Als
verbindliche Rechtsnorm erließ der Alliierte Kontrollrat
am 20. Dezember 1945 das Kontrollratsgesetz Nr. 10, am 12.
Januar 1946 wurde die Kontrollratsdirektive Nr. 24 und am
12. Oktober 1946 die Direktive Nr. 38 erlassen. Darin wurden
in der Kategorie der als »sonstige Hauptschuldige« an den
NS-Verbrechen zu internierenden Personen u.a. genannt: Beamte
bzw. leitende Beamte der Geheimdienste und der Abwehrämter,
der Sicherheits- und Ordnungspolizei sowie alle NSDAP-Funktionäre
vom Kreisleiter aufwärts, alle SS-Offiziere ab Major und
die Mitglieder der SS-Totenkopfverbände.1
Die Direktive Nr. 24 enthielt z.B. unter Ziffer 70 des Abschnittes 10 folgende
Definition:
»Alle
Offiziere und alle anderen Personen, die zu
irgendeiner Zeit dem Militärischen Amt (früher
Abwehramt) oder dem Reichssicherheitshauptamt
(RSHA) und deren Außenstellen und abhängigen
Organisationen oder der uniformierten Polizei,
der Kriminal- oder Geheimpolizei oder einer
anderen Polizeiformation oder mit diesen verbundenen
Einheiten und Kommandos angehörten, die laut
Anordnung der Verhaftung unterliegen, sind
zwangsläufig zu entlassen und für immer von
jedem Amt und jeder einflußreichen Stellung
auszuschließen. Ferner ist alles Personal,
das seit dem 1. Januar 1933 von dem deutschen
Abwehrdienst oder von Organisationen oder Außenstellen,
welche von diesem Befehle empfingen oder abhängig
waren, im Ausland beschäftigt waren, zu entlassen
und von jedem Amt oder Stellung von Einfluß
auszuschließen.«
In der
Praxis allerdings verlief die Umsetzung dieser
Direktive in den einzelnen Besatzungszonen
sehr unterschiedlich. Denn die Alliierten legten
ihre eigenen internationalen Vereinbarungen
über die gemeinsame Nachkriegspolitik entsprechend
ihren ganz spezifischen Interessen aus.
Im Widerspruch
zu den gemeinsam erarbeiteten und verbindlichen
Regelungen des Völkerrechts verhalfen die US-Geheimdienste
von Anfang an schwerbelasteten Nazis zur Flucht
bzw. nutzten sie ohne Skrupel für Spionage
und Subversion gegen den bisherigen Verbündeten
und zu geheimdienstlichen Operationen für die
Sicherung ihrer Herrschaftsverhältnisse in
den Westzonen.
Erst 1996
billigte das Repräsentantenhaus der USA eine
Gesetzesvorlage, nach der mutmaßliche Kriegsverbrecher
künftig in den Vereinigten Staaten festgenommen
und vor Gericht gestellt werden könnten. Der
Entwurf legt den Strafrahmen für Kriegsverbrechen
fest. In Fällen, die zum Tod der Opfer führten,
ist auch die Todesstrafe vorgesehen.2
Obwohl
die USA die Londoner Statuten des Internationalen
Militärtribunals als Grundlage der Nürnberger
Prozesse mit erarbeitet und bestätigt hatten,
brauchten sie 50 Jahre, um die Strafverfolgung
für faschistische Kriegsverbrecher in innerstaatliches
Recht umzusetzen.
Renazifizierung in der BRD
Mit der Gründung der Bundesrepublik erhielt
die Tendenz zur Renazifizierung in diesem Teil
Deutschlands eine verfassungsrechtliche und
gesetzgeberische Grundlage.
