Das
Simon Wiesenthal Center will die letzten NS-Täter
vor Gericht bringen. Doch selbst wenn sich von denen einer
mal öffentlich zu seinen Taten bekennt, bleibt das
wahrscheinlich ohne Folgen
Der Auftrag lautete: 'Die sind zu erschießen.' Und
das war für mich bindend." Der so spricht, hat nichts
zu befürchten. Die zu Erschießenden waren ukrainische
Juden, die wie alle Bewohner der Sowjetunion irgendwie minderwertig
gewesen seien: "Sie waren zivilisatorisch noch nicht so
weit wie der Westen. Sie müssen sich nur folgendes vor
Augen führen: Frankreich, zivilisierte Nation - Wassertoilette.
Rußland - überwiegend Toilette hinter dem Haus." Im übrigen
sei es ja so gewesen, "daß da Zusammenhänge
bestanden zwischen Juden und Bolschewisten, da gab es genügend
Belege, daß da Zusammenhänge bestanden".
Aus der Sicht des Mörders ließ sich sein Auftrag
leicht erfüllen: "Die waren ja dermaßen geschockt
und verängstigt - mit denen konnten Sie machen, was
Sie wollten." Und so lief eine Erschießung ab: "Versuchen
Sie sich vorzustellen: Da ist ein Graben, da stehen Menschen
an einer Seite, und dahinter stehen Soldaten - das waren
wir -, und die haben geschossen. Und die getroffen wurden,
die sind runtergefallen."
Was hat sich der Mörder dabei gedacht? "Nichts.
Ich hab nur überlegt: Ziele vorsichtig, damit man auch
richtig trifft. Das war meine Überlegung." Mitleid
mit den Opfern? "Nein. Dazu ist mein Haß den Juden
gegenüber zu groß. Und ich gebe zu, mein Denken
ist da ungerecht, geb' ich zu. Aber, was ich von frühester
Jugend an auf dem Bauernhof erlebt habe, was die Juden mit
uns gemacht haben, da wird sich das nicht ändern. Davon
bin ich felsenfest überzeugt." Was seine Opfer
in der Ukraine denn damit zu tun hatten? "Gar nichts.
Aber das waren für uns Juden!"
So sprach der heute 84jährige ehemalige SS-Unterführer
Hans Friedrich Ende vergangenen Jahres, als er für eine
BBC-Dokumentation über die "Endlösung" befragt
wurde. Er hat offenbar aus der Geschichte gelernt - daß seine
Beteiligung am Judenmord folgenlos bleibt. Warum sollte er
also nicht auch gleich zugeben, daß er bis heute genauso
denkt wie damals? Selbst wenn, was der Fall ist, nun gegen
Friedrich ermittelt wird, dessen Bekenntnisse nach der Ausstrahlung
des Films im Januar in Großbritannien für einigen
Wirbel sorgten: Es wird keine Zeugen mehr geben, die Ermittlungen
tragen den Charakter einer langwierigen historischen Recherche,
letztlich hängt es vom Beklagten ab, ob er seine Taten
gesteht.
Vor allem aber ist die Verurteilung solcher Verbrechen seit
Sommer letzten Jahres vom Bundesgerichtshof (BGH) so erschwert
worden, daß selbst ermittlungswillige Staatsanwälte
(von denen es mittlerweile einige gibt) sich gut überlegen
werden, ob sie einen solchen Fall noch einmal vor Gericht
bringen. Der BGH hob damals das Urteil gegen den ehemaligen
SS-Obersturmbannführer Friedrich Engel auf, der zuvor
vom Hamburger Landgericht wegen der Ermordung von 59 italienischen
Zivilisten zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war. Der "Todesengel
von Genua" war 1944 Chef von SS und Polizei der von
den Deutschen besetzten italienischen Stadt; die Geiselerschießung
zur Vergeltung eines Anschlags auf ein Soldatenkino war nicht
sein einziges Verbrechen, aber das einzige, das ihm nachgewiesen
werden konnte.
Der BGH entschied, daß es "an den subjektiven
Voraussetzungen des Merkmals der Grausamkeit gefehlt hat" und
Engel deswegen nicht wegen Mordes verurteilt werden kann.
In Italien war Engel schon 1999 der Prozeß gemacht
worden, nicht wegen der Geiselerschießung, sondern
aufgrund der besonderen Grausamkeit der Tat. Pier Paolo Rivello
vom Archiv der italienischen Militärstaatsanwaltschaft
faßt die Aussagen zusammen: "Die Opfer kamen in
kleinen Gruppen zum Erschießungsort. Dort mußten
sie auf einen Balken über einem Graben steigen, den
jüdische Häftlinge ausgehoben hatten. In dem Graben
sahen sie die bereits erschossenen Personen. Eine Gruppe
von Offizieren aß und trank fröhlich mit Blick
auf die Erschießungen."
