Es ist ein einmaliges
Projekt: Seit letztem Jahr arbeiten das Jerusalemer Büro
des Simon Wiesenthal Centers und die Villa ten Hompel in
Münster zusammen. Das Wiesenthal Center sammelt seit
Jahren im Rahmen seiner „Operation Last Chance“ Informationen über
NS-Täter in Europa. Die Villa ten Hompel, in der Nazizeit
Sitz der Ordnungspolizei, forscht zu den Themen Polizei,
NS und Nachkriegsgeschichte. Beide Institutionen lassen die
Ergebnisse ihrer Arbeit nun zusammenfließen und wollen
ein gemeinsames Projekt unter dem Titel „Europäische
Täterbiografien“ entwickeln. „Das ist wirklich
unsere letzte Chance, die Täter ihrer gerechten Strafe
zuzuführen“, betonte der Leiter des Simon Wiesenthal
Centers, Efraim Zuroff. Immer noch gebe es einige tausend
Personen, die am Holocaust beteiligt gewesen seien, aber
niemals angeklagt wurden.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sie jemals vor Gericht gestellt
würden, werde immer geringer. Deshalb entschied sich das
Simon Wiesenthal Center vor fünf Jahren, die Bemühungen
um eine Bestrafung von Nazi-Verbrechern mit neuen Methoden
zu verbessern. Konzipiert wurde das Projekt von Zuroff. Die „Operation
Last Chance“ setzt eine Belohnung für Hinweise aus,
die zur Anklage von NS-Tätern führen. Inzwischen
läuft „Last Chance“ in neun Ländern:
den baltischen Staaten, Polen, Rumänien, Österreich,
Kroatien, Ungarn und Deutschland. „Wir erhielten in Deutschland
80 Namen von Verdächtigen“, so Zuroff. „Fünf
Fälle wurden den Strafverfolgungsbehörden übergeben.“ Auch
die Bitte um Informationen aus der Bevölkerung hatte in
der Bundesrepublik großen Erfolg: „Deutschland
ist das einzige Land der Welt, in dem wir sogar von Verwandten
Hinweise auf Kriegsverbrecher bekamen“, betonte Zuroff.
Stefan Klemp, beim Wiesenthal Center zuständig für
Deutschland und Österreich, erläuterte, dass man
der Villa ten Hompel Materialien zur Forschung und politischen
Bildung wie etwa Tonband- und Filmaufnahmen zur Verfügung
stelle. Umgekehrt sei man durch die Quellen, Dokumente und
Archive der Villa ten Hompel auf die Namen von Nazi-Tätern
gestoßen. „So haben wir beispielsweise mit den
Akten eines Täter-Anwalts helfen können, die wir
auf einem Dachboden gefunden haben“, berichtete der
Leiter der Villa ten Hompel, Christoph Spieker. In der Gedenk-,
Lern und Forschungsstätte lagern vor allem Namenslisten
der Polizeibataillone, die an der systematischen Ermordung
der jüdischen Bevölkerung Osteuropas beteiligt
waren.
Spieker: „Wir können keine juristische Bewertung
liefern. Aber wir können Material neu nutzen, das in
keinem Museum der Bundesrepublik zu finden ist, und Zusammenhänge
herstellen, die bisher als nicht relevant betrachtet wurden.“ Die
bisherige Bilanz kann sich sehen lassen: Fast 500 Ermittlungsverfahren
wurden eingeleitet, 67 Nazi-Verbrecher verurteilt. „Es
ist immer noch möglich, die Mörder zur Verantwortung
zu ziehen“, gibt sich Efraim Zuroff überzeugt. „Aber
nicht mehr lange. Fünf Jahre, vielleicht sechs – dann
ist unsere letzte Chance vorbei.“
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