Es ist die letzte Chance. Nur wenige Jahre bleiben, um die
letzten Nazi-Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen. Zusammen
mit der US-amerikanischen Stiftung Targum Shlishi rief
nun das Simon Wiesenthal Center die Kampagne „Operation:
Last Chance“ aus. Seit über zwei Jahren läuft
sie in den baltischen Staaten, Polen, Ungarn, Kroatien,
Rumänien und Österreich. Im Januar 2005 startete
sie in Deutschland. Für die Zeitschrift Der Rechte
Rand sprach Alexandra Kornblum mit „Chef-Nazijäger“ Efraim
Zuroff. Er ist Direktor des Jerusalemer Simon Wiesenthal
Centers und koordiniert die Kampagne.
DRR: Was steht hinter der Kampagne „Operation: Last
Chance“?
E.Z.: Ziel ist es, Nazi-Kriegsverbrecher zu finden und zu
helfen, sie vor Gericht zu bringen. Problematisch ist, dass
die Leute sehr alt sind. Ich denke aber, dass die Zeit, die
verstrichen ist, nicht die Verantwortung des Verbrechers
mindert. Auch die Tatsache, dass sie der Gerechtigkeit entfliehen
konnten, macht sie nicht zu ehrenwerten Menschen.
DRR: Wie viele deutsche Nazis, die vor Gericht belangt werden
könnten leben schätzungsweise noch?
E.Z.: Das weiß keiner. Einige hundert oder einige tausend,
das ist eine realistische Schätzung.
DRR: Welche Probleme gibt es in Deutschland, die Verbrecher
vor Gericht zu stellen?
E.Z.: Deutschland ist heute eines der wenigen Länder,
in dem es den politischen Willen gibt, Nazis vor Gericht
zu bringen. Wenn es Beweise gegen einen Nazi gibt, wird er
vor Gericht gestellt. Es ist nicht mehr wie früher,
als die Strafverfolger Angst hatten, ihren Job zu verlieren.
Wir unterstützen die Regierung wenn möglich bei
ihren Ermittlungen. In Deutschland sind die Hindernisse keine
politischen, ganz im Gegensatz zu Osteuropa.
DRR: Welche Schwierigkeiten gibt es denn bei den Ermittlungen
in Osteuropa?
E.Z.: In Osteuropa gibt es bei der Strafverfolgung von lokalen
Nazi-Kriegsverbrechern die Tendenz, das richtige zu sagen,
aber nicht das richtige zu tun. Es ist aber nicht genug,
darüber nur theoretisch zu sprechen. Wenn es Beweise
gibt, dann müssen wir die Strafverfolgung vorantreiben.
In Rumänien etwa kündigte der Generalstaatsanwalt
an, dass er mit uns zusammenarbeiten wird. Das ist der richtige
Schritt, aber was wird weiter passieren? Wir wissen es nicht,
bevor tatsächlich etwas geschieht. In Ungarn gab es
keine einzelne Ermittlung gegen Nazi-Kriegsverbrecher, seitdem
es zur Demokratie wurde. Nun haben wir dank „Operation:
Last Chance“ sehr schwerwiegende Beweise gegen einen
ungarischen Naziverbrecher, Charles Zentai, gefunden. Wir
gaben diese Information der ungarischen Regierung und Anfang
März wurde ein internationaler Haftbefehl gegen ihn
erlassen. Wir sind aber nicht sicher, ob auch weiterhin die
richtigen Schritte unternommen werden und er vor Gericht
gestellt wird.
DRR: Bei Ihrer Kampagne zählen Sie auf die Mithilfe
der Bevölkerung. Wie viele Hinweise gab es bis jetzt?
E.Z.: Wir haben in Deutschland schon Dutzende Anrufe, Emails
und Briefe erhalten. Wir sind jetzt in dem Prozess, in dem
wir unsere Informationen auswerten. In allen Ländern
zusammen haben wir die Namen von über dreihundert Personen
erhalten. Wichtig ist, dass jede einzelne Information, jeder
Name eines Verdächtigen überprüft wird: Ist
die Information glaubwürdig? Arbeitete diese Person
tatsächlich für die Gestapo? War sie wirklich Aufseher
in einem Konzentrationslager, Mitglied der Einsatzgruppen,
Mitglied irgendeiner Sicherheitspolizei? Zweitens wird ermittelt,
ob er oder sie – in manchen Fällen ist es auch
eine Frau – noch am Leben ist. Drittens: Wurde die
Person jemals für das Verbrechen vor Gericht gestellt?
Wenn ja, dann gibt es nicht viel, was wir tun können.
DRR: Für Hinweise, die zur Verurteilung der Täter
führen, haben Sie eine Belohnung von 10.000 Euro ausgesetzt.
Diese Belohnung wurde als „Kopfgeld“ kritisiert,
das Fritz-Bauer-Institut etwa lehnte deswegen eine Zusammenarbeit
ab.
E.Z.: Wenn die Regierung der Vereinigten Staaten eine Belohnung
von 25 Millionen Dollar für Saddam oder Osama Bin Laden
aussetzen kann, so sehe ich keinen Grund, warum wir nicht
Geld für etwas wie dieses Projekt anbieten können.
Und ich glaube, es ist unglaublich engstirnig, sich deswegen
gegen unser Projekt zu stellen. Micha Brumlik vom Fritz-Bauer-Institut
sagte, dass er es gut fände, diese Leute vor Gericht
zu bringen. Aber was tut er dafür? Er sitzt in seinem
Büro und beantwortet Fragen von Journalisten, die überhaupt
nur deshalb kommen, weil das Simon Wiesenthal Center Operation:
Last Chance initiierte. Und das gab die Möglichkeit,
um in der Öffentlichkeit über die Verfolgung von
Nazi-Kriegsverbrechern zu sprechen. Es muss jetzt dringend
etwas passieren, wir müssen aktive Schritte unternehmen,
um dieses Thema an die Öffentlichkeit zu bringen!
DRR: Welche Rolle spielt die Öffentlichkeit?
E.Z.: Unsere Annahme ist, dass die Öffentlichkeit Informationen
hat. In Litauen haben wir Tonnen von Briefen und Anrufe von
Leuten bekommen, die gesagt haben, wir wissen etwas, aber
wir wussten nicht, was wir mit den Informationen anstellen
sollten. Theoretisch hätten sie sie den Strafverfolgern
geben können, aber ich glaube, dass sie Angst haben,
die Behörden würden die Information begraben. Das
ist der Grund, warum sie sie jemandem geben wollen, der dafür
kämpft, dass diese Informationen ernsthaft behandelt
werden.
DRR: Gab es Fälle, in denen Ihnen falsche Informationen
gegeben wurden, um an die Belohnung zu kommen?
E.Z.: Überraschenderweise nicht. Nur einen Fall hatten
wir, in Lettland.
DRR: Vielen Dank für das Gespräch.
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