Der BGH stellte dagegen strafmindernd in Rechnung, daß die
Tat schnell, mit geringem personellen Aufwand und im Geheimen
habe organisiert werden und stattfinden müssen - so
einfühlsam können deutsche Richter sein. Im Hinblick
auf weitere Verfahren, wie dem gegen Friedrich, muß also
die Grausamkeit gesondert nachgewiesen werden. Ob Judenhaß da
noch ausreicht oder die völlige Sinnlosigkeit der Tat?
Mit der "Operation Last Chance" will das Simon
Wiesenthal Center nun die Probe aufs Exempel machen. Die
zuvor schon in zahlreichen osteuropäischen Staaten angelaufene
Kampagne verspricht 10.000 Euro für Hinweise, die zur
Verurteilung von Naziverbrechern führen (www.operationlastchance.
com). Als Beispiel führt das Wiesenthal Center den Fall
des Dr. Aribert Heim an, der als KZ-Arzt in Mauthausen Hunderte
Häftlinge zu Tode gespritzt haben soll und der seit
Anfang der sechziger Jahre in der Illegalität lebt.
Heim, so Efraim Zuroff, der die Kampagne koordiniert, habe
noch ein großes Vermögen auf der Bank. Wäre
er gestorben, hätten sich die Erben längst schon
gemeldet.
Im Sommer 2002 startete die "Operation Last Chance" in
den baltischen Staaten. Zum einen hatten diese Länder
die höchste Opferrate während der Shoah, zahlreiche
Gemeinden wurden ganz ausgelöscht und Zehntausende deportierter
Juden aus den westeuropäischen Staaten hier ermordet.
Zum anderen aber erhoffte man sich eine gewisse Bereitschaft
zu Aussagen, weil es nach dem Krieg, als diese Staaten zur
Sowjetunion gehörten, schon zahlreiche Prozesse gegen
lettische, litauische, estnische und ukrainische Täter
gegeben hat, die keine weitere Verfolgung zu befürchten
hatten. Die Rechnung ging auf: Das Wiesenthal Center leitete
72 Namen an die Staatsanwaltschaften weiter, 18 Verfahren
gegen insgesamt 40 Beschuldigte wurden eingeleitet.
Doch geht es nicht nur um die Verfolgung noch lebender Mörder,
das Ziel ist, so der Historiker Stefan Klemp, der die Kampagne
in Deutschland betreut, auch einzelne Verbrechen aufzuklären.
In Osteuropa sind Verbrechen geschehen, die noch immer nicht
bekannt seien, bestätigt auch der Leiter der Zentralen
Stelle zur Verfolgung von NS-Kriegsverbrechen, Oberstaatsanwalt
Kurt Schrimm. Im Fall von Hans Friedrich gibt es jedoch Unterlagen über
die Verbrechen seiner SS-Einheit. Er wurde 1921 im rumänischen
Neu Sankt Peter geboren. Seine Familie zählte zur deutschsprachigen
Minderheit, er war ein sogenannter Volksdeutscher. Seit 1936
gehörte er der "Deutschen Jugend", einer nationalsozialistischen
Vorfeldorganisation, an. Im Juni 1940 meldete sich Friedrich
bei der ersten Werbeaktion der Waffen-SS in Rumänien
freiwillig. Die Aktion war faktisch illegal, da erst im September
1940 eine mit Deutschland verbündete faschistische Regierung
ernannt wurde. Die Initiatoren der Werbeaktion waren Gottlob
Berger, der Chef des SS-Hauptamts, und Andreas Schmidt, der
Führer der Volksdeutschen in Rumänien.
Friedrich kam im Frühjahr 1941 zur gerade neu aufgestellten
1. SS-Infanteriebrigade. Diese Einheit begann ab Ende Juli
1941 auf dem Gebiet der heutigen Ukraine mit der Ermordung
der jüdischen Bevölkerung. Die SS-Brigade war zusammen
mit der gleichzeitig weiter nördlich in Weißrußland
eingesetzten SS-Kavallerie die erste Einheit, die mit der
Ermordung von jüdischen Männern, Frauen und Kindern
in der Sowjetunion begann. Beide Brigaden taten über
Monate nichts anderes, als Tag für Tag in immer weitere,
bereits deutsch besetzte Dörfer und Städte der
Sowjetunion einzufallen und dort mit Hilfe einheimischer
Antisemiten die vor Ort wohnenden Juden zusammenzutreiben.
Anschließend wurden die Kinder, Frauen und Männer
in vorbereiteten Gruben erschossen. In den deutschen Befehlen
und Niederschriften wurden diese Mordaktionen zumeist Maßnahmen
gegen "Plünderer" oder "Partisanenbekämpfung" genannt,
Euphemismen, die den Umstand der in der Sowjetunion in Gang
gesetzten Shoah nur oberflächlich kaschierten.
