Der mutmaßliche
NS-Verbrecher John Demjanjuk soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft
München so schnell wie möglich vor Gericht. Mindestens
ein weiterer Fall ist offenbar mit dem Demjanjuks vergleichbar.
Berlin - Noch ist unklar, ob der 89-jährige John Demjanjuk
verhandlungsfähig ist: Am Sonntag war er vorübergehend
ins Krankenhaus gebracht worden, seit Mittwoch ist Demjanjuk,
dem Beihilfe zum Mord an mindestens 29 000 Menschen vorgeworfen
wird, wieder Häftling in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim.
Wäre das Verfahren gegen ihn wirklich der letzte NS-Prozess
in Deutschland? Vielleicht nicht, sagt Kurt Schrimm, Leiter
der Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer
Verbrechen in Ludwigsburg. Der Oberstaatsanwalt und sein
Team arbeiten seit April an drei weiteren Fällen. In
mindestens einem könnte es nach Einschätzung der
Ermittler noch zu einer Anklage kommen. Der Fall sei durchaus
vergleichbar mit dem Demjanjuks, betont Schrimm.
Auch Iwan Kalymon, der heute in den USA lebt, war einer
der ausländischen „Hilfswilligen“, die beim
nationalsozialistischen Massenmord an den europäischen
Juden zu (Mit-)Tätern wurden. In Polen wurde Kalymon
1921 als Angehöriger der ukrainischen Minderheit geboren.
Die Ermittler können seinen Weg ziemlich genau nachzeichnen.
Mit 18 Jahren ging er nach Wien, wo er kurze Zeit auf einem
Bauernhof mithalf. Später arbeitete er zwei Jahre in
Hannover, doch dann verliert sich seine Spur, bis er in Lemberg
wieder auftauchte. Dort bewarb er sich bei der ukrainischen
Hilfspolizei.
Die ukrainischen Hilfspolizisten waren aktiv beteiligt am
Judenmord. Sie halfen bei der Räumung der Ghettos und
der Deportation der Juden und beteiligten sich an Massenerschießungen.
Viele dieser Taten wurden akribisch dokumentiert: So mussten
die Hilfspolizisten nach jedem Einsatz neue Munition anfordern.
In einer handschriftlichen Notiz Kalymons heißt es: „Ich,
(…) Iwan Kalymon vom 5. Kommissariat der ukrainischen
Polizei, habe dienstlich während der Judenaktion am
14.8.1942 um 19 Uhr die Waffe eingesetzt und 4 Stück
Munition verwendet, wobei ich eine Person verletzt und eine
getötet habe.“ Weil dieses Dokument Kalymon mit
einem Mord in Verbindung bringt, könnten rechtliche
Schritte gegen ihn einfacher sein als im Fall Demjanjuk.
Die Ludwigsburger Ermittler erhielten dieses Dokument vom
Office of Special Investigation in Washington, einer Behörde
des Justizministeriums, die in den USA untergetauchte NS-Verbrecher
aufspürt, um ihnen die Staatsangehörigkeit zu entziehen
und sie auszuweisen. Ein Gutachten des Bayerischen Landeskriminalamtes
soll nun beweisen, dass die Notiz tatsächlich von Kalymon
verfasst worden war. Zum Vergleich haben die Ermittler andere
Dokumente mit Kalymons Unterschrift aus der damaligen Zeit
aufgespürt. Wie Demjanjuk tauchte auch Kalymon in einem
Lager für „Displaced Persons“ in der Nähe
von München unter, bevor er in die USA auswanderte.
Mit Demjanjuk und Kalymon rücken nun 64 Jahre nach Kriegsende
die ausländischen Helfer der nationalsozialistischen
Verbrechen in den Vordergrund. tagesspiegel.de
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