Aachen/dpa.
In einem der letzten Nazi-Prozesse ist der frühere SS-Mann
Heinrich Boere am Dienstag in Aachen zu lebenslanger Haft
verurteilt worden. Das Landgericht sprach den 88-Jährigen
wegen dreifachen Mordes schuldig.
Boere habe 1944 drei niederländische Zivilisten «in
menschenverachtender, brutaler und feiger Weise» erschossen,
sagte der Vorsitzende Richter Gerd Nohl. Die Verteidigung
kündigte Revision beim Bundesgerichtshof an. Weil nach
Meinung des Gerichts keine Fluchtgefahr besteht, wurde der
Nazi-Verbrecher nicht in Haft genommen. Angehörige der
Opfer zeigten sich nach dem Urteil dennoch erleichtert. Auch
das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem reagierte mit Genugtuung
auf die Verurteilung.
Boere folgte der ausführlichen Urteilsbegründung
regungslos und in sich zusammengesunken. Richter Nohl äußerte
sich skeptisch, ob der Greis die Haftstrafe wirklich verbüßen
muss: «Ob die Strafe jemals vollstreckt werden kann
- wir gehen ehrlich gesagt nicht davon aus.» Bei einer
Revision werde wahrscheinlich auch der Europäische Gerichtshof
eingeschaltet. Eine Entscheidung könne dann Jahre dauern.
Boere verübte seine Taten 1944, als die Niederlande
von Nazi- Deutschland besetzt waren. Er war damals Mitglied
des SS- Mordkommandos «Feldmeijer». Auf Befehl
seiner Vorgesetzten erschoss er drei niederländische
Zivilisten in Breda, Voorschoten und Wassenaar. Das Mordkommando
wollte sich für Anschläge des niederländischen
Widerstands rächen.
Boere habe bei den Aktionen offensichtlich den Ton angegeben,
sagte Nohl. «Nach Ergebnissen der Beweisaufnahme war
er immer vorne mit dabei: Er fragte die Leute nach ihrem
Namen und schoss als erster. Er handelte aus Überzeugung.»
Bei den Angehörigen der Opfer herrschte große
Erleichterung: «Das ist Gerechtigkeit, nach all der
Zeit», sagte Teun de Groot (77), Sohn des erschossenen
Fahrradhändlers Teunis de Groot, sichtlich bewegt. Dolf
Bicknese (73), Sohn des erschossen Apothekers Fritz Bicknese,
hatte zum ersten Mal einen Fuß auf deutschen Boden
gesetzt, um das Urteil zu hören. Für ihn war es
wichtig, dass der Schuldspruch von einem deutschen Gericht
kam. «Ich bin sehr zufrieden», sagte er.
Der Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff,
erklärte, der Schuldspruch mache deutlich, dass die überwältigende
Mehrheit der Nazi-Mörder bereitwillig und ohne Zwang
gehandelt habe. Der Fall Boere beweise, dass Nazi-Kriegsverbrecher
auch heute noch vor Gericht gebracht werden könnten,
wenn der politische Wille dafür vorhanden sei. In den
meisten europäischen Ländern sei dies bedauerlicherweise
nicht der Fall.
Das Gericht wertete die Taten von Boere nicht als Kriegsverbrechen. «Es
bleiben ganz normale Morde, verübt von einem Mörder.» Der
heute staatenlose Boere habe sich all die Jahre danach nicht
versteckt, obwohl in den Niederlanden eine lebenslange Haftstrafe
wegen der Morde offen war. «Unbehelligt lebte er seit
1955 in Deutschland», stellte Nohl fest. Ganz offiziell
hatte der frühere Bergmann sogar eine Entschädigung
für eine kurze Haftzeit in den Niederlanden beantragt.
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