23.10.2005
Neue Zürcher Zeitung
 

Zweifelhafte Gastfreundschaft

By Cornelia Derichsweiler

 
 


Aribert Heim ist seit 34 Jahren auf der Flucht vor der deutschen Justiz. Spanien, wo er jetzt vermutet wird, war und ist ein Versteck abgetauchter Altnazis seit Francos Zeiten.

Die Spur des Aribert Heim führt in die beschauliche Provinz Girona an der Costa Brava , einem beliebten Rückzugsort vieler deutscher Rentner. Hierhin flossen in den letzten Monaten beträchtliche Geldsummen an ein italienisches Künstlerehepaar, das mit der Familie Heim befreundet sein soll. Und von dort gelangte das Geld wahrscheinlich an den ehemaligen Lagerarzt, der wegen seiner grausamen Menschenversuche in den Konzentrationslagern Mauthausen und Buchenwald den Beinamen «Dr. Tod» erhielt.

Nazis auf schwarzer Liste

Die Geldtransaktionen brachten die deutschen Behörden und das jüdische Dokumentationszentrum Simon-Wiesenthal-Center, das ebenfalls nach dem inzwischen 91-Jährigen fahndet, auf die Spur Heims. Ob sich der Gesuchte allerdings noch immer im Land aufhält, ist ungewiss. Die spanische Tageszeitung «El Mundo» vermutet unter Berufung auf Ermittler, dass sich der Kriegsverbrecher inzwischen womöglich nach Dänemark abgesetzt hat, wo er ebenfalls über eine Infrastruktur verfügen soll.

Schon die Auschwitz-Überlebende Violeta Friedman bezeichnete ihr späteres Heimatland Spanien als eine einzige «Müllhalde für Nazis». Der renommierte Journalist Maria José Irujo von der Tageszeitung «El País» teilt ihre Meinung. Er machte sich vor einigen Jahren auf die Suche nach all denen, die mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Unterschlupf in Spanien gefunden hatten. Dabei kam er auch Heim auf die Spur. Laut Irujos Quellen lebte dieser damals in der Nähe von Alicante, im Küstenort Denia an der Costa Blanca, die schon seit langem Magnet für ehemalige NS-Täter ist. Auf dem Friedhof von Denia fand der Journalist den Grabstein des SS-Kommandanten Anton Galler, des Hauptverantwortlichen für ein Massaker an 400 italienischen Zivilisten. Nach jahrelanger Flucht hatte er in Denia einen sicheren Alterssitz gefunden. «So wie er sind viele seiner Kameraden beerdigt unter Spaniens gastfreundlicher Erde, die seit Jahrzehnten zur Grabstätte der SS geworden ist», sagt José Maria Irujo.

Bei Recherche-Arbeiten war der Journalist vor Jahren auf eine schwarze Liste gestossen, die die Alliierten nach Kriegsende erstellt hatten. Sie enthielt die Namen von 104 Deutschen, die damals in Spanien gelebt hatten und ausgeliefert werden sollten. Im Land des faschistischen Diktators Franco aber hatten deutsche Nationalsozialisten nichts zu befürchten. Der Caudillo legte schützend die Hand über sie: zum Dank für die deutsche Schützenhilfe im Bürgerkrieg. Auch die katholische Kirche nahm manche Nazis unter ihre Fittiche, jahrelang verschwanden sie in Pfarrhäusern oder Klöstern. Andere machten Karriere und genossen einen sonnigen Lebensabend. Irujo erzählt vom Fall des Hans Hoffmann, eines NS-Agenten und späteren deutschen Honorarkonsuls von Malaga, der sich als Immobilienhändler für den Tourismus an der Costa del Sol verdient machte. Auch er stand auf der schwarzen Liste. Ausgeliefert wurde der Mann nie, er starb vor wenigen Jahren in Malaga . Die Verbundenheit mit ehemaligen Nazi-Straftätern aber, so musste Irujo feststellen, wirkt auch im demokratischen Spanien nach. Als der Journalist vor einigen Jahren die schwarze Liste in «El País» veröffentlichte, verweigerte ihm das Aussenministerium jeden weiteren Einblick in die Archivunterlagen. Die konservative Aznar-Administration begründete dies damit, dass einige der 104 Nazispione noch lebten und man schliesslich ihre Intimität und die ihrer Familienangehörigen zu schützen habe.

Schwierige Vergangenheit

Das mangelnde Interesse der Behörden, Naziverbrechen zu verfolgen, meint Irujo, sei nicht abhängig von der politischen Couleur. Schon unter der Regierung des Sozialisten Felipe Gonzalez hatte der nationale Gerichtshof mehrere Auslieferungen von NS-Straftätern verhindert. Die ablehnenden Bescheide stützten sich dabei fast immer auf das Argument, dass das Delikt der Apologie des Genozids in der spanischen Rechtsprechung nicht vorgesehen sei. Erst 1996 trat eine entsprechende Gesetzesänderung in Kraft. «Dennoch hat das demokratische Spanien bis heute keinen einzigen NS- Täter ausgeliefert», bilanziert Irujo. Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Faschismus fällt hierzulande immer noch schwer. Vielleicht, weil man dabei die eigene Vergangenheit wieder ausgraben müsste.

Neue Zürcher Zeitung - 23.10.2005