Mark
Gould gab sich als Neonazi aus und dokumentierte Gespräche
mit dem 97-jährigen ehemaligen SS-Offizier Bernhard Frank
auf Video. Aber was hat er wirklich enthüllt?
"Jude
tarnt sich als Neonazi und überführt SS-Mörder", schreibt die Bild-Zeitung. Doch der 43-jährige Kalifornier Mark Gould ist kein
Jude; er hat das auch nie behauptet. Und der "SS-Mörder" Bernhard Frank, den er "überführt" haben will, lebt seit Kriegsende unter seinem richtigen Namen im Raum Frankfurt
am Main, hat mehrere Bücher über seine Zeit
als SS-Offizier verfasst und trat als Zeitzeuge
im Fernsehen auf. Mit Kriegsverbrechen wurde
er bisher nie in Verbindung gebracht und muss
sich zumindest vorerst auch nicht als Mörder
bezeichnen lassen.
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Jetzt allerdings ermittelt die
Frankfurter Staatsanwaltschaft
gegen den 97-jährigen Frank wegen
Mordverdachts. Dabei geht es vor
allem um einen Befehl vom 28.
Juli 1941 im Zusammenhang mit
dem deutschen Angriff auf Russland,
der laut Gould die Unterschrift
Franks trägt. "Ist
die Bevölkerung rassisch oder
menschlich minderwertig, (...)
so sind alle zu erschießen", lautete die Anweisung an die in Weißrussland und in der Ukraine kämpfenden
deutschen Truppen, zitiert Bild.
Gould
gab sich nach eigener Darstellung
vier Jahre lang als Neonazi-Sympathisant
aus, um das Vertrauen Franks zu
erlangen. Er dokumentierte etliche
Gespräche mit dem 97-jährigen auf
Video, zum Teil auf Deutsch, zum
Teil auf Englisch. Mit letzterem
tut sich Frank sichtlich schwer.
Der ehemalige SS-Obersturmbannführer
spricht unter anderem über sein
nach eigenen Angaben enges Verhältnis
zum Reichsführer der SS Heinrich
Himmler.
Bild
stilisiert Frank auf der Basis von
Goulds Recherchen zu einer in all
den 66 Jahren seit Kriegsende völlig
übersehenen Schlüsselfigur der NS-Geschichte.
Der "von Frank unterschriebene Sonderbefehl" sei die erste bekannte schriftliche Anweisung, die aus der rassistischen und
antisemitischen Ideologie der NSDAP
die Konsequenz der systematischen
physischen Vernichtung ziehe. Dass
es diese Massaker gab, obwohl erst
am 20. Januar 1942 auf der Wannseekonferenz
die Organisation des Holocaust im
Detail festgeklopft wurde, ist aber
längst bekannt.
Den Befehl hält Gould nur kurz in Form einer schlechten Kopie in die Kamera.
Später taucht noch einmal die letzte
Seite des Befehls auf, auf dem die
Unterschrift von Frank zu sehen
ist – mit dem Zusatz "f. d. R.", für die Richtigkeit. Rechts darüber steht in Schreibmaschinenschrift "gez. H. Himmler". Frank sagt dazu, "das ist ein Himmler-Befehl, den ich bestätigt ... den ich nur bestätigt habe."
Gould dokumentiert online zwei andere Dokumente mit Franks Unterschrift. Eines
davon ist ein Bericht zum Abschluss
der Aktion Pripjetsümpfe, der das "Gesamtergebnis" mit 10.412 angibt; gemeint sind offenbar in den weißrussischen Sümpfen getötete
Zivilisten, meist Juden. Unterzeichner
ist ein "HSSUPF" (Höherer SS- und Polizeführer Witte). Frank quittiert als einer der Adressaten
mit seiner Signatur den Eingang
des Fernschreibens.
Ein
anderes von Gould online gestelltes
Dokument ist ein Antrag auf ein
Kommando der Waffen-SS zur Erschießung
von "800 Zivilgefangenen". Gould legt im Internet nahe, Frank, der auch hier mit "f. d. R." das Schreiben abzeichnet, habe dieses Erschießungskommando genehmigt. Doch es
ist fraglich, ob Frank, der zur
Zeit der Befehle noch den Rang des
Hauptsturmführers trug, überhaupt
dazu befugt gewesen wäre.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat ihre Ermittlungen eingeleitet auf der Basis
von Unterlagen, die anonym im Dezember
bei der Zentralen Stelle zur Aufklärung
von NS-Verbrechen in Ludwigsburg
eingegangen waren. Ob Gould der
anonyme Einsender des belastenden
Materials ist, ist unbekannt. Von
dort ging das Material – eine Festplatte
und fünf CD-Roms mit Daten, also
weit mehr, als Gould im Internet
veröffentlichte – umgehend an die
zuständige Staatsanwaltschaft.
Die Enthüllungsstory von Mark Gould sorgte im Dezember in israelischen, britischen
und US-Medien schon einmal für Wirbel.
Das scheint im Interesse des 43-jährigen
Kaliforniers zu liegen, den Bild
als "Historiker" bezeichnet, die New York Times als "College-Dropout". Gould habe sein mit Börsenspekulationen erworbenes Vermögen zum Teil für das
Sammeln von NS-Memorabilia ausgegeben
und sei so auf die Spur Franks gestoßen,
der als letzter Befehlshaber von
Adolf Hitlers Alpenresidenz auf
dem Obersalzberg den Luftwaffen-Chef
Göring auf Befehl des Führers unter
Hausarrest stellte.
Die New York Times unterstellt Gould, er habe es auf die Öffentlichkeit abgesehen,
wolle ein Buch schreiben und die
Filmrechte an seiner Story verkaufen.
Auch