer noch.
Zuletzt zeigte sich das an der Kontroverse um das Israel-Gedicht
von Günter Grass. Hinzu kommt das Ergebnis einer neuen
Umfrage des Forsa-Instituts, wonach 58 Prozent der Deutschen
Israel fremd ist. Dazu passt der Satz des deutsch-jüdischen
Publizisten Michael Wolffsohn, der vor wenigen Wochen in
der "Welt" gewohnt provokant feststellte: "Die
deutsch-israelische Freundschaft ist auf winzige Teile der
politischen und medialen Klasse beschränkt."
Und Gauck, gerade einmal zweieinhalb Monate im Amt und alles
andere als ein erfahrener Politiker, soll es nun richten.
Die Erwartungen sind enorm, die Anspannung bei ihm ist es
ebenso. Staatsoberhaupt Schimon Peres persönlich hat
dafür gesorgt, dass aus dem Antritts- ein Staatsbesuch
wird. Diese Aufwertung kann auch eine Bürde für
den Gast sein.
Zentralrats-Chef Graumann: "Israel verdient mehr Empathie
und Sympathie"
"Hoffentlich kann der Bundespräsident mit seiner
Reise dazu beitragen, dass Israel künftig mit mehr Verständnis
und mit mehr Fairness behandelt wird", sagt Dieter Graumann,
Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland. "Israel
verdient mehr Empathie und Sympathie - genau das könnte
der Bundespräsident hervorragend vermitteln." Und
Schimon Stein, Ex-Botschafter Israels in Deutschland, sagt: "Der
Bundespräsident soll seinen Beitrag dazu leisten, dass
die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel auch eine
Zukunft haben."
Gaucks persönliche Botschaft lautet: "Wir Deutschen
stehen an Israels Seite." Bei seinem Besuch muss der
Präsident den Gastgebern versichern, dass Deutschland
weiterhin ein enger Freund ist, trotz Grass und zunehmendem
Unverständnis. Das könnte aber gerade für
ihn zum Balanceakt werden. Repräsentiert Israel für
den Freiheitskämpfer Gauck nicht eine Menge von dem,
wogegen er als Bürgerrechtler in der DDR einst anging?
Ein Land, das ein Volk unter Besatzung hält, ihm elementare
Rechte und Freiheiten verweigert? Man darf auf die Gespräche
mit Präsident Peres und Regierungschef Benjamin Netanjahu
gespannt sein.
"Loyalität und Kritik sind keine Gegensätze,
recht verstandene Loyalität und Kritik bedingen einander",
so hatte es Joachim Gauck vor zwei Jahren in seiner Laudatio
auf den Schriftsteller David Grossman bei der Verleihung
des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels gesagt. Jetzt
muss er in der Praxis beweisen, wie Loyalität und Kritik
zu verbinden sind.
In Israel weiß man noch nicht so recht, was von dem
neuen deutschen Bundespräsidenten zu halten ist, der
privat schon mehrfach das Land besuchte. Kritisch sieht man
hier besonders, dass Gauck im Jahr 2008 die Prager Erklärung
unterzeichnete. Darin werden Nationalsozialismus und Stalinismus
als ähnlich verbrecherische Regime anerkannt, gefordert
wird zudem ein gemeinsamer europäischer Gedenktag für
die Opfer. Das wird vor allem in Israel als Versuch einer
neuen deutschen Geschichtsschreibung verstanden, die das
Einzigartige des Holocaust zu relativieren - und damit zu
verharmlosen - versucht.
Wie geht Gauck mit dem Holocaust um?
"Joachim Gaucks Unterschrift unter der Prager Erklärung
ist ein gefährliches Zeichen, dass er die Bundesrepublik
in eine andere Richtung führen könnte", kritisierte
Efraim Zuroff, Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem,
in der "taz". Gaucks Haltung und seine öffentlichen
Erklärungen, schreibt Zuroff, würden einen erheblichen
Einfluss darauf ausüben, in welcher Form Deutschland
in den kommenden Jahren mit dem Holocaust umgehe.
In Israel wird man daher besonders auf die Zwischentöne
achten. Schon jetzt fällt auf, dass der Bundespräsident
einiges anders macht als seine Vorgänger: Er wird keine
Rede in der Knesset halten wie Horst Köhler und Johannes
Rau. Er trifft den Schriftsteller Grossman, der in Israel
wegen seiner linken Positionen von vielen Regierungsmitgliedern
verachtet wird. Und er fährt im Anschluss an seinen
dreitägigen Aufenthalt in Israel nach Ramallah, wo Gauck
am Donnerstag den palästinensischen Präsidenten
Mahmud Abbas und Regierungschef Salam Fayad treffen wird.
Zudem will er eine Mädchenschule nahe Nablus einweihen.
Prompt gibt es Kritik an dem geplanten Gauck-Abstecher in
die palästinensischen Gebiete. Das sei offenbar ein
Zeichen der "Ausgewogenheit der deutschen Außenpolitik",
sagt Ex-Botschafter Stein. Aber er fügt hinzu: "Weil
der Besuch von symbolischer Bedeutung ist, wäre es meiner
Meinung nach angebracht, auf die bekannte Ausgewogenheit
dieses Mal zu verzichten und die palästinensische Gebiete
bei einer anderen Gelegenheit aufzusuchen."
Im israelischen Außenministerium gibt man sich zurückhaltend.
Immerhin besuchte schon Vorgänger Christian Wulff den
palästinensischen Präsidenten Abbas an seinem Amtssitz. "Das
ist nicht nötig, aber warum sollte Gauck nicht nach
Ramallah fahren?", sagt Sprecher Jigal Palmor. Diplomatische
Verstimmungen bestreitet er, aber glücklich wird Israel über
den Ramallah-Ausflug nicht sein. "Natürlich wird
Gauck für eine Zweistaatenlösung und Friedensverhandlungen
eintreten, aber das wird hier niemanden schockieren." Man
erwarte eine "ausgewogene Rede" vom Bundespräsidenten, "wenn
die Palästinenser öffentliche Israel-Schelte erwarten,
werden sie enttäuscht sein".
In Ramallah sieht man jedoch schon den Besuch des Staatsoberhaupts
als Hoffnungsschimmer. "Das ist ein sehr positives Zeichen
für uns", sagt Regierungssprecher Ghassan Khatib.
Es sei "ein Indikator für das wachsende deutsche
Bewusstsein für den Konflikt - in einer Zeit, wo wir
es sehr brauchen". spiegel.de
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