Der Wahnsinn geht
weiter im Landgericht München II: Der Anwalt des Angeklagten
John Demjanjuk versucht am Dienstag, den Prozess auszuhebeln
- und benutzt dafür ziemlich zweifelhafte Worte.
MÜNCHEN - Um 10. 55 Uhr wird die Anklage verlesen -
immerhin, das ist schon was. Denn bis dahin hat John Demjanjuks
Anwalt Ulrich Busch alles getan, um das zu verhindern. Im
zweiten Prozesstag stellt Busch mehrere Anträge. 40
Minuten lang.
Zum Beispiel: Der Prozess muss ausgesetzt werden - für
einige Zeit. Denn: Busch will noch Ermittlungsakten aus den
USA, Polen und Israel heranziehen und brauche dafür
mehr Zeit.
Also macht Busch weiter und zieht alle juristisch möglichen
Register, um seinem Mandanten eine Verhandlung zu ersparen:
Die deutsche Justiz sei gar nicht zuständig für
Demjanjuk, sagt Busch. Der Ukrainer sei im KZ Sobibor kein
deutscher Amtsträger gewesen. Der 89 Jahre alte gebürtige
Ukrainer soll im Zweiten Weltkrieg an der Ermordung von 27
900 Juden mitgewirkt haben.
Außerdem spricht Busch von einer "illegalen Deportation" seines
Mandanten. Demjanjuk war nach langen Verhandlungen von den
USA nach Deutschland geflogen worden. Der 89-Jährige
und seine Familie hatten sich heftig dagegen gewehrt, zogen
sogar bis vor den Supreme Court, dem höchsten Gericht
der USA.
Während sein Anwalt spricht, murmelt Demjanjuk, der
auf einer Bahre in Decken gehüllt im Gerichtssaal liegt,
plötzlich etwas. Der Richter unterbricht den Anwalt,
meint: "Herr Demjanjuk möchte etwas sagen." Die
ukrainische Übersetzerin antwortet: "Nein - er
betet."
Kurz vor elf darf Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz dann die
Anklage verlesen. Dafür braucht er bis etwa 11.30 Uhr. „In
gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung“ habe
er gemeinsam mit anderen Wachmännern und SS-Leuten die
Menschen in die Gaskammern getrieben, „weil er selbst
deren Tötung aus rasseideologischen Gründen wollte“.
Demjanjuk will sich zu den Vorwürfen an diesem Tag nicht äußern
- und schweigt.
So denken auch die anwesenden 22 Familienangehörige
von Ermordeten - sie treten auch als Nebenkläger auf.
Als der Richter die Liste der in Sobibor eintreffenden Transporte
verliest, sieht auch der Sobibor-Überlebende Thomas
Blatt Demjanjuk fest ins Auge. Einige sähen in Demjanjuk
einen alten, kranken Mann, sagte Blatt. „Ich sehe auch
einen Mann, der die Juden in die Gaskammern gebracht hat.“
Nach der Anklageverlesung gibt es eine Unterbrechung: Demjanjuk
wird noch einmal untersucht - die Ärzte sollen prüfen,
ob er an diesem Tag weitermachen kann.
Bereits am Montag hatte sein Anwalt versucht, den Prozess
wegen gesundheitlichen Gründen zu kippen - Demjanjuk
leidet laut ärztlichem Gutachten auch an Gicht, Herzschwäche
und Bluthochdruck. Medizinische Gutachter hatten dagegen
eine tödliche Erkrankung von Demjanjuk verneint und
ihn unter gewissen Einschränkungen für verhandlungsfähig
erklärt. Nach Aussagen eines Mediziners handelt es sich
bei der Knochenmarkserkrankung von Demjanjuk noch nicht um
eine Krebserkrankung, sondern allenfalls um eine Vorstufe
dazu.
Allerdings haben die Ärzte festgelegt, dass wegen der
angeschlagenen Gesundheit des Angeklagten pro Verhandlungstag
nicht länger als zwei Mal 90 Minuten verhandelt werden
darf.
abendzeitung.de
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