Interview: Christian
Wernicke
John Demjanjuk jr., Sohn des mutmaßlichen KZ-Aufsehers, über
die Auslieferung seines Vaters nach Deutschland - und dass
ein Prozess seinen Vater umbringen würde.
SZ: Ihr Vater sagt, er sei völlig unschuldig. Warum
hat er dann Angst vor einem Prozess, der seine Unschuld beweisen
könnte?
John Demjanjuk: Ich wünschte, mein Vater wäre
nicht weit über 80, sondern noch einmal 50 Jahre alt.
Dann wäre er physisch und mental in der Lage, einen
solchen Prozess durchzustehen. Und er könnte sich verteidigen.
Wir würden nur zu gern ein für allemal beweisen,
das er für nichts und wieder nichts Schuld trägt.
Er hat keinem einzigen Menschen ein Leid angetan - geschweige
denn 29.000. Nur muss ich den Deutschen sagen: Eigentlich
ist das längst gerichtsfest bewiesen. Zwei Mal sogar.
SZ: Wann soll das geschehen sein?
Demjanjuk: Das erste Mal, als ein US-Bundesgericht feststellte,
dass eine Sondereinheit im Justizministerium entlastendes
Material zurückgehalten hat. Die haben einfach Beweise
unterschlagen, die meines Vaters Unschuld belegten. Das war
Justizbetrug. Und mit genau diesem Büro für Sonderermittlungen
arbeiten nun die deutschen Behörden wieder zusammen.
Der zweite Freispruch war das Urteil des israelischen Gerichtshofs.
SZ: Wie das? Der Freispruch in Israel bezog sich doch nur
auf seine angeblichen Taten als Iwan der Schreckliche im
Lager Treblinka - nicht auf mutmaßliche Vergehen als
Wächter in Sobibor.
Demjanjuk: Das stimmt nicht. Die Anklage in Israel umfasste
auch schon die Vorwürfe in Sachen Sobibor - und er wurde
freigesprochen. Seither versuchen viele jüdische Organisationen,
meinen Vater wieder vor Gericht zu kriegen. Aber Israel selbst
hat gesagt - das wäre eine zweite Anklage für dieselbe
Tat, und das gehe nicht. Die Deutschen verstehen bis heute
nicht, was da passiert. Und die deutsche Presse nennt meinen
Vater sogar noch immer Iwan den Schrecklichen. Mein Vater
hat seine Unschuld vor Gericht absolut bewiesen - zwei Mal.
SZ: Und jetzt soll Schluss ein?
Demjanjuk: Mein Vater hat genug durchgemacht. Er ist schon
mal zum Tode verurteilt worden, er hat sechs Jahre in der
Todeszelle gesessen. Die bauten doch bereits den Galgen für
ihn. Und dann wurde er freigesprochen. Heute ist er 89 Jahre
alt - und die Deutschen fangen wieder von vorne an. Mein
Vater ist zu krank, um für sich selbst zu kämpfen.
SZ: Die US-Behörden sagen, Ihr Vater sei sehr wohl
transportfähig.
Demjanjuk: Sie müssen verstehen: Das US-Justizministerium
versucht seit 32 Jahren, meinen Vater außer Landes
zu schaffen.
SZ: Und die Deutschen?
Demjanjuk: Die Deutschen stehen unter dem Druck, den Holocaust
aufzuarbeiten. Aber wir haben Informationen, dass die Behörden
längst wissen, dass mein Vater prozessunfähig ist.
Wir haben alle Informationen rübergeschickt, Gutachten
von vier Fachärzten, inklusive der Blutwerte. Er ist
nicht nur nicht fit, er würde wahrscheinlich schon den
Flug nach Deutschland nicht überleben.
SZ: Sie sagen, die deutsche Justiz betreibe den Prozess
in voller Kenntnis, dass dies Ihren Vater umbringen könnte?
Demjanjuk: Ganz genau. Hundert prozentig richtig. Das ist
das düstere Szenario. Die Deutschen werden dann hinterher
sagen, sie hätten ja nur einen alten Nazi vor Gericht
stellen wollen. Und die Amerikaner behaupten, sie hätten
nur Beihilfe in einem juristischen Verfahren geleistet. Jeder
wird sich hinter Prozeduralien verstecken. Warum schicken
die Deutschen nicht endlich einen Amtsarzt zu uns nach Cleveland
und überprüfen den Gesundheitszustand?
sueddeutsche.de
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