10.5.2010 11:54 MEZ
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Demjanjuk-Prozess: Ein Ende ist nicht absehbar

MÜNCHEN - Die Bilder gingen um die Welt. Im Rollstuhl wurde John Demjanjuk aus dem Haus seiner Familie in Seven Hills im US-Bundesstaat Ohio geholt. Nach monatelangem Rechtsstreit wurde er nach Deutschland abgeschoben.

Vor einem Jahr, am 12. Mai 2009, landete die Sondermaschine mit dem mutmaßlichen NS-Verbrecher auf dem Münchner Flughafen. Seit einem halben Jahr muss sich der gebürtige Ukrainer wegen Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden vor dem Landgericht München II verantworten.

Noch viele Termine angesetzt

Der heute 90-Jährige soll 1943 Wachmann im Vernichtungslager Sobibor gewesen sein. Bis September sind Termine angesetzt, doch ein Prozess-Ende ist nicht absehbar. Demjanjuk, gegen den wegen seiner Gesundheit täglich nur zwei Mal 90 Minuten verhandelt werden darf, streitet die Vorwürfe ab. In einer Erklärung ließ er wissen, er empfinde den Prozess als Folter und Tortur.

Zum Ende seines Lebens sei eine falsche Anklage erhoben worden. »Uns war von vorneherein klar, dass es ein Indizienprozess wird, der nicht einfach wird», sagt Oberstaatsanwältin Barbara Stockinger. »Wir sind mit dem bisherigen Verlauf der Beweisaufnahme zufrieden - was bislang zur Sprache kam, schaut nicht so schlecht aus für den Tatnachweis.» Allerdings sind die Indizien in sechs Prozessmonaten nicht viel stichhaltiger geworden.

SS-Ausweis und Verlegungslisten als Hauptbeweismittel

Hauptbeweismittel bleiben ein SS-Ausweis mit der Nummer 1393 und Verlegungslisten, die Demjanjuks Tätigkeit in Sobibor belegen sollen. »Abkommandiert am 27.3.43 Sobibor» ist auf dem Ausweis notiert. Ein Urkundensachverständiger bewertete das Papier nach einem Vergleich mit anderen SS-Ausweisen zwar als »authentisch».

Die Übereinstimmung beweise aber nicht die Herkunft der Dokumente, betonte er mit Blick auf Spekulationen, Demjanjuks Ausweis könnte vom Sowjet-Geheimdienst KGB gefälscht worden sein. Der einzige Zeuge, der Demjanjuk in Sobibor gesehen haben will, ist tot. Ignat Daniltschenko, ebenfalls Wachmann, hatte in seinem NS- Prozess in der Sowjetunion ausgesagt, er habe in Sobibor mit einem Iwan Demjanjuk zusammengearbeitet.

Fünf Jahre in der Todeszelle

Der junge Ukrainer war 1942 in deutsche Gefangenschaft geraten und soll im SS-Lager Trawniki zum Wachmann ausgebildet worden sein. Mehrfach wurde später gegen Demjanjuk ermittelt. 1988 wurde er in Israel als »Iwan der Schreckliche» aus dem Vernichtungslager Treblinka zum Tode verurteilt. Fünf Jahre saß er in der Todeszelle, 1993 wurde das Urteil aufgehoben – er war tatsächlich verwechselt worden. »Das Ziel ist der Freispruch», sagt Anwalt Günther Maull zum Münchner Prozess.

Die Verteidigung argumentiert: Selbst wenn Demjanjuk Wachmann in Sobibor gewesen sein sollte, sei er kein deutscher Amtsträger gewesen – und ein deutsches Gericht gar nicht zuständig. Und selbst wenn ein deutsches Gericht zuständig wäre, hätte er unter Befehlsnotstand gehandelt. Verteidiger Ulrich Busch verlangte mehrfach die Aussetzung des Verfahrens und die Beiziehung einer Vielzahl von Akten aus den USA, Israel, Polen, der Ukraine, Tschechien und Usbekistan.

Im Krankenbett nimmt Demjanjuk am Prozess teil

»Das Verfahren könnte auch drei Jahre dauern, wenn man die gesetzliche Pflicht erfüllt, die nötigen Unterlagen beizuziehen», sagt Busch, der immer wieder mit dem Vorsitzenden Richter Ralph Alt aneinander gerät. »Herr Dr. Busch, ich bitte Sie, jetzt ruhig zu sein!», rief Alt dann auch mal.

Er wolle endlich den Zeugen hören. »Ich denke nicht, dass der Richter das Verfahren verschleppen will, aber es ist keine Frage, dass der Verteidiger alles versucht, um das Verfahren in die Länge zu ziehen, so dass es möglicherweise irgendwann aus medizinischen Gründen eingestellt wird», sagte der Direktor des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem, Efraim Zuroff. Im Krankenbett, die Augen mit einer Sonnenbrille geschützt, nimmt Demjanjuk am Prozess teil.

Der Zustand des Angeklagten hat sich nicht verschlechtert

Er könne nicht längere Zeit sitzen, sagt der Mediziner Albrecht Stein, der den Prozess begleitet. »Meine Aufgabe ist es, die Verhandlung sicherzustellen. Dazu gehört, dass er keine unnötigen Schmerzen erleiden muss.» Der Zustand des Angeklagten, der an Gicht und einer Blutkrankheit leidet, habe sich in der Untersuchungshaft nicht verschlechtert. Zwischendurch war sogar einmal die Rede von besseren Blutwerten als in den USA. Er bekommt bei Bedarf Blut, sein Gebiss wird saniert.

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