Am Montag, den 4. August 1941 besetzte das 1. Bataillon
des 10. Regiments der 1. SS-Brigade, zu dem auch Hans Friedrichs
3. Kompanie gehörte, das westlich von Schitomir gelegene
Hrycow. Dort ermordeten die Deutschen laut eigenem Einsatzbericht
in den nächsten Stunden 268 jüdische Männer;
höchstwahrscheinlich wurden aber, wie in anderen Fällen,
ebenso Frauen und Kinder getötet. Oberstaatsanwalt Schrimm
erklärte Ende Januar, daß seine Behörde das
Material, das ihr zu Hans Friedrich vorliege, bereits an
die Staatsanwaltschaft München I weitergegeben habe.
Diese ist in Deutschland speziell für Ermittlungen zu
NS-Kriegsverbrechen zuständig. Dort kam man allerdings überein,
die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Göttingen zu übergeben,
weil Friedrich dort lebt. Oberstaatsanwalt Hans-Hugo Heimgärtner
von der Staatsanwaltschaft Göttingen kann bestätigen,
daß seine Behörde beschäftigt ist. "Wir
werten Unterlagen aus und kümmern uns um Informationen
aus den Archiven. Wir müssen ja auch noch ermitteln,
um was genau für eine Einheit es sich handelte, der
Friedrich angehörte."
Friedrich wurde inzwischen gefragt, ob er sich zu den Vorwürfen äußern
wolle. Aber leider ist der Herr noch nicht so weit. "Er
will zur Zeit noch nichts sagen", erläutert Heimgärtner.
Und da seine Behörde erst mal die "Grundlage schaffen
muß", um ihn genauer zu befragen, wird es bei
seinem Schweigen vorerst auch bleiben. Auch ein Haftgrund
liege nicht vor, da Friedrich sich nicht "entziehen
wolle" und dem "Ganzen mit großer Gelassenheit
entgegensehe". Das ist natürlich schön für
den ehemaligen SS-Mann und späteren Ingenieur, der,
obwohl bereits über achtzig Jahre alt, "noch fit
wie ein Turnschuh" ist, wie Heimgärtner bemerkt.
Trotz seiner Aussagen im Interview und den zahlreichen Dokumenten,
die zu den Verbrechen der Einheit vorliegen, scheint es für
die Staatsanwaltschaft nicht einfach zu sein, eine Klage
gegen Hans Friedrich zu erheben. "Er sagt ja nicht,
daß er selber geschossen hat, jedenfalls ist das nicht
so aus dem vorliegenden Material zu verstehen. Der englische
Text überlagert das, was er gesagt hat", lautet
die verblüffende Interpretation von Heimgärtner.
Daher müsse man sich erst das komplette Interview zuschicken
lassen.
Bereits in den sechziger und siebziger Jahren ermittelte
die Staatsanwaltschaft München I gegen Führerdienstgrade
der 1. SS-Brigade wegen ihrer Beteiligung an Massenverbrechen
in der Sowjetunion. Konkret ging es um jene Judenmorde, die
Friedrich vor laufender Kamera beschrieben hat. Bei einem
Abgleich der SS-Personallisten stießen die Ermittler
damals auch auf seinen Namen. Im Verfahren wurde er dann
insgesamt dreimal als Zeuge vernommen. Da Friedrich aber
als SS-Unterführer nur einen niedrigen Dienstgrad innehatte,
wurde gegen ihn gar nicht erst ermittelt. Er hütete
sich seinerseits, bei den Vernehmungen von Sachverhalten
zu sprechen, die seine früheren Vorgesetzten oder ihn
selbst belastet hätten. Wie in Tausenden von ähnlich
gelagerten Fällen gaben sich die Ermittler mit dieser
Version der Ereignisse in der Mördertruppe zufrieden.
Friedrich wurde nicht belangt. Die Ermittlungen gegen die
Führerdienstgrade wurden nach teils zehnjährigen
Ermittlungen trotz eindeutiger Beweislage Mitte der siebziger
Jahre eingestellt.
Daß wenigstens in einigen Fällen nun ein zweites
Mal von Staatsanwälten ermittelt wird, die kein eigenes
Interesse mehr an der Strafvereitelung für NS-Täter
haben, liegt durchaus auf der Linie des wiedergutgemachten
Deutschlands. Insofern könnte auch die "Operation
Last Chance" ganz im Sinne der deutschen Vergangenheitsbewältigung
funktionieren, wenn denn die Berliner Republik demonstrieren
wollte, daß sie sich der Vergangenheit gestellt und
an ein paar alten Herren ein Exempel statuiert habe. Solange
aber die wenigen noch lebenden deutschen Nazimörder
durch aufsehenerregende Interviews mit ausländischen
Medien auf sich aufmerksam machen müssen, um in den
Genuß eines Ermittlungsverfahrens zu kommen, ist diese
Gefahr denkbar gering. Hans Friedrich hat allen Grund, der
Zukunft gelassen entgegenzusehen.
Konkret Online, May 2005
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