29.07.2010
spiegel.de
Staatsanwaltschaft klagt früheren KZ-Wächter an

Es könnte einer der letzten großen Kriegsverbrecherprozesse werden: Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat Anklage gegen einen 88-jährigen ehemaligen KZ-Wächter erhoben. Sie wirft ihm Beihilfe zum Mord an 430.000 Juden vor.

Frankfurt/Main - Der gebürtige Wolga-Deutsche Samuel K. wird beschuldigt, als Wachmann im Vernichtungslager Belzec in Südostpolen von Januar 1942 bis Juli 1943 am Massenmord beteiligt gewesen zu sein, heißt es in der Anklageschrift der Dortmunder Staatsanwaltschaft.

Der Angeklagte hatte zwar gegenüber den Ermittlern eingeräumt, als Wachmann im Vernichtungslager Belzec eingesetzt gewesen zu sein. Eine konkrete Beteiligung an den Tötungshandlungen bestritt er allerdings. Das zuständige Landgericht Bonn muss nun entscheiden, ob es die Anklage zur Hauptverhandlung zulässt. Ein Prozesstermin ist daher bislang noch nicht bestimmt. Die Staatsanwaltschaft hatte Anklage beim Jugendschwurgericht erhoben, weil der Beschuldigte zu Beginn des angegebenen Tatzeitraums noch Heranwachsender war.

In den Gaskammern von Belzec wurden über 430.000 Juden ermordet. Die Opfer wurden mit Zügen in Viehwaggons zum Vernichtungslager gebracht. Unter dem Vorwand, sie müssten vor ihrem Arbeitseinsatz noch entlaust und gebadet werden, trieb man sie zum Vergasungsgebäude und schloss sie in Kammern ein. Die Abgase eines Verbrennungsmotors töteten die dort eingeschlossenen Menschen nach etwa 15 bis 20 Minuten.

Erschießung angeordnet

Im Mai/Juni 1943 soll Samuel K. laut Anklageschrift die Waffe eines anderen Wachmanns genommen und acht bereits verwundete Menschen erschossen haben. Die Lagerleitung hatte die Erschießung der späteren Opfer angeordnet. Sie mussten sich mit dem Gesicht nach unten in einen zuvor ausgehobenen Graben legen.

Im Juli 1943 soll der Angeklagte zudem zwei weitere Menschen eigenhändig erschossen haben, die aus einem für das Vernichtungslager bestimmten Zug geflohen und dann von Wachmännern aufgegriffen worden waren. K. soll im Januar 1942 vom Ausbildungslager Trawniki zum Vernichtungslager Belzec zwangsversetzt und dort bis Juli 1943 für die Wärtertätigkeit eingesetzt worden sein.

In der Vergangenheit hat der Mann laut Staatsanwaltschaft mehrfach als Zeuge in anderen Verfahren ausgesagt, war aber nie selbst ins Visier geraten. Erst zum derzeit in München stattfindenden Kriegsverbrecherprozess gegen John Demjanjuk, wo er als Zeuge aussagen sollte, sei sein Name wieder aufgetaucht.

Der gebürtige Ukrainer Demjanjuk ist wegen Beihilfe zum Mord an 27.900 jüdischen Männern, Frauen und Kindern im Vernichtungslager Sobibor in Ostpolen angeklagt. Er bestreitet alle Vorwürfe und behauptet, er sei bis 1944 lediglich Kriegsgefangener gewesen. Auch Demjanjuk wurde im Lager Trawniki ausgebildet.

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