Mai/Juni 2005
Der Rechte Rand
  „Es muss jetzt dringend etwas passieren!“
Von Alexandra Kornblum
 
 


Es ist die letzte Chance. Nur wenige Jahre bleiben, um die letzten Nazi-Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen. Zusammen mit der US-amerikanischen Stiftung Targum Shlishi rief nun das Simon Wiesenthal Center die Kampagne „Operation: Last Chance“ aus. Seit über zwei Jahren läuft sie in den baltischen Staaten, Polen, Ungarn, Kroatien, Rumänien und Österreich. Im Januar 2005 startete sie in Deutschland. Für die Zeitschrift Der Rechte Rand sprach Alexandra Kornblum mit „Chef-Nazijäger“ Efraim Zuroff. Er ist Direktor des Jerusalemer Simon Wiesenthal Centers und koordiniert die Kampagne.

DRR: Was steht hinter der Kampagne „Operation: Last Chance“?

E.Z.: Ziel ist es, Nazi-Kriegsverbrecher zu finden und zu helfen, sie vor Gericht zu bringen. Problematisch ist, dass die Leute sehr alt sind. Ich denke aber, dass die Zeit, die verstrichen ist, nicht die Verantwortung des Verbrechers mindert. Auch die Tatsache, dass sie der Gerechtigkeit entfliehen konnten, macht sie nicht zu ehrenwerten Menschen.

DRR: Wie viele deutsche Nazis, die vor Gericht belangt werden könnten leben schätzungsweise noch?

E.Z.: Das weiß keiner. Einige hundert oder einige tausend, das ist eine realistische Schätzung.

DRR: Welche Probleme gibt es in Deutschland, die Verbrecher vor Gericht zu stellen?

E.Z.: Deutschland ist heute eines der wenigen Länder, in dem es den politischen Willen gibt, Nazis vor Gericht zu bringen. Wenn es Beweise gegen einen Nazi gibt, wird er vor Gericht gestellt. Es ist nicht mehr wie früher, als die Strafverfolger Angst hatten, ihren Job zu verlieren. Wir unterstützen die Regierung wenn möglich bei ihren Ermittlungen. In Deutschland sind die Hindernisse keine politischen, ganz im Gegensatz zu Osteuropa.

DRR: Welche Schwierigkeiten gibt es denn bei den Ermittlungen in Osteuropa?

E.Z.: In Osteuropa gibt es bei der Strafverfolgung von lokalen Nazi-Kriegsverbrechern die Tendenz, das richtige zu sagen, aber nicht das richtige zu tun. Es ist aber nicht genug, darüber nur theoretisch zu sprechen. Wenn es Beweise gibt, dann müssen wir die Strafverfolgung vorantreiben. In Rumänien etwa kündigte der Generalstaatsanwalt an, dass er mit uns zusammenarbeiten wird. Das ist der richtige Schritt, aber was wird weiter passieren? Wir wissen es nicht, bevor tatsächlich etwas geschieht. In Ungarn gab es keine einzelne Ermittlung gegen Nazi-Kriegsverbrecher, seitdem es zur Demokratie wurde. Nun haben wir dank „Operation: Last Chance“ sehr schwerwiegende Beweise gegen einen ungarischen Naziverbrecher, Charles Zentai, gefunden. Wir gaben diese Information der ungarischen Regierung und Anfang März wurde ein internationaler Haftbefehl gegen ihn erlassen. Wir sind aber nicht sicher, ob auch weiterhin die richtigen Schritte unternommen werden und er vor Gericht gestellt wird.

DRR: Bei Ihrer Kampagne zählen Sie auf die Mithilfe der Bevölkerung. Wie viele Hinweise gab es bis jetzt?

E.Z.: Wir haben in Deutschland schon Dutzende Anrufe, Emails und Briefe erhalten. Wir sind jetzt in dem Prozess, in dem wir unsere Informationen auswerten. In allen Ländern zusammen haben wir die Namen von über dreihundert Personen erhalten. Wichtig ist, dass jede einzelne Information, jeder Name eines Verdächtigen überprüft wird: Ist die Information glaubwürdig? Arbeitete diese Person tatsächlich für die Gestapo? War sie wirklich Aufseher in einem Konzentrationslager, Mitglied der Einsatzgruppen, Mitglied irgendeiner Sicherheitspolizei? Zweitens wird ermittelt, ob er oder sie – in manchen Fällen ist es auch eine Frau – noch am Leben ist. Drittens: Wurde die Person jemals für das Verbrechen vor Gericht gestellt? Wenn ja, dann gibt es nicht viel, was wir tun können.

DRR: Für Hinweise, die zur Verurteilung der Täter führen, haben Sie eine Belohnung von 10.000 Euro ausgesetzt. Diese Belohnung wurde als „Kopfgeld“ kritisiert, das Fritz-Bauer-Institut etwa lehnte deswegen eine Zusammenarbeit ab.

E.Z.: Wenn die Regierung der Vereinigten Staaten eine Belohnung von 25 Millionen Dollar für Saddam oder Osama Bin Laden aussetzen kann, so sehe ich keinen Grund, warum wir nicht Geld für etwas wie dieses Projekt anbieten können. Und ich glaube, es ist unglaublich engstirnig, sich deswegen gegen unser Projekt zu stellen. Micha Brumlik vom Fritz-Bauer-Institut sagte, dass er es gut fände, diese Leute vor Gericht zu bringen. Aber was tut er dafür? Er sitzt in seinem Büro und beantwortet Fragen von Journalisten, die überhaupt nur deshalb kommen, weil das Simon Wiesenthal Center Operation: Last Chance initiierte. Und das gab die Möglichkeit, um in der Öffentlichkeit über die Verfolgung von Nazi-Kriegsverbrechern zu sprechen. Es muss jetzt dringend etwas passieren, wir müssen aktive Schritte unternehmen, um dieses Thema an die Öffentlichkeit zu bringen!

DRR: Welche Rolle spielt die Öffentlichkeit?

E.Z.: Unsere Annahme ist, dass die Öffentlichkeit Informationen hat. In Litauen haben wir Tonnen von Briefen und Anrufe von Leuten bekommen, die gesagt haben, wir wissen etwas, aber wir wussten nicht, was wir mit den Informationen anstellen sollten. Theoretisch hätten sie sie den Strafverfolgern geben können, aber ich glaube, dass sie Angst haben, die Behörden würden die Information begraben. Das ist der Grund, warum sie sie jemandem geben wollen, der dafür kämpft, dass diese Informationen ernsthaft behandelt werden.

DRR: Gab es Fälle, in denen Ihnen falsche Informationen gegeben wurden, um an die Belohnung zu kommen?

E.Z.: Überraschenderweise nicht. Nur einen Fall hatten wir, in Lettland.

DRR: Vielen Dank für das Gespräch.