Nach tagelangem
Chaos vor Gericht bleibt John Demjanjuk am dritten Verhandlungstag
gleich in Stadelheim – weil er sich zu krank fühlt.
Die AZ klärt, wie schlimm es wirklich um ihn bestellt
ist
MÜNCHEN - John Demjanjuk ist am dritten Prozesstag
nicht erschienen: Er fühlte sich zu krank. Der Vorsitzende
Richter Ralph Alt ließ die Verhandlung ausfallen. Sie
wird am 21. Dezember fortgesetzt. Die Aufarbeitung eines
dunklen Kapitels der deutschen Geschichte – endet sie
im totalen Fiasko?
Um 8 Uhr stellte der Gefängnisarzt der JVA-Stadelheim
fest: Demjanjuk (89) zeigt unklare Infektanzeichen und klagt über
Kopf- und Gliederschmerzen. Eine Stunde nach Einnahme eines
fiebersenkenden Mittels wurde bei dem Angeklagten eine Körpertemperatur
von 37,5 Grad gemessen. Der Arzt geht davon aus, dass die
Temperatur davor 38 Grad Fieber betrug. Demjanjuk sei deshalb
nicht transportfähig.
Die Nebenkläger, die gestern vor Gericht aussagen sollten,
sind enttäuscht. Viele halten Demjanjuks Krankheit für
eine Farce: „Das ist eine Show, der Mann will öffentlich
krank erscheinen“, sagte der Direktor des Wiesenthal
Centers, Efraim Zuroff. Demjanjuk wurden Gicht, Bluthochdruck
und Herzschwäche attestiert – dass viele ihm nicht
glauben, daran ist er nicht ganz unschuldig: Vor seiner Überführung
aus den USA nach München wurde er dabei gefilmt, wie
er leichtfüßig über einen Parkplatz schritt.
Demjanjuk ist höflich, macht witze, flirtet mit einer Ärztin
Wie krank ist Demjanjuk wirklich? Ihm wird Beihilfe zum
Mord an 27900 Menschen im Vernichtungslager Sobibor vorgeworfen.
Der Arzt Albrecht Stein, der ihn im Prozess betreut, sagt: „Demjanjuk
ist geistig voll da. Für sein Alter ist er in einer
erstaunlich guten körperlichen Verfassung.“ Allerdings
habe er schwere Schmerzen in der Wirbelsäule und bekäme
Schmerzmittel. Dennoch: „Er ist immer höflich
und macht auch Witze“, sagt Stein. Flirten tut er auch – mit
einer jungen Ärztin. Als die ihn bat, die Stirn zu runzeln,
um seine Motorik zu testen, sagte Demjanjuk: „Ich bin
ein alter Mann. Ich möchte keine so junge Frau wie Sie
erschrecken.“
Jochen Menzel sieht das anders. Der Vize-Chef der JVA Stadelheim,
in der Demjanjuk inhaftiert ist, sagt: „Der Mann ist
wirklich schwerkrank.“ Demjanjuk liegt in der Pflegeabteilung,
wird von Dienstärzten und externen Spezialisten betreut.
Mehrere Male wurde er in eine Münchner Klinik gebracht,
in der er über Nacht blieb.
Der Zentralrat der Juden spricht derweil von einem „Fiasko“ – und
ergreift Partei für den angeblichen KZ-Verbrecher. Generalsekretär
Stephan Kramer warf der Justiz vor, mit dem Prozess „ihre
Hände exemplarisch reinwaschen“ zu wollen. „Deutsche
Nazis wurden freigesprochen, ausländische Kollaborateure
werden verurteilt oder anders ausgedrückt: Die Kleinen
hängt man, die Großen lässt man laufen.“
abendzeitung.de
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