Ein
Besuch bei Efraim Zuroff, der von Jerusalem aus weltweit
nach NS-Verbrechern sucht. Im Auftrag des Simon Wiesenthal
Centers will er sie vor Gericht bringen.
Durch das Büro muss man sich schlängeln, besonders wenn man
so groß ist wie Efraim Zuroff, doch zwischen der Wohnküche
mit Kopiergerät und dem altmodisch-eierschalenfarbenen Badezimmer
hält er trotzdem inne. Für die große Geste. 'Wahrscheinlich
das beste Archiv zur Strafverfolgung von NS-Verbrechen weltweit!'
Einen Tick leiser, und man hätte sich vielleicht gar nicht
darüber gewundert.
Nicht, dass man ihm das nicht glauben würde. Warum allerdings muss einer, den
sie nach 30 Karrierejahren den 'letzten Nazijäger' nennen
und zuletzt in Serbien für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen
haben, heute noch so aufschneiden? Dass er zur Geschichte
des Holocaust promoviert hat, streut er anschließend noch
ein, während er etwas jungenhaft im Sessel hin und her wippt.
Für Journalisten lieber einmal zu oft. Nachlesen lässt sich
das natürlich auch in seiner neuen Autobiografie. Die übrigens
bereits die zweite ist.
Seit 24 Jahren leitet Efraim Zuroff,
62, von diesem Büro aus die weltweiten Bemühungen des privaten
Simon Wiesenthal Centers, bislang unbehelligte NS-Verbrecher
vor Gericht zu bringen. Man kann über diese Karriere sagen,
dass die leisen Sohlen des Detektivs nie seine Sache waren.
Man kann sich aber fragen, ob nicht gerade darin ein Teil
seines Erfolgs begründet liegt.
Zuroff, der Lautsprecher, hat Österreich
einmal einen 'Rückzugsraum für NS-Verbrecher' genannt, so
meint man sich zu erinnern.'Nein, ein Paradies für NS-Verbrecher!'
korrigiert er. Breiter New Yorker Akzent, schelmisches Lachen.
'So lautet mein berühmtes Zitat!'
Anlass war damals eine seiner schmerzhaftesten Niederlagen. Als Erna Wallisch
starb, jene mutmaßliche 'KZ-Hexe' von Majdanek, die in Österreich
in Frieden alt werden durfte, überschlug sich Zuroffs Stimme
fast am Telefon. Jahrzehntelang hatten die österreichischen
Behörden sich geweigert, Erna Wallisch nach Polen auszuliefern,
wo ihr der Prozess gemacht werden könnte. Erst im Jahr 2008
war Zuroff das geglückt, was die Österreicher nicht mehr
versucht hatten: Er spürte fünf hochbetagte polnische Zeugen
auf, die zu einer Aussage gegen ihre einstige Peinigerin
bereit waren. Kaum einen Monat später 'entzog' sich Wallisch
endgültig ihrer Bestrafung, wie Zuroff sagt. Als er im vergangenen
Jahr erfuhr, dass der berüchtigte KZ-Arzt von Mauthausen,
Aribert Heim, wahrscheinlich bereits seit Jahren tot war,
gab es wieder einen solchen Moment. Ein Kamerateam des ZDF
hatte sich in Zuroffs Jerusalemer Büro gezwängt. Jahrelang
war er Aribert Heim auf der Spur gewesen, zuletzt in Südamerika,
dahinter stets Journalisten aus aller Welt. Nun enthüllten die ZDF-Reporter, dass der KZ-Arzt wahrscheinlich bereits
1992 an Krebs gestorben war. In Kairo! 'Ich hoffe, er hat
gelitten', platzte es aus Zuroff heraus.
Natürlich, diese Arbeit sei sehr frustrierend, sagt er und dreht seine kleine,
gehäkelte Kippa langsam in den Händen. Die allermeisten Täter
haben ihr Leben unbehelligt zu Ende leben können, und auch
in den wenigen Fällen, in denen dies anders war, blieben
die irdischen Strafen im Grunde lächerlich. Immerhin, dass
die historische Wahrheit noch einmal ins öffentliche Bewusstsein
komme, sei schon eine Befriedigung, sagt Zuroff. Zudem scheint
er seine Frustration inzwischen aber auch recht geschickt
zu ventilieren.
Der Leiter der Ludwigsburger Zentralen
Stelle für die Aufklärung von NS-Verbrechen, Ludwig Schrimm,
ist ein geduldiger Gesprächspartner, bei diesem Thema braust
er jedoch auf: Seit einigen Jahren vergibt das Wiesenthal
Center jährlich zum israelischen Schoah-Gedenktag im April
'Schulnoten' für die Bemühungen der Justiz in verschiedenen
Ländern. Per Pressemitteilung. Danach bekommt Zuroff meist
Gelegenheit, seine Kritik in Interviews zu präzisieren. 'Ich
spreche Herrn Zuroff die Kompetenz ab, unsere Arbeit zu bewerten',
sagt Ludwig Schrimm auffallend schnell.
Natürlich ist Zuroff nicht weniger
kompetent als viele andere Beobachter, die der deutschen
Justiz jahrzehntelange Untätigkeit attestieren - aber die
staatlichen Ermittler zu solchen Reaktionen zu reizen? Man
muss das tatsächlich erst einmal schaffen. Zuletzt hat sich
die Note für Deutschland deutlich verbessert, von 'Ungenügend'
im Jahr 2007 auf 'Sehr gut' in diesem Jahr. 'Ich möchte natürlich
gerne glauben, dass unsere Kritik etwas zu dieser Trendwende
beigetragen hat.' Zuroff achtet darauf, dass die Worte einsinken,
bevor er weiterspricht. 'So energisch, wie dies abgestritten
wird, scheint mir die Kritik zumindest nicht ganz auf taube
Ohren gestoßen zu sein!' Die großen Gesten haben über die
Jahre sicher nicht geschadet.
Im Sommer 2008 flog Zuroff nach Österreich,
um medienwirksam darauf aufmerksam zu machen, dass an der
vermeintlichen Verhandlungsunfähigkeit eines hochbetagten
NS-Verdächtigen Zweifel bestünden. Nachdem die Behörden einen
neuen Gutachter bestellt hatten, rutschte einem Sprecher
am Telefon heraus, nun müssten endlich auch 'die Herrschaften
Zuroff' zufrieden sein.
Zuroffs Eltern wünschten sich von
ihrem Sohn eigentlich, dass er ein Rabbiner werde wie der
Großvater, seine Entscheidung für ein Geschichtsstudium war
da eine kleine Enttäuschung. 'Und heute laufe ich selbst
herum und sage den Leuten, was sie tun sollen', sagt er lachend.
'Das könnte doch kein Rabbi schöner!'
Tatsächlich war der Großvater nicht
irgendein Rabbiner, sondern ein Universitäts-Dekan in New
York, der Sohn ächzte unter dem Erwartungsdruck der Familie.
Als er früh nach Israel auswanderte, hörte man zunächst nur
noch wenig von ihm. Für das amerikanische Justizministerium
forschte Zuroff in den Holocaust-Archiven in Jad Vaschem
- die historischen Strafverfahren, an denen er mitarbeiten
wollte, blieben jedoch aus.
Den US-Behörden fehlte die rechtliche
Zuständigkeit, um letztlich 'europäische' Verbrechen zur
Anklage zu bringen, den Europäern fehlte oft der politische
Wille, und so quittierte Zuroff als 38-Jähriger entnervt
den Staatsdienst und überzeugte das Wiesenthal Center, ihn
stattdessen mit politischer 'Lobbyarbeit' gegen die allgemeine
Antriebslosigkeit zu beauftragen. 'Vielleicht hatte ich auch
nicht das richtige Naturell für die diplomatischen Redebeschränkungen
eines Regierungsbeamten', sagt er und grinst.
Zu den echten Rabbis und den jüdischen
Gemeinden ist das Verhältnis schwierig geblieben. Als Zuroff
im Jahr 2004 zum ersten Mal nach Lettland kam, stellte er
sich der Öffentlichkeit mit einer großen Pressekonferenz
vor - wobei der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Lettlands,
der als Gastgeber an seiner Seite saß, zunächst nur schwieg
und dann immer kleiner wurde. Zuroff hielt Fotos ausgemergelter
Menschen im Ghetto von Riga in die Höhe. Die Bilder würden
als Zeitungsanzeigen im ganzen Land erscheinen, erklärte
er. 'Lettische Kollaborateure halfen den Nazis, 100000 Juden
zu ermorden', stand dort in dicken Buchstaben. Darunter das
Versprechen einer Belohnung: 10000 Dollar für jeden Hinweis,
der zur Ergreifung eines lettischen NS-Verbrechers führt.
Was Zuroff als demonstrativen Schulterschluss
mit der örtlichen jüdischen Gemeinde geplant hatte, verwandelte
sich vor den Augen der Journalisten in einen offenen Streit:
Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde zog seine Unterstützung
Zuroffs zurück und stellte klar, dass Lettlands jüdische
Bürger nichts zu tun hätten mit dieser Kampagne.
Zuroff findet auch bei solchen Sätzen
keinen weicheren Ton: 'Ich kann mir diesen plötzlichen Sinneswandel
nur mit der Befürchtung erklären, dass unsere Kampagne eine
neue Welle des Antisemitismus in Lettland auslösen würde.'
Er macht eine Rechnung auf. Das Risiko, in Lettland eine
kleine Menge Antisemitismus zu 'verursachen', wie er sagt,
sei es dem Wiesenthal Center allemal wert gewesen, wenn man
Geschichtsfälschern im Baltikum langfristig einen Schlag
versetzen könne.
Das sagt einer, der anschließend zurück
ins warme Israel flog, wo die Zeitungen ihn mögen, er als
angesehener Bürger und inzwischen als Großvater in einer
Siedlung im Westjordanland lebt und wo jüdische Friedhöfe,
anders als in Europa, keinen Graffiti-Entferner vorrätig
zu halten brauchen. Der Vorkämpfer, der selbst im Trockenen
sitzt - im Baltikum nahmen sie ihm das übel.
Der deutsche Zentralrat der Juden
ließ es Zuroff gar nicht erst versuchen, in Deutschland eine
ähnliche Anzeigenkampagne zu starten. Vor allem gegen die
Idee eines 'Kopfgelds' verwahrte man sich. So nennt Stephan
Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats, die Belohnung
für sachdienliche Hinweise, die das Wiesenthal Center ausloben
wollte. 'Der große Stephan Kramer', spottet Zuroff.
Er lehnt sich nach vorne und spricht
jetzt ganz langsam, als erkläre er das kleine Einmaleins
der Öffentlichkeitsarbeit: Ohne das Geld wäre dieser Kampagne
nie eine vergleichbare Aufmerksamkeit in den Medien zugekommen.
Selbst die kurzfristige aufgeregte Debatte sei ihm da durchaus
zupass gekommen, glaubt einer, der ihn seit langem kennt.
Aus Estland, Lettland und Litauen
erreichten das Wiesenthal Center damals tatsächlich Hunderte
Briefe mit Zeugenaussagen, meist handschriftlich, oft seitenlang.
Auf eine Belohnung verzichteten fast alle.
In insgesamt 101 Fällen sind auf diese
Weise in ganz Europa Informationen gesammelt worden, die
das Wiesenthal Center für ausreichend stichhaltig hielt,
um einen bislang unbehelligten Verdächtigen anzuklagen. In
allen 101 Fällen wurden die Hinweise an die zuständigen Behörden
weitergeleitet.
'Im Nachhinein betrachtet, wäre es
vielleicht richtig gewesen, die Kampagne zu unterstützen',
sagt Stephan Kramer vom Zentralrat der Juden heute. 'In der
Zwischenzeit hat es ja einige neue Beispiele dafür gegeben,
dass es nicht zu spät ist, um in Deutschland Täter vor Gericht
zu bringen. Vielleicht wären es dann heute mehr.'
'Was für ein tolles Timing!' ruft
Zuroff, als er das hört und freut sich über seinen eigenen
Witz. 'Als wir Kramer brauchten, war er nicht da. Aber jetzt
sind plötzlich alle auf unserer Seite.' Es klingt nicht,
als hätte er darauf gewartet.
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