21.04.2009, 06:54
sueddeutsche.de
US-Justizministerium will Demjanjuk abschieben

Washington will den 89-Jährigen möglichst schnell nach München ausliefern. Der gebürtige Ukrainer soll sich nach dem Krieg als Naziopfer ausgegeben haben.

Im Fall des mutmaßlichen NS-Verbrechers John Demjanjuk dringt die US-Regierung auf dessen Abschiebung nach Deutschland. Das Justizministerium forderte das zuständige Berufungsgericht von Cincinati auf, seine vor einer Woche getroffene Entscheidung zurückzunehmen, mit der dem 89-Jährigen ein Aufschub gewährt wurde.

Demjanjuk habe es "mit zahlreichen Hinhaltetaktiken" versucht, und es gebe keinen Grund mehr, seine Auslieferung an Deutschland aufzuschieben, erklärte das Ministerium in Washington und forderte die Annullierung des Einspruchs, mit dem Demjanjuk eine neue Frist für seine Auslieferung erreicht hatte.

Das Ministerium wies in einer Eingabe darauf hin, dass dieser Aufschub damit begründet worden sei, dass eine Entscheidung der Berufungskammer für Einwanderungsfragen in Virginia noch ausstehe. Diese Kammer habe aber am vergangenen Donnerstag den Antrag Demjanjuks abgelehnt, das Einwanderungsverfahren neu zu eröffnen.

Ein Berufungsgericht in Cincinnati hatte dem 89-Jährigen am Donnerstag eine Frist bis zum 23. April für eine gründliche ärztliche Untersuchung eingeräumt. Dabei solle geklärt werden, ob Demjanjuk die gesundheitlichen Voraussetzungen für einen Flug nach Deutschland erfülle. Das Gericht forderte zudem die US-Einwanderungsbehörde auf, Details über den geplanten Transport von Demjanjuk vorzulegen.

Demjanjuks Anwälte argumentieren, der 89-Jährige sei zu krank, um den Transport nach Deutschland und einen Prozess durchzustehen. Am Dienstag hatte das Berufungsgericht in Cincinnati Demjanjuks Auslieferung praktisch in letzter Minute gestoppt, um diese Argumente zu prüfen. Der gebürtige Ukrainer war zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg zum Flughafen gewesen.

Demjanjuk wird Beihilfe zum Mord in 29.000 Fällen zur Last gelegt. Er soll 1943 für ein halbes Jahr zu den Wachmannschaften des NS-Vernichtungslagers Sobibor im damals von Deutschland besetzten Polen gehört haben. Demjanjuk muss sich in München vor Gericht verantworten, da er vor seiner Auswanderung in die USA in der Nähe der bayerischen Landeshauptstadt lebte.


Zeitungsbericht: Demjanjuk gab sich als Nazi-Opfer aus
Nach einem Bericht der Bild-Zeitung hatte sich Demjanjuk nach Kriegsende als Nazi-Opfer ausgegeben. Dies gehe aus Unterlagen des Internationalen Suchdienstes im hessischen Bad Arolsen hervor. Laut den der Zeitung in Kopie vorliegenden Unterlagen hat sich Demjanjuk wie ehemalige KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter als sogenannte "Displaced Person" (DP) registrieren lassen, um sich ein Anrecht auf Flüchtlingsunterstützung zu erschleichen.

Darüberhinaus fänden sich im Archiv ein Ausweis Demjanjuks mit Foto und Fingerabdrücken, Registrierungskarten aus zehn verschiedenen Flüchtlingslagern, eine Quittung über 80 D-Mark vom Tag der Währungsreform und medizinische Berichte über den gebürtigen Ukrainer. Katrin Flor, Sprecherin des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen, sagte der Zeitung, dass im Bad Arolser Archiv das Leben Demjanjuks zwischen Kriegsende und seiner Auswanderung in die USA 1952 "gut dokumentiert" sei.

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