Das ZDF hält
offenbar wenig von sich selbst und von seinem Publikum. Darüber
hinaus scheint der Sender kaum Erfahrung mit Enthüllungsgeschichten
zu haben. Leider. Deutlich wurde das, als er letzte Woche
mit einem Scoop aufwarten konnte. Gemeinsame Recherchen mit
der New York Times haben erwiesen, dass der ehemalige KZ-Arzt
Aribert Heim lange in Kairo gelebt hat. Weitere Ermittlungen
sollen nun klären, ob auch Informationen zutreffen,
nach denen der als "Dr. Tod" bekannte Mediziner
bereits 1992 an Darmkrebs gestorben ist.
Selbst wenn sich das als falsch herausstellen sollte: Was
die Reporter zusammengetragen haben, hätte interessant
sein können. Es wirft zumindest Fragen auf. Hatten deutsche
Ermittler wirklich keine Möglichkeit, den Gesuchten
in Kairo aufzuspüren, obwohl ihnen Hinweise auf seinen
Aufenthaltsort bereits seit Mitte der 60er-Jahre vorlagen?
Man weiß es nicht. Die ZDF-Angestellten scheint das
auch nicht sonderlich zu interessieren.
Wie manches andere ebenfalls nicht. Über den erstaunlich
praktischen Fund einer verstaubten Aktentasche wundern sie
sich nicht. Sie freuen sich nur. Schließlich finden
sich darin zahlreiche Belege für die frühere Identität
des Arztes, der in Kairo seinen Namen geändert hat.
Was für ein Reporterglück!
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Ob die ägyptischen Freunde von Aribert Heim mit der
Präsentation der Tasche lediglich dem ZDF gefällig
sein wollten und weshalb der Sohn des Mediziners nach jahrzehntelangem
Schweigen auf einmal Fernsehleuten vom Sterben seines Vaters
erzählt - derlei Überlegungen spielen in der Dokumentation
keine Rolle. Als Zuschauerin versteht man allmählich,
dass das Simon-Wiesenthal-Zentrum plausibel erscheinende
Berichte über den Tod eines Mannes anzweifelt, der inzwischen
immerhin 94 Jahre alt wäre. Plötzlich wirkt die
Vermutung gar nicht mehr so abwegig, dass Fahnder ein weiteres
Mal von einer Spur abgelenkt werden sollen. Dieses Mal eben
mit einer Todesnachricht.
Helfer scheint Aribert Heim schließlich auch früher
schon gehabt zu haben. Der KZ-Arzt wurde nach dem Krieg nicht
vor Gericht gestellt, obwohl er in US-Gefangenschaft geraten
war. Schlamperei? Oder gab es einen Deal mit US-Behörden?
In der ZDF-Dokumentation wird die Frage gestellt, aber nicht
weiter verfolgt.
Bereits 1948 wurde gegen Heim in seinem Heimatland Österreich
ermittelt. Dennoch konnte er bis 1962 in Deutschland als
Arzt praktizieren. Deutsche Behörden hatten 1950 gegenüber
ihren österreichischen Kollegen erklärt, ihnen
sei der Aufenthaltsort des Gesuchten nicht bekannt. Dabei
hatten diese einen zutreffenden Hinweis auf dessen damaligen
Wohnort bei Bad Nauheim geliefert. Erst 1962 hätte Aribert
Heim endlich in Deutschland verhaftet werden sollen. Er konnte
jedoch untertauchen. Wer hat ihn gewarnt?
Das ZDF geht all dem nicht nach. Kündigt auch nicht
an, dem demnächst nachgehen zu wollen. Zugespielte Informationen
- von wem? warum? - genügen offenbar für eine gute
Story. Übrigens werden die Zuschauer gar nicht erst
mit schwer erträglichen Details über die mutmaßlichen
Aktivitäten von Aribert Heim im KZ Mauthausen belästigt.
Ein paar harmlose Sätze und Bilder eines steinernen
OP-Tischs, das ist alles. Für präzise Aussagen über
Organentnahmen ohne Betäubung muss das Publikum die
Presse verfolgen.
Ob knappe Sendezeit dabei eine Rolle spielte? Schließlich
sollten offenbar Boulevardelemente in dem ZDF-Film untergebracht
werden. Heim schätzte Schokoladenkuchen und spielte
mit Kindern gern Tennis auf einer Dachterrasse. Tatsächlich?
Tatsächlich!
Das ZDF hat nicht gewagt, eine Dokumentation über den
Verbleib eines gesuchten NS-Verbrechers ohne unterhaltende
Details auszustrahlen. Und traute seinem Publikum offenbar
auch nicht zu, dass es ohne derlei Details dranbleiben würde.
Das ist beschämend. Möglicherweise - ja, durchaus
- für uns Zuschauer. Vor allem aber für den Sender.
Was für eine Gelegenheit wurde hier vertan!
taz.de
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