Den Ermittlern
bleibt nur wenig Zeit. Seit 50 Jahren fahndet die Zentrale
Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen weltweit nach
Hitlers Schergen. Doch mit jedem Tag sinkt die Chance, Täter
noch lebendig zu fassen und vor Gericht zu stellen. "Wenn
niemand mehr lebt, ist unsere Arbeit abgeschlossen",
sagt Staatsanwalt Joachim Riedel. Für das Team in Ludwigsburg
geht es in den Endspurt, auch wenn das Datum nicht feststeht.
Der Leiter der Zentralen Stelle, Kurt Schrimm, war gerade
in Chile: In der Einwanderungsbehörde wälzte der
Oberstaatsanwalt Akten und hielt nach Namen bekannter Nazis
Ausschau. Sein Stellvertreter Riedel stöbert in Moskau
nach Spuren. Seit Ende des Kalten Krieges stehen ihm endlich
die Archive im ehemaligen Ostblock offen, der Staatsanwalt
will dort "tonnenweise" historisches Material sichten.
Er hofft auf Hinweise auf die Identität der Verbrecher: "In
den Beuteakten aus Deutschland wird oft Klartext gesprochen." Die
Einsatzkommandos hätten täglich berichtet, wie
viele Juden sie getötet hätten. Mitunter sei im
Detail geschildert, wie die Trupps sogar Kinder vor ihrem
Tod noch sadistisch quälten.
Unbefriedigende Bilanz
Am 6. November 1958 gründeten die Justizminister der
Länder die Behörde zur Aufarbeitung der NS-Verbrechen
- mit der Bilanz ist niemand so recht zufrieden. Zwar ermittelten
die Mitarbeiter gegen weit mehr als 100 000 Tatverdächtige,
doch seit Kriegsende wurden lediglich knapp 6500 Täter
verurteilt. Die Mehrheit wurde wegen kleinerer Delikte zu
geringen Strafen verurteilt. "Die Quote der Verurteilungen
ist minimal", räumt Riedel ein.
Der Leiter des Jerusalemer Simon Wiesenthal Zentrums, Efraim
Zufroff, stellt den deutschen Ermittlungsbehörden insgesamt
kein gutes Zeugnis aus: Ihre Arbeit hätte in der Praxis "schneller,
effizienter und erfolgreicher" erfolgen können. "Es
ist die letzte Chance, Gerechtigkeit zu erlangen", betont
Zufroff, "dafür muss alles getan werden." Es
seien nur noch zwei, drei Jahre Zeit. Nicht alle Staatsanwälte
ermittelten engagiert genug. Dabei hätten sie im Gegensatz
zu anderen Ländern ideale Bedingungen: Bei der Fahndung
nach NS-Verbrechern gebe es heute in Deutschland keine politische
Opposition.
"
Schmerzhaft für die Opfer"
Nach Ansicht von Ulrich Sander von der Vereinigung der Verfolgten
des Naziregimes (VVN) geht es nicht darum, 90-Jährige
lebenslang hinter Gitter zu stecken. Viel wichtiger sei die
Anerkennung der Schuld: "Für die Opfer ist es ungeheuer
schmerzhaft, dass ihre Peiniger noch frei herumlaufen und
nie etwas geschehen ist."
Riedel ist nicht bekannt, dass ein Täter vor Gericht
jemals um Verzeihung gebeten hätte. Er gibt den Siegermächten
des Zweiten Weltkriegs eine Mitschuld an der mangelnden Aufarbeitung:
Nach Kriegsende hätten die Alliierten NS-Verbrecher
nur "häppchenweise" verfolgt: "Was damals
versäumt wurde, kann nur bruchstückhaft nachgeholt
werden." Seit 1960 ermittelt die Behörde nur noch
wegen Mordes, geringfügigere Verbrechen sind verjährt.
In seinem letzten großen Projekt nimmt sich Riedel
eines besonders düsteren Kapitels an: Er will SS-Soldaten
der Brigade Dirlewanger vor ihrem Tod noch auf die Anklagebank
bringen. Die Einheit war 1944 an der Niederschlagung des
Aufstands im Warschauer Ghetto beteiligt. "Sie waren
besonders bestialisch", sagt der Staatsanwalt. Vor kurzem
tauchten in Polen Namenslisten auf; es könnte noch zu
Anklagen kommen: "Der Erwartungshorizont ist nicht hoch,
doch die Hoffnung ist da." fr-online.de
|