In einem
der ersten Gesetzgebungsakte der Bundesrepublik
wurde den Fragebogenfälschern unter den Altnazis
völlige Straffreiheit gewährt. Im Paragraphen
10 des »Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit«
vom 31. Dezember 1949 (Bundesgesetzblatt 1949/50,
S. 37) ist festgelegt: »Für Straftaten, die
zwischen dem 10. Mai 1945 und dem Inkrafttreten
dieses Gesetzes zur Verschleierung des Personenstandes
aus politischen Gründen begangen wurden, wird,
auch wenn sie nach dieser Zeit fortdauern,
Straffreiheit ohne Rücksicht auf die Höhe der
zu erwartenden Strafe gewährt, wenn der Täter
bis spätestens 31. März 1950 bei der Polizeibehörde
seines Wohnsitzes oder Aufenthaltsortes freiwillig
seine unwahren Angaben widerruft und bisher
entgegen gesetzlicher Vorschrift unterlassene
Angaben nachholt.«
Damit
wurde es den untergetauchten bzw. unter falschem
Namen lebenden Nazis ermöglicht, durch Offenlegung
ihrer richtigen Personaldaten die Voraussetzungen
zu schaffen, um ihre »Ansprüche aus der Zeit
vor dem 8. Mai 1945« geltend zu machen.
Das geschah
durch Regelungen des Grundgesetzes und dem
darauf basierenden Ausführungsgesetz. Artikel
131 des Grundgesetzes bestimmte: »Frühere Angehörige
des öffentlichen Dienstes. Die Rechtsverhältnisse
von Personen einschließlich der Flüchtlinge
und Vertriebenen, die am 8.Mai 1945 im öffentlichen
Dienst standen, aus anderen als beamten- oder
tarifrechtlichen Gründen ausgeschieden sind
und bisher nicht oder nicht ihrer früheren
Stellung entsprechend verwendet werden, sind
durch Bundesgesetz zu regeln.«
Im Mai
1951 verabschiedete der Deutsche Bundestag
das rückwirkend zum 1.April 1951 in Kraft tretende
»131er-Gesetz« (»Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse
der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden
Personen«). Selbiges verpflichtete die Behörden,
mindestens 20 Prozent ihres Personals aus den
Reihen dieses Personenkreises einzustellen,
ihnen wurde ein Rechtsanspruch auf Wiederverwendung
zugebilligt. Ausgenommen sollten nur die »Haupttäter«
und anfangs auch ehemalige Gestapo-Beamte sein.
Paragraph 67 dieses Gesetzes definiert jedoch
z.B. als berechtigte Personen: »Beamte und
Berufssoldaten, die an eine Dienststelle der
früheren Geheimen Staatspolizei, an das frühere
Forschungsamt RLM (Reichsluftfahrtsministerium
– d.A.), zur früheren Waffen-SS von Amts wegen
versetzt waren und dort bis zum 8. Mai 1945
verblieben oder in den Ruhestand getreten sind
(…).«
Interessant
ist die Bestimmung »von Amts wegen versetzt«,
die suggerieren soll, daß dieser Personenkreis
nicht freiwillig und aus tiefster Überzeugung
dem faschistischen Repressionsapparat gedient
habe, sondern nur in Folge einer bürokratischen
Entscheidung.
Nach offiziellen
westdeutschen Angaben fanden bis zum März 1956
181202 dieser sogenannten 131er wieder Anstellung
in Bonner Diensten.3 Nicht weniger als 75 bis
80 Prozent der in öffentliche Ämter der Bundesrepublik
eingestellten Beamten hatten bereits dem faschistischen
System gedient.
»Es ging«,
wie der deutsche Schriftsteller und Journalist
Bernt Engelmann bemerkt, »nicht mehr um die
Entfernung derer aus dem Staatsdienst, die
sich der Teilnahme an Terror und Massenmord
nicht verweigert, sondern bewußt daran mitgewirkt
und so den Rückfall in die Barbarei erst ermöglicht
hatten; es ging nur noch um die ›Notwendigkeit‹,
›wertvolle Menschen‹ ›wiedereinzugliedern«
und deren ›Kenntnisse und Erfahrungen (...)
für den Wiederaufbau des Rechtsstaates‹ nutzbar
zu machen!«4
Die nach
den Nürnberger Prozessen einsetzende Umwandlung
von Strafen, Begnadigungen und Haftentlassungen
(oft auf direkte Intervention des US-Hochkommissars)
waren Teil dieses Prozesses. Die Regierung
der Bundesrepublik hat diese Politik der Verschonung
der Kriegsverbrecher von Strafen weitergeführt
und mit der in breitem Maße praktizierten Wiedereingliederung
in staatliche und politische Ämter noch weiter
gesteigert.
Die »alte Arbeit« fortsetzen
Im Juli 1946 kehrte der ehemalige Wehrmachtsgeneral
Reinhard Gehlen mit einer Gruppe ausgewählter
Nazioffiziere von ehemals Fremde Heere Ost
(FHO) beim Oberkommando des Heeres (OKH) nach
einem einjährigen Aufenthalt in den USA nach
Deutschland zurück. In den USA hatte er die
von ihm sichergestellten Unterlagen über die
Tätigkeit von FHO während des Zweiten Weltkrieges
in der Sowjetunion übergeben und ihre weitere
Auswertung vereinbart.
Gehlen
kehrte mit der Vorentscheidung aus den USA
zurück, mit seiner Hilfe einen deutschen Geheimdienst
gegen Osteuropa und gegen die Sowjetunion unter
Verwendung »erfahrener« Spezialisten aufzubauen.
Dazu schreibt er in seinen Erinnerungen: »Es
wird eine deutsche nachrichtendienstliche Organisation
unter Benutzung des vorhandenen Potentials
geschaffen, die nach Osten aufklärt beziehungsweise
die alte Arbeit im gleichen Sinne fortsetzt.
Die Grundlage ist das gemeinsame Interesse
an der Verteidigung gegen den Kommunismus.«5
Dank der
Freigabe von mehr als acht Millionen Dokumentenseiten
durch das US-Nationalarchiv, die seit dem Jahre
2000 nach und nach für Forschung und Öffentlichkeit
zur Verfügung stehen, ist über die Entstehung
und Entwicklung der Organisation Gehlen ein
hervorragender Einblick möglich. Tausende von
Biographien werden in Einzelheiten dargestellt,
auch die nazistische Vergangenheit der Akteure
und ihre Verstrickungen in Verbrechen, die
den Behörden der Vereinigten Staaten bekannt
waren.
Von Anfang
an rekrutierte Gehlen nicht nur ehemalige Offiziere
von FHO und der Wehrmacht, sondern auch Exmitarbeiter
des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), des
Sicherheitsdienstes (SD) und der SS, der Gestapo
und der Geheimen Feldpolizei, so wie das von
allen Geheimdiensten der BRD praktiziert wurde.
Alte FHO-Kontakte zu antikommunistischen Emigrantenbewegungen
und zu Angehörigen der Wlassow-Armee wurden
wieder aufgenommen.
In dem
Buch »Angriff und Abwehr«6 werden umfassende
Untersuchungen zu den Gründervätern der westdeutschen
Geheimdienste dokumentiert. Dafür wurden zirka
1000 der Dokumente aus den US-Archiven ausgewertet
und etwa 100 Biographien von führenden Naziaktivisten
und Kriegsverbrechern aus der Gründergeneration
des BND dargestellt. Es versteht sich von selbst,
daß diese Dokumente für die nunmehr in Aussicht
gestellte Aufarbeitung der BND-Periode 1945
bis 1968 unersetzlich sind.7
Der britische
Journalist Sefton Delmer, der eng mit englischen
Diensten verbunden war, hatte bereits 1952
das braune Sammelbecken in Pullach entlarvt.
Er schrieb unter der Überschrift »Hitlergeneral
spioniert jetzt für Dollars«: »Achten Sie auf
einen Namen, der Schlimmes verheißt. Er steht
für den meiner Meinung nach gefährlichsten
politischen Sprengstoff im heutigen Westeuropa.
Dieser Namen lautet Gehlen. (…) Vor zehn Jahren
war dies der Name eines der fähigsten Stabsoffiziere
von Hitler (…) Heute ist Gehlen der Name einer
Geheimorganisation von gewaltiger und zunehmend
größerer Macht (…) Während er seine Organisation
immer weiter ausbaute, krochen jede Menge frühere
Nazis, SS- und SD-Leute in seiner Organisation
unter, wo sie vollen Schutz genossen. Heute
ist Gehlen der Kopf einer Spionageorganisation,
die ihre Agenten in allen Teilen der Erde hat.
(…) Die Gefahr, die von dieser Organisation
ausgeht, liegt in der Zukunft. Denn Gehlens
Agentennetz ist schon heute in Deutschland
zu einer immensen Untergrundmacht geworden.«8
James
H. Critchfield, Oberst und erster Verbindungsoffizier
der CIA zu Gehlen, zeigte sich in seinem ersten
Bericht an die Zentrale Ende 1948 beeindruckt
von Gehlen, seinem «Spionagepotential« sowie
dem Engagement für die USA. Im Punkt 10 stellt
er fest:
»Rusty
(Deckname für die Organisation Gehlen) deckt
gegenwärtig Ostdeutschland mit 600 Agenten
ab, Ziel ist Anhebung Grad der Durchdringung
aller Facetten sowjetischer und kommunistischer
Aktivitäten in Sowjetischer Zone.« Und im Punkt
7: »Rusty hat gut entwickelte Möglichkeiten
für strategische Operationen gegen UdSSR über
Baltikum und Mittleren Osten.« Critchfield
schreibt weiter von «engsten Verbindungen Rustys
mit deutschen Generalstabsoffizieren in ganz
Deutschland« und nennt eine Zahl von 4000,
die Rusty umfaßt.9
Judenmörder im BND-Sold
Die Judenverfolgung in Nazideutschland begann
1933 mit der Einführung der Schutzhaft und
der Einrichtung von Konzentrationslagern als
zentrale Bestandteile des faschistischen Herrschaftssystems
und wurde mit Gesetzen wie »Wiederherstellung
des Berufsbeamtentums« und dem »Reichskulturkammergesetz«
(in beiden Gesetzen wurde die Betätigung von
Juden ausgeschlossen) bis zu den 1935 verabschiedeten
Rassegesetzen scheinbar legalisiert.
Dr. Hans-Maria
Globke, Ministerialrat im Reichsinnenministerium,
später Leiter des Bonner Bundeskanzleramtes
und engster Vertrauter Adenauers, leistete
mit der Ausarbeitung der ersten Ausführungsverordnung
einen gewichtigen Beitrag und war nachweisbar
an der Verfolgung von Juden in Deutschland
und Europa beteiligt.
Mit der
Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 erfolgte
der Startschuß für die systematische, industriemäßige
Vernichtung der europäischen Juden.
Das 1937
gegründete Wannsee-Institut wurde 1941 als
Amt VII – Weltanschauung und Auswertung – in
das RSHA eingegliedert. Es leitete federführend
die Vorbereitung und Durchführung der Wannsee-Konferenz,
an der 15 hochrangige Vertreter der Ministerialbürokratie
des Hitlerregimes teilnahmen.
Leiter
des Amtes VII war von 1941 bis 1945 Dr. Franz
Alfred Six. Er galt als einer der intellektuellen
Vordenker der Hitlerdiktatur. 1941 wurde er
von Himmler mit der Leitung des »Vorkommandos
Moskau« innerhalb der Einsatzgruppe B beauftragt,
dessen Aufgabe auch die Erfassung und Vernichtung
von »Partisanen, Saboteuren und kommunistischen
Funktionären« war. Bei seinem Einsatz kam es
u. a. in Smolensk zur Ermordung von zirka 200
Personen, wie er selbst an das SS-Hauptamt
berichtete. Im Januar 1945 wurde Six noch zum
SS-Brigadeführer befördert. Six wurde 1946
leitender Mitarbeiter in der Organisation Gehlen.
1948 erfolgte im Einsatzgruppenprozeß seine
Verurteilung zu 20 Jahren Haft, 1952 jedoch
schon seine Begnadigung. Er nahm erneut seine
Tätigkeit bei Gehlen auf.
Einen
ähnlichen Werdegang kann Dr. Emil Augsburg
vorweisen. Er gehörte zum Führungspersonal
des Wannsee-Institus, wurde 1937 Mitarbeiter
des RSHA und gehörte 1941 in Minsk einem Einsatzkommando
an, das u. a. an Erschießungen im Raum Smolensk
beteiligt war. Augsburg wurde mehrfach wegen
»außergewöhnlicher Ergebnisse bei Sonderaktionen«
belobigt. Unter dem Pseudonym Dr. Althaus arbeitete
er vor seinem 1946 erfolgten Eintritt in die
Organisation Gehlen zunächst für den CIC. Als
Fachmann für Fragen der Sowjetunion gehörte
er zum Stab Gehlens.
Prof.
Dr. Michail Achmeteli galt als ein bedeutender
»Ostexperte« im Wannsee-Institut. Das von ihm
an der Breslauer Universität eingerichtete
Zentrum für »Antikommunistische Studien« bildete
den Grundstock der SS-Archive über die Sowjetunion.
Aus dem Wannsee-Institut heraus war er Verbindungsmann
zu FHO und im Rahmen der Aktion »Zeppelin«
mitverantwortlich für Diversionseinsätze mit
sowjetischen Kriegsgefangenen. Achmeteli arbeitete
seit 1946 für Gehlen, mit dem er eng befreundet
war.
Seilschaften in der Bundeswehr
Unter Gehlen vollzog sich die langfristige
personelle Sammlung und gesicherte Deponierung
der späteren Führungskader der Bundeswehr.
Hier erfolgte auch die konzeptionelle Vorarbeit
für Strukturen, Aufgabenstellungen, Strategien
und Bewaffnung einschließlich des praktischen
Vorgehens beim Aufbau der westdeutschen Streitmacht.
Einer
der ersten und engsten Mitarbeiter Gehlens
war neben seinem ehemaligen Stellvertreter
und Nachfolger im FHO, Gerhard Wessel, General
Adolf Heusinger. Dieser hatte 1940/1941 als
Chef der Operationsabteilung im Generalstab
des Heeres den Plan zum Überfall auf die Sowjetunion
»Barbarossa« ausgearbeitet, woran übrigens
auch Gehlen beteiligt war. Später hatte Heusinger
dem FHO-Chef Gehlen sowjetische Kriegsgefangene
zur Vernehmung und »Weiterverwendung« zugetrieben.
Gehlen
parkte Heusinger zunächst in seiner Organisation
und übertrug ihm die verantwortliche Funktion
eines Leiters der Auswertung, wo er zwangsläufig
engste Kontakte zu den amerikanischen Verbindungsoffizieren
unterhielt. Mit seinen Analysen über die angebliche
Bedrohung des Westens durch bis zu 175 kampfbereite
Divisionen der Sowjetunion trug Heusinger wesentlich
zur Eskalation des Kalten Krieges bei.
Ab 1950
war Heusinger einer der Hauptakteure der Remilitarisierung
Westdeutschlands. Er wurde auf Vorschlag Globkes
zum militärischen Berater Adenauers ernannt,
später zum Beauftragten für Wehrfragen. 1955
avancierte er zum Generalleutnant der Bundeswehr
und wurde 1957 ihr erster Generalinspekteur.
Nach Feststellungen
des ersten Verbindungsoffiziers der CIA, Critchfield,
sah es Heusinger gemeinsam mit den Nazioffizieren
Speidel und Foertsch10 als seine Aufgabe an,
»sich Gedanken zu machen, wie ein völlig neues
nationales Sicherheitssystem aussehen könnte,
das den Interessen der neuen Regierung in Bonn
dienen, (…) würde.« Die ›Organisation Gehlen‹
»bot eine gesicherte, politisch geschützte
und verwaltungstechnisch unterstützte Basis.«11
Heusinger
verfaßte während seiner Tätigkeit in der Organisation
Gehlen mehrere Studien zum Aufbau der Bundeswehr,
die er teilweise über seine CIA-Verbindungen
an das Pentagon lancierte. Gemeinsam mit Foertsch
und Speidel entstand 1950 die sogenannte Sommerdenkschrift
– Gedanken über die Frage der äußeren Sicherheit
der BRD. Darin ist eine Analyse der angeblichen
Stärke der sowjetischen Land-, Luft- und Seestreitkräfte
in Mitteleuropa enthalten, davon angeblich
30 einsatzbereite Divisionen in der DDR.
Im Oktober
1950 fand die streng geheime »Himmeroder Konferenz«
statt, deren 15 Teilnehmer von Globke bestätigt
wurden. Die Konferenz legte im einzelnen den
Aufbau der Bundeswehr fest12, und wurde maßgeblich
im Hause Gehlen vorbereitet. Adolf Heusinger,
Hermann Foertsch, Erhard Graf von Nostitz und
Alfred Schulze-Hinrichs nahmen als Mitarbeiter
Gehlens daran teil. Als Ständiger Sekretär
der Konferenz wurde Johann-Adolf Graf von Kielmannsegg
bestimmt, einst Oberst im Generalstab des OKH,
ab 1950 im Amt Blank, 1966 Befehlshaber der
NATO-Streitkräfte Europa Mitte. Kielmannsegg
ist erwiesenermaßen ein Kriegsverbrecher, er
war unmittelbar an Massenmorden in Polen beteiligt.
Etwa 150
Offiziere, die im Generalstab des faschistischen
Heeres gedient hatten, durchliefen mit einer
zum Teil langjährigen Tätigkeit die Organisation
Gehlen und warteten auf ihre große Chance in
der Bundeswehr. Darunter: Ernst Faber, ab 1951
Abteilungsleiter Personal im Amt Blank, 1973
Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte Zentraleuropa;
Heinz Guderian, 1955 Abteilungsleiter im Bundesverteidigungsministerium
(BMVg); Josef Moll, 1957 Oberst im BMVg, 1965
Generalmajor, Inspekteur des Heeres; Konrad
Stephanus, 1961 Brigadegeneral und Kommandeur
der Schule für Nachrichtenwesen der Bundeswehr.
Leo Hepp
wechselte 1956 nach dem Aufbau der Fernmeldeaufklärung
Gehlens in die Bundeswehr und wurde Generalleutnant.
Nazis als »Verfassungsschützer«
Als »sich die ersten Dienststellen des Verfassungsschutzes
mit Personal füllten«, schreibt der bundesdeutsche
Geheimdienstforscher Heinz Höhne, »kamen die
meisten operativen Mitarbeiter von der Gestapo.
Sie bestimmten praktisch die Arbeit des Verfassungsschutzes,
speziell des Bundesamts für Verfassungsschutz
(BfV). An der Spitze standen 16 ehemalige Angehörige
der Gestapo und des SD, von deren Existenz
freilich die alliierten Kontrolleure nichts
wußten. Kamen die Verbindungsoffiziere in das
Haus, so weiß ein BfV-Insider, gab es Alarm
und alles ging auf Tauchstation«.13
Für die
Besetzung der Führungspositionen im BfV ist
auch bezeichnend, daß sich vor allem solche
Altnazis versammelten, die bereits im Vorgehen
gegen Hitlergegner Erfahrungen und einschlägige
»Verdienste« erworben hatten. Zu ihnen gehörte
der Nachfolger Otto Johns als Präsident des
BfV, der frühere Staatsanwalt am Reichsgerichtshof
Hubert Schrübbers, der an den Untersuchungen
gegen die Attentäter vom 20.Juli 1944 beteiligt
war und in »Hochverratsprozessen« die Anklage
vertrat; der frühere Staatsanwalt Ernst Brückner
als Vizepräsident, der ebenfalls Hitlergegner
anklagte; Johannes Strübing, der Ermittlungen
gegen die »Rote Kapelle« leitete, Richard Gerken,
der an der Liquidierung von 50 Antifaschisten
und an der Mißhandlung und Folterung von Antifaschisten
in Holland beteiligt war; Erich Wenger, Mitarbeiter
der Gestapo in Paris; Gustav Barschdorf, 1974
verurteilt, weil er 1942 eine Norwegerin bei
einer »Vernehmung« zu Tode gequält hatte.
Vizepräsident
des BfV von 1951 bis 1964 war Albert Radke,
Offizier bei der Reichswehr, 1935 bis 1937
Verbindungsoffizier zur Gestapo, an der Judenverfolgung
in der Slowakei und an Untersuchungen gegen
die Teilnehmer des 20.7.1944 beteiligt, von
1946 bis 1950 leitender Mitarbeiter in der
Organisation Gehlen. Viele weitere Beispiele
zu Mitarbeitern des Verfassungsschutzes im
BfV und in den Landesämtern sind dokumentiert.
Auch der
Aufbau und die Entwicklung des Militärischen
Abschirmdienstes (MAD) bzw. des Amtes für Sicherheit
der Bundeswehr liefern den Beweis für die personelle
Kontinuität von Stabsfunktionen in der faschistischen
Wehrmacht über die Zugehörigkeit zu Geheimdiensten
vor und nach 1945.
Der erste
Leiter des MAD von 1956 bis 1957 war Gerhard
Wessel, Offizier in der Reichswehr, Stabsoffizier
in Frankreich und in der Sowjetunion, 1942
bis 1945 Leiter der Gruppe I bei FHO, Stellvertreter
Gehlens ab 1943, 1945 Leiter von FHO, 1945
bis 1952 stellvertretender Leiter der Organisation
Gehlen, Delegierung in das Amt Blank, dort
Abwehrchef bis 1955, 1956 erster Amtschef des
MAD, 1968 bis 1978 Präsident des BND. Weitere
Leitungskader der Organisation Gehlen im militärischen
Nachrichtendienst der BRD waren Josef Selmayer,
1957 bis 1964 Leiter des Amtes für Sicherheit
der Bundeswehr, oder Armin Eck, 1967 bis 1972
in derselben Funktion.
Über die
personelle Kontinuität von Nazi- und Kriegsverbrechern
im Bundeskriminalamt, der Sicherungsgruppe
Bonn und in den politischen Dezernaten der
Landespolizeien gibt es zahlreiche Dokumentationen
von Insidern, z.B. Dieter Schenk: Auf dem rechten
Auge blind – Die braunen Wurzeln des BKA, Köln,
2001.
Der Verlauf
der Geschichte nach 1945 beweist eindeutig,
daß es für die Tarnung, Straffreiheit und Wiederverwendung
der ehemaligen Angehörigen der faschistischen
Mord- und Terrorapparate und über diesen Personenkreis
hinaus Strategien und Strukturen gab. Die Täter
bestätigten sich gegenseitig ihre Unschuld,
wurden über Rattenlinien ins Ausland gebracht
oder aber in der Organisation Gehlen untergebracht,
um später verantwortliche Funktionen in Geheimdiensten
oder im Bonner Staat einzunehmen - auch an
Einsatzorten im Ausland (siehe Teil II in der
morgigen Ausgabe).
jungewelt.de
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