MÜNCHEN
- Die Bilder gingen um die Welt. Im Rollstuhl wurde John
Demjanjuk aus dem Haus seiner Familie in Seven Hills im US-Bundesstaat
Ohio geholt. Nach monatelangem Rechtsstreit wurde er nach
Deutschland abgeschoben.
Vor einem Jahr, am 12. Mai 2009, landete die Sondermaschine mit dem mutmaßlichen
NS-Verbrecher auf dem Münchner Flughafen. Seit einem halben
Jahr muss sich der gebürtige Ukrainer wegen Beihilfe zum
Mord an 27.900 Juden vor dem Landgericht München II verantworten.
Noch viele Termine angesetzt
Der heute 90-Jährige soll 1943 Wachmann
im Vernichtungslager Sobibor gewesen sein. Bis September
sind Termine angesetzt, doch ein Prozess-Ende ist nicht absehbar.
Demjanjuk, gegen den wegen seiner Gesundheit täglich nur
zwei Mal 90 Minuten verhandelt werden darf, streitet die
Vorwürfe ab. In einer Erklärung ließ er wissen, er empfinde
den Prozess als Folter und Tortur.
Zum Ende seines Lebens sei eine falsche
Anklage erhoben worden. »Uns war von vorneherein klar, dass
es ein Indizienprozess wird, der nicht einfach wird», sagt
Oberstaatsanwältin Barbara Stockinger. »Wir sind mit dem
bisherigen Verlauf der Beweisaufnahme zufrieden - was bislang
zur Sprache kam, schaut nicht so schlecht aus für den Tatnachweis.»
Allerdings sind die Indizien in sechs Prozessmonaten nicht
viel stichhaltiger geworden.
SS-Ausweis und Verlegungslisten als
Hauptbeweismittel
Hauptbeweismittel bleiben ein SS-Ausweis
mit der Nummer 1393 und Verlegungslisten, die Demjanjuks
Tätigkeit in Sobibor belegen sollen. »Abkommandiert am 27.3.43
Sobibor» ist auf dem Ausweis notiert. Ein Urkundensachverständiger
bewertete das Papier nach einem Vergleich mit anderen SS-Ausweisen
zwar als »authentisch».
Die Übereinstimmung beweise aber nicht
die Herkunft der Dokumente, betonte er mit Blick auf Spekulationen,
Demjanjuks Ausweis könnte vom Sowjet-Geheimdienst KGB gefälscht
worden sein. Der einzige Zeuge, der Demjanjuk in Sobibor
gesehen haben will, ist tot. Ignat Daniltschenko, ebenfalls
Wachmann, hatte in seinem NS- Prozess in der Sowjetunion
ausgesagt, er habe in Sobibor mit einem Iwan Demjanjuk zusammengearbeitet.
Fünf Jahre in der Todeszelle
Der junge Ukrainer war 1942 in deutsche
Gefangenschaft geraten und soll im SS-Lager Trawniki zum
Wachmann ausgebildet worden sein. Mehrfach wurde später gegen
Demjanjuk ermittelt. 1988 wurde er in Israel als »Iwan der
Schreckliche» aus dem Vernichtungslager Treblinka zum Tode
verurteilt. Fünf Jahre saß er in der Todeszelle, 1993 wurde
das Urteil aufgehoben – er war tatsächlich verwechselt worden.
»Das Ziel ist der Freispruch», sagt Anwalt Günther Maull
zum Münchner Prozess.
Die Verteidigung argumentiert: Selbst
wenn Demjanjuk Wachmann in Sobibor gewesen sein sollte, sei
er kein deutscher Amtsträger gewesen – und ein deutsches
Gericht gar nicht zuständig. Und selbst wenn ein deutsches
Gericht zuständig wäre, hätte er unter Befehlsnotstand gehandelt.
Verteidiger Ulrich Busch verlangte mehrfach die Aussetzung
des Verfahrens und die Beiziehung einer Vielzahl von Akten
aus den USA, Israel, Polen, der Ukraine, Tschechien und Usbekistan.
Im Krankenbett nimmt Demjanjuk am
Prozess teil
»Das Verfahren könnte auch drei Jahre
dauern, wenn man die gesetzliche Pflicht erfüllt, die nötigen
Unterlagen beizuziehen», sagt Busch, der immer wieder mit
dem Vorsitzenden Richter Ralph Alt aneinander gerät. »Herr
Dr. Busch, ich bitte Sie, jetzt ruhig zu sein!», rief Alt
dann auch mal.
Er wolle endlich den Zeugen hören.
»Ich denke nicht, dass der Richter das Verfahren verschleppen
will, aber es ist keine Frage, dass der Verteidiger alles
versucht, um das Verfahren in die Länge zu ziehen, so dass
es möglicherweise irgendwann aus medizinischen Gründen eingestellt
wird», sagte der Direktor des Simon Wiesenthal Centers in
Jerusalem, Efraim Zuroff. Im Krankenbett, die Augen mit einer
Sonnenbrille geschützt, nimmt Demjanjuk am Prozess teil.
Der Zustand des Angeklagten hat sich
nicht verschlechtert
Er könne nicht längere Zeit sitzen,
sagt der Mediziner Albrecht Stein, der den Prozess begleitet.
»Meine Aufgabe ist es, die Verhandlung sicherzustellen. Dazu
gehört, dass er keine unnötigen Schmerzen erleiden muss.»
Der Zustand des Angeklagten, der an Gicht und einer Blutkrankheit
leidet, habe sich in der Untersuchungshaft nicht verschlechtert.
Zwischendurch war sogar einmal die Rede von besseren Blutwerten
als in den USA. Er bekommt bei Bedarf Blut, sein Gebiss wird
saniert.
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