Duisburg. Beschaulich
ist das Leben hier am Rande abseits der Hochofenkulisse im
Duisburger Stadtteil Beeckerwerth. In einem der Häuser
wohnt Adolf S. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, in den
letzten Kriegstagen an Massenerschießungen von Juden
in Österreich aktiv beteiligt gewesen zu sein.
Beschaulich ist das Leben hier am Rande abseits der Hochofenkulisse
im Duisburger Stadtteil Beeckerwerth. Ein gutes Dutzend Einfamilienhäuser
ducken sich im Regen an die schmale Straße. Gartenzäune
und Hecken schirmen sie vor neugierigen Blicken ab. Vor dem
Haus von Adolf S. warnt ein Schild vor einem bissigen Hund: „Ich
brauche fünf Sekunden bis zum Tor.”
Was viele Nachbarn lange vermuteten, aber nie richtig bekannt
wurde, ist jetzt gewiss. Der 89-jährige Wohnungsinhaber
war nicht nur Mitglied der Waffen-SS. Er soll auch Täter
gewesen sein. Kurz vor Ende des Krieges sind in dem österreichischen
Dorf Deutsch Schützen bis zu 80 ungarische Juden erschossen
worden. Und der Duisburger soll neben weiteren SS-Leuten
zu den Schützen gehört haben. Die Dortmunder Staatsanwaltschaft
ermittelt wegen Mordes.
"Ein ganz normaler Nachbar"
„
Ich kenne die Problematik natürlich”, sagt ein
Anwohner, der nicht genannt werden möchte. „Das
war ein ganz normaler Nachbar. Er soll an Massenerschießungen
teilgenommen haben. Ob's stimmt, weiß ich nicht, das
kann ich nicht beurteilen. Ich bin kein Richter, das müssen
andere machen. Ich wusste von seinem Sohn, dass er in der
Waffen-SS war. Da ist keiner unschuldig von.”
Vielen Nachbarn war der 89-Jährige durch seine kurzen
Spaziergänge, auf einen Rollator gestützt, bekannt.
Eine Pflegerin war stets bei ihm. Nur einmal tauchte sein
Name in der Öffentlichkeit auf. Vor einem Jahr hatte
er sich eingereiht in die Zahl der Jubilare: 60 Jahre gehörte
er der Gewerkschaft der Eisenbahner, der heutigen Transnet,
an.
Fairen Prozess garantieren
Ob sich der 89-Jährige jemals vor Gericht verantworten
muss, ist fraglich. Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß bekräftigt,
dass völlig unabhängig von der Schwere der Tat
immer ein fairer Prozess möglich sein muss. Das heißt:
Der Angeklagte muss in der Lage sein, den Prozess verfolgen
zu können.” Er vermutet, dass Anträge der
Verteidigung auf Verhandlungsunfähigkeit gestellt werden.
Dass es überhaupt zu den Ermittlungen kommen konnte,
ist ein Verdienst des Wiener Studenten Andreas Forster. Während
seines Forschungspraktikums befasste er sich mit dem Massaker
in dem österreichischen Ort im Burgenland. Dabei tauchte
zum ersten Mal der Name des Duisburgers auf. Über das
Bundesarchiv in Berlin erhielt er Dokumente über die
Massenvernichtung. Gemeinsam mit seinem Politikprofessor
an der Wiener Uni, Walter Manoschek, informierte er die Staatsanwaltschaft.
Zehn-Stunden-Interviews
Doch der Wissenschaftler, der sich in seinem Forschungsprojekt
mit NS-Verbrechen beschäftigt, ließ es nicht
allein bei der Anzeige. Manoschek: „Ich besuchte
den Mann mehrere Male in Duisburg, habe über zehn
Stunden Interviews mit ihm geführt. Er gab zu, in
Deutsch Schützen gewesen zu sein, erinnert sich aber
nicht an das Massaker.”
Ein früherer Hitlerjunge hatte ausgesagt, dass der
89-Jährige einen der Zwangsarbeiter erschossen hatte.
Der war nicht mehr imstande, zu laufen. Die Tat habe der
89-Jährige bestritten.
Körperlich nicht fit genug?
Professor Manoschek vertraut den deutschen Strafverfolgungsbehörden.
Es gebe viele Ermittlungsverfahren, aber leider häufig
keine Anklagen. Das könnte jetzt wieder passieren, auch
wenn der Wissenschaftler bei dem 89-Jährigen intellektuell
keine Gründe erkennen kann, den Prozess platzen zu lassen.
Aber körperlich sei der Duisburger nicht mehr so fit.
Die Indizienkette ist aus Sicht des Wissenschaftlers eindeutig.
Zwei Tatzeugen, der eine wohnt in Österreich, der andere
in Kanada, hätten die Vorwürfe gegen den 89-Jährigen
erhärtet: während eines geplanten Zwei-Tage-Marsches
hätten sie gesehen, wie Adolf S. einen Juden erschossen
habe.
Hausverbot für die Wohnung
Professor Manoschek hat mittlerweile Hausverbot für
die Duisburger Wohnung des mutmaßlichen Täters
erhalten. Bestimmte Filmaufnahmen darf er auch nicht zeigen.
Der Politikwissenschaftler will nach Abschluss des Projekts
einen Dokumentarfilm über das Verbrechen und die Täter
zeigen.
derwesten.de
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