München (ddp-bay).
John Demjanjuk hat neben fast 28 000 Juden auch die Eltern
und den Bruder von Robert Cohen auf dem Gewissen - davon
jedenfalls ist der 83 Jahre alte Niederländer fest überzeugt.
Am Montag ist Cohen zum Auftakt des Prozesses gegen den 89
Jahre alten Demjanjuk als Nebenkläger vor dem Münchner
Landgericht erschienen, um dem mutmaßlichen ehemaligen
Wachmann des Vernichtungslagers Sobibor wenigsten einmal
von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Diesen
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Als Demjanjuk zu Beginn des Prozesses wegen Beihilfe zum
Mord in 27 900 Fällen in seinem Rollstuhl in den Gerichtssaal
geschoben wird, blickt Cohen gebannt auf den apathisch wirkenden
Angeklagten. Auch die anderen Nebenkläger - zum Prozessauftakt
haben sich um die 20 mit ihren Verteidigern im Gerichtssaal
versammelt - beobachten, wie Demjanjuk sich völlig teilnahmslos
mit geschlossenen Augen und halb geöffnetem Mund dem
Blitzlichtgewitter der Fotografen stellt.
«Das ist eine Show, der Mann will öffentlich
krank erscheinen», kommentiert der Direktor des Simon
Wiesenthal Centers in Jerusalem, Efraim Zuroff, in einer
Prozesspause Demjanjuks Auftritt und nennt den 89-Jährigen «einen
der größten Schauspieler der Welt».
Als einer der beiden Verteidiger Demjanjuks, Ulrich Busch,
gleich zu Beginn der Verhandlung noch vor Verlesung der Anklageschrift
einen etwa 40-minütigen Antrag auf die Befangenheit
des Gerichts stellt, ist keiner der Prozessbeteiligten wirklich
verwundert. «Das ist keine große Überraschung.
Es muss jedem klar sein, dass die Verteidiger alles tun wollen,
um das Verfahren zu stoppen», erklärt Zuroff.
Busch argumentiert, in früheren Verfahren seien vor
dem Münchner Gericht Vorgesetzte und Ausbilder Demjanjuks
freigesprochen worden. «Man fragt sich, wie es sein
kann, dass der Befehlsgeber unschuldig, der Befehlsempfänger
aber schuldig ist», betont Busch. Moralisch und juristisch
würden vor dem Münchner Gericht «Doppelstandards» gelten.
Als aber der Anwalt ausführt, sein Mandant sei nicht
als Täter, sondern als Opfer einzustufen, weil er sich
als russischer Kriegsgefangener - um seinen Kopf zu retten
- von den Nazis als Wachmann habe ausbilden lassen, geht
ein Raunen durch den Gerichtssaal. Cohen und die anderen
Nebenkläger schütteln verständnislos den Kopf.
Busch betont, Demjanjuk sei als «Überlebender
des Holocaust» anzusehen, nicht als Mörder. Sein
Mandant stehe sogar «auf gleicher Stufe» mit
einigen jüdischen Nebenklägern, die sich - um den
Gaskammern zu entkommen - zu Hilfstätigkeiten in Sobibor
bereiterklärt hatten.
Cohen ist da ganz anderer Meinung. Er ist der festen Überzeugung,
Demjanjuk hätte damals aus Sobibor fliehen können,
hätte er nur gewollt. «Er hatte die Wahl»,
behauptet Cohen. Der 83-Jährige ist für den Prozess
aus Amsterdam angereist. Er sehe es als «Pflicht»,
hier zu sein, betont er, für seinen ermordeten Bruder,
seine ermordeten Eltern und für die Millionen anderen,
die im Holocaust starben.
Er selbst, erzählt Cohen, sei damals nicht wie seine
Angehörigen in Sobibor gewesen, sondern in Auschwitz.
Elf Monate habe er dort verbringen müssen, weitere 16
Monate in anderen Konzentrationslagern. Auf seinem linken
Unterarm ist die sechsstellige Gefangenennummer eintätowiert.
Er wolle, dass Demjanjuk dafür bestraft werde, was er
getan habe, sagt Cohen und gibt sich zuversichtlich: Deutschland
kann sich seiner Ansicht nach «einfach nicht erlauben,
eine leichte Strafe zu vergeben».
Die Staatsanwaltschaft wirft Demjanjuk vor, im Sommer 1943
im deutschen Vernichtungslager Sobibor in Polen Tausende
Juden aus Deportationszügen in die Gaskammern getrieben
zu haben. 1942 war Demjanjuk auf der russischen Halbinsel
Krim in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten. Nach wenigen
Wochen holten ihn SS-Offiziere in das Ausbildungslager Trawniki
in Polen. 1943 soll er als Wächter in Sobibor eingesetzt
gewesen sein.
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