20. 02 .2014 swr.de
Heute über 90, damals wohl KZ-Wachmann

Knapp 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wollen Nazi-Jäger ehemalige KZ-Wachmänner zur Rechenschaft ziehen. Mit ihrer Hilfe konnte die Polizei unter anderem drei hochbetagte Männer aus Baden-Württemberg festnehmen.

Die Beschuldigten sollen im Vernichtungslager Auschwitz an der Ermordung Deportierter beteiligt gewesen sein. Am Mittwoch wurden bundesweit Wohnungen von Verdächtigen durchsucht. Mit dabei waren Ermittler der Landeskriminalämter (LKA) Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen sowie die Staatsanwaltschaften Stuttgart, Frankfurt und Dortmund.

In Baden-Württemberg wurden im Rhein-Neckar-Kreis, im Enzkreis und in den Kreisen Rottweil, Freiburg, Ludwigsburg und Karlsruhe insgesamt sechs Wohnungen durchsucht, teilte das LKA am Donnerstag mit. Die Ermittlungen im Land richten sich gegen sechs Männer im Alter von 88 bis 94 Jahren. In den Wohnungen wurden diverse Unterlagen und Dokumente aus der NS-Zeit sichergestellt, deren Auswertung noch andauert.

Drei der Beschuldigten in Untersuchungshaft

Fünf der Beschuldigten äußerten sich nicht zum Tatvorwurf. Der 88-Jährige aus dem Enzkreis räumte ein, in Auschwitz gewesen zu sein. Eine konkrete Tatbeteiligung bestritt er allerdings. Drei der verdächtigen Männer aus Baden-Württemberg wurden vorläufig festgenommen. Der zuständige Haftrichter beim Amtsgericht Stuttgart erklärte sie nach ärztlicher Bestätigung für haftfähig. Der 88-Jährige aus dem Enzkreis kam zusammen mit dem 92-Jährigen aus dem Rhein-Neckar-Kreis und dem 94-Jährigen aus dem Raum Ludwigsburg in das Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg.

Recherchen der Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen

Die Ermittlungen gehen auf die Recherchen der Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg zurück, so die Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Die Zentralstelle hatte im November entsprechende Fälle an Anklagebehörden in mehreren Bundesländern abgegeben.

"Das hohe Alter der Verbrecher darf eine strafrechtliche Verfolgung nicht verhindern", sagte der Leiter des Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff, in Jerusalem. Die Verbrecher hätten kein Mitleid verdient. Mindestens 1,1 Millionen meist jüdische Häftlinge wurden in Auschwitz ermordet - dem größten der nationalsozialistischen Todeslager.

Individuelle Schuld nachweisen

Viele mutmaßliche Täter waren lange straffrei geblieben. Denn der Bundesgerichtshof hatte 1969 im Fall Auschwitz festgelegt, dass für eine Verurteilung der Wächter wegen Beihilfe zum Mord die individuelle Schuld nachgewiesen werden müsse. Dies war häufig nicht möglich. In Vorermittlungen für den Prozess gegen den Aufseher im Vernichtungslager Sobibor, John Demjanjuk, hat aber die NS-Fahndungsstelle die Beihilfe zum Mord im KZ neu definiert. Dem widersprach das Landgericht München nicht.

Nach Auffassung der Zentralstelle ist somit jeder belangbar, der in einem KZ dazu beigetragen hat, dass die Tötungsmaschinerie funktionierte - egal, ob direkt als Aufseher bei den Gaskammern oder indirekt etwa als Koch. 2011 hatte das Landgericht München Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 28.000 Menschen schuldig gesprochen.

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