Das Flugzeug mit
der Kennung N250LB ist in München gelandet: Der mutmaßliche
Nazi-Kriegsverbrecher John Demjanjuk ist nach der Abschiebung
aus den USA in Deutschland angekommen. Er soll nun in einem
der letzten großen NS-Prozesse vor Gericht gestellt
werden.
München - Es ist das Ende eines langen juristischen
Tauziehens: Der mutmaßliche NS-Kriegsverbrecher John
Demjanjuk ist in Deutschland eingetroffen. Der 89-Jährige
kam am Dienstagvormittag am Münchner Flughafen aus den
USA an.
Das zweimotorige Flugzeug rollte nach der Landung gegen
9.15 Uhr in eine Frachthalle der Lufthansa. Polizeiautos,
Krankenwagen und Zivilautos fuhren anschließend ebenfalls
in den Hangar, dessen Tore umgehend geschlossen wurden.
Demjanjuk sollte anschließend in das Untersuchungsgefängnis
Stadelheim gebracht werden, wie Staatsanwaltschaft und Verteidiger
mitteilten. Dort wird er ärztlich untersucht, und der
Ermittlungsrichter eröffnet ihm den Haftbefehl.
Wolkenloser Himmel über Cleveland
Es war ein klarer, warmer Frühlingsabend, als der Gulfstream-Jet
G4 mit der Kennung N250LB von der Landebahn des Privatflughafens
Burke abhob. Um 19.13 Uhr startete das weiße Flugzeug
in den wolkenlosen Himmel über Cleveland und drehte
nach Nordenosten ab.
Von der Liege des Krankenflugzeugs konnte John Demjanjuk
auf den mächtigen Erie-See blicken und auf die Hochhäuser
von Cleveland - das Letzte, was er vermutlich jemals von
Amerika sehen würde.
Demjanjuk bewegt sich auf fast genau jener Route, die er
vor 57 Jahren schon einmal genommen hat - nur in umgekehrter
Richtung. Damals, 1952, schien es in die Zukunft zu gehen:
Demjanjuk reiste als sogenannte "displaced person" von
München nach Bremerhaven. Er schiffte sich dort mit
seiner Frau Vera an Bord der Gen. W. G. Haan nach New York
ein. Die US-Behörden konnte er überzeugen, ein
heimatlos gewordener, ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener
zu sein - so bekam er die begehrten Einreisepapiere in die
USA.
25 Jahre später holt die Vergangenheit ihn ein: 1977
beginnen die US-Behörden, gegen Demjanjuk zu ermitteln.
Sie werfen ihm vor, ein williger Helfer der Nazis gewesen
zu sein, ein Helfer beim Massenmord. Für diese Vergangenheit
soll er zur Rechenschaft gezogen werden, fordert die Spezialeinheit
OSI des US-Justizministeriums.
Nun, weitere drei Jahrzehnte später, als die Reifen
des Jets in Cleveland von der Startbahn abheben, endet der
Kampf des US-Justizministeriums mit dem gebürtigen Ukrainer.
All die Jahre haben die Nazi-Jäger des OSI versucht,
Demjanjuk außer Landes zu bringen, damit er dort für
seine mutmaßlichen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen
werden kann. Und genau so lange versuchte Demjanjuks Familie,
seine Unschuld zu beweisen.
In Israel zum Tode verurteilt
Innerhalb dieser drei Jahrzehnte lieferten die USA Demjanjuk
nach Israel aus, wo er als "Iwan der Schreckliche",
Betreiber der Gaskammer im Vernichtungslager Treblinka, zum
Tode verurteilt wurde. Er saß in der Todeszelle, bis
herauskam, dass "Iwan der Schreckliche" in Wirklichkeit
jemand anders war. Demjanjuk kam frei und in die USA zurück.
Ein Gericht stellte hinterher fest, dass das US-Justizministerium
entlastende Beweismittel unterschlagen hatte, die nahelegten,
Demjanjuk sei nicht in Treblinka gewesen.
Nun ist es die Staatsanwaltschaft München, die Demjanjuk
vor Gericht stellen will - wegen Beihilfe zum Mord in 29.000
Fällen. Er sei Wächter gewesen, nicht in Treblinka,
aber im Todeslager in Sobibor im besetzten Polen.
Es gibt Beweise und Dokumente, bessere als beim Prozess
in Israel. Allerdings ist bisher nicht geklärt, ob der
89-Jährige überhaupt verhandlungsfähig ist.
Das müssen bayerische Amtsärzte jetzt erst prüfen.
Selbst falls Demjanjuk zu krank für einen Prozess wäre,
müsste er wohl in Deutschland bleiben. Denn die Abschiebung
aus den USA ist endgültig. Einen Weg zurück gibt
es nicht.
Erbittert gekämpft
Auch deshalb hatte die Familie so erbittert gekämpft,
war von Gericht zu Gericht gezogen - bis sie am Ende nun
zu akzeptieren schien, dass es keinen Ausweg, keine Revision,
keine Eilverfügung mehr für Demjanjuk geben würde.
Schon morgens um zehn am Montag (Ortszeit) fuhren kurz nacheinander
die zwei Geländewagen der beiden Töchter Demjanjuks
vor dem schicken gelbgeklinkerten Bungalow der Familie vor.
Die Enkel Olivia und Zachary hatten sich feingemacht für
den Tag des Abschieds. Auch Demjanjuks Priester kam für
eine Segnung.
"Warum bringt ihr John weg?", fragte der Junge
die Journalisten."Das erkläre ich dir, wenn du
größer bist", sagte der Vater. Er hatte früher
oft Nachbarschaftsplausch mit Demjanjuk gehalten. In der
vergangenen Woche war er drüben, um sich zu verabschieden.
Demjanjuk habe mut- und kraftlos gewirkt. "Er hat nicht
einmal versucht, sich im Bett aufzusetzen", sagt Keller.
Er habe Demjanjuk dann versichert, dass er dessen Frau Vera
mit dem Haus und dem Garten helfen werde. "Ich weiß,
dass er sich um solche Sachen sorgt."
"Fuck you!" und ein Hitlergruß
Den ganzen Tag schlichen immer wieder Autos vor dem Haus
der Demjanjuks vorbei, in einer Wohnstraße, die normalerweise
so gut wie ausgestorben ist. Viele der Neugierigen und Nachbarn
schüttelten missbilligend bis verächtlich den Kopf.
In Richtung der Journalisten, nicht in Richtung Demjanjuks.
Ein junger Mann in einem roten Pick-up hielte gut sichtbar
den Stinkefinger aus dem Autofenster. Ein anderer brüllte
aus vollem Hals "Fuck you!". Einer reckte sogar
im Vorbeifahren den Arm zum Hitlergruß.
spiegel.de
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