In München
geht einer der letzten NS-Kriegsverbrecherprozesse zu Ende.
Der 90-jährige Josef Scheungraber soll 1944 in Italien
ein Massaker an 14 Zivilisten befehligt haben
Gino M. ist gerade 15 Jahre alt, als der toskanische Bauernjunge
am 27. Juni 1944 Schüsse hört. Deutsche Wehrmachtssoldaten
treiben in dem Dorf Falzano di Cortona wahllos Zivilisten zusammen.
Auch Gino. "Ich hatte solche Angst. Ich habe nur noch
gezittert", sagt der knapp 80-Jährige im Prozess
gegen Josef Scheungraber aus, den damaligen Leutnant der Gebirgsjäger,
der die Vergeltungsmaßnahme für einen Partisanenüberfall
angeordnet haben soll.
Vier Dorfbewohner erschießen die Soldaten sofort.
Elf weitere, darunter Gino M., werden in ein Haus gesperrt,
die Casa Canicci. Die Soldaten des Gebirgspionierbataillons
818 sprengen das Gebäude, feuern in die Trümmer
zwei, drei Maschinengewehrsalven, sagt Gino M. Eine 74-jährige
Frau ist unter den getöteten "Partisanen".
Gino M. überlebt das Massaker als Einziger, mit schweren
Verbrennungen und einem Wirbelsäulenschaden, der ihm
bis heute zu schaffen macht. Er ist ungern zur Aussage nach
München gekommen. Er will keine Sühne, er will
vergessen: "Es wäre besser gewesen, sie hätten
uns alle an Ort und Stelle erschossen."
Am Donnerstag hielten Staatsanwaltschaft und Nebenklage
ihre Plädoyers in dem Münchner Schwurgerichtsprozess
gegen Scheungraber, der bereits 2006 in Italien in Abwesenheit
wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Der Ankläger
forderte lebenslange Haft wegen vierzehnfachen Mordes. Der
ehemalige Kompanieführer des Gebirgspionierbataillons
soll als Vergeltungsschlag für den Tod von zwei Wehrmachtsangehörigen
in einem Partisanenhinterhalt das Massaker befohlen haben.
Am 24. Juni ist die Verteidigung an der Reihe, das Urteil
ist für den 3. Juli avisiert – wenn nichts mehr
dazwischenkommt: Der Prozess, der im September 2008 begann,
hätte eigentlich längst zu Ende sein sollen, doch
die Zeugen sind alte Männer. Von manchen gibt es nur
noch früher protokollierte Aussagen aus dem italienischen
Verfahren.
Gleich drei Anwälte hat Scheungraber. Keiner ist Strafrechtsexperte,
aber alle drei sind wegen ihres Engagements für die
rechtsextreme Szene bekannt: Klaus Goebel hat schon den Anton
Malloth vertreten, einen berüchtigten Aufseher aus dem
KZ Theresienstadt, und den Holocaust-Leugner David Irving;
Christian Stünkel verteidigt regelmäßig Neonazis
und NPD-Mitglieder; Rainer Thesen, Reserveoffizier der Bundeswehr
aus Nürnberg, der schon unter Josef F. diente, schreibt
Leserbriefen an die rechtskonservative Junge Freiheit.
Es heißt, die "Stille Hilfe für Kriegsgefangene
und Internierte", die Altnazis und NS-Verbrecher vor
Gericht unterstützt, bezahle die Anwälte. Der Angeklagte
behauptet, er sei verarmt. Das kann Taktik sein: Im Fall
eines Schuldspruchs wollen Angehörige der Opfer Zivilklage
gegen ihn einreichen.
Die Anwälte, die mit Journalisten ungern reden, entwickelten
widersprüchliche Darstellungen. Mal sollte Scheungraber
zur Tatzeit gar nicht in der Gegend gewesen sein, dann wieder
mit einem Teil seiner Kompanie einige Kilometer weit weg
eine Brücke repariert haben.
Scheungraber selbst sagte im Prozess nicht aus. Zuvor hatte
er in einer polizeilichen Vernehmung angegeben, er habe mutmaßliche
Partisanen verhaften lassen und sie der Feldgendarmerie übergeben.
Militärexperten halten das für unglaubwürdig:
Gegen Ende des Krieges kämpften Feldgendarmen an der
Front, sie standen nicht im Hinterland.
Viel spricht gegen Scheungraber: Der Kompanieführer
war es, der einen Tag vor der Sprengung der Casa Canicci
zwei von Partisanen getötete Soldaten seiner Einheit
fand, er leitete die Ehrenformation anlässlich der Beerdigung
im nahen Umbertide. Für sich verbuchen kann die Verteidigung
nur, dass Zeugen sich angeblich nicht mehr an den Namen ihres
Kompanieführers erinnern konnten. Aber Scheungraber
hat noch am Vortag des Massakers als Kompanieführer
eine Beförderung unterzeichnet.
Die Richter in La Spezia bescheinigten dem Kriegsfreiwilligen
Scheungraber in ihrem Urteil 2006, aus seinen Wehrmachtsakten "ergeben
sich klare Anzeichen dafür, dass der Angeklagte sich überzeugt
und absolut der Kriegsführung der Nazis widmete".
Scheungraber hatte es 1943 trotz einer schweren Verletzung
abgelehnt, sich an die Heimatfront versetzen zu lassen.
"Ich glaube nicht, dass er eine Verurteilung zu einer
Haftstrafe noch fürchtet", sagt Anwältin Gabriele
Heinecke, die 14 Angehörige der Opfer in der Nebenklage
vertritt. Aber für ihre Mandanten, sagt die Fachanwältin
für Strafrecht, "war es wichtig, dass er drei Dutzend
Verhandlungstage lang im Gerichtssaal sitzen und sich diesem
Prozess stellen musste".
Das Dorf Falzano gibt es nicht mehr. Wo es lag, sind Feldsteine
aufgeschichtet aus der Ruine der Casa Canicci. Eine Tafel
nennt die Namen der "vittime della barbarie tedesca",
der Opfer der deutschen Barbarei. Im nahen Cortona wunderten
sie sich, als sie von der Erklärung des Ottobrunner
Bürgermeisters Thomas Loderer (CSU) hörten. Im
Sommer 2008, als die Staatsanwaltschaft die Anklage vorbereitete,
sagte Loderer, er halte Scheungraber für unschuldig.
Inzwischen hat der Gemeinderat von Ottobrunn an die Gemeinde
Cortona geschrieben, das "furchtbare Verbrechen" verurteilt
und begrüßt, dass "diese grausame Tat in
einem Prozess endlich aufgearbeitet wird".
Scheungrabers Möbelgeschäft in Ottobrunn führt
heute sein Sohn. Ehrenmitglied der Freiwilligen Feuerwehr
ist der in Italien rechtskräftig verurteilte Kriegsverbrecher
immer noch. Immerhin: Je nachdem, wie das Verfahren in München
ausgeht, hört man aus Ottobrunn, wollen sie ihm vielleicht
seine Bürgermedaille aberkennen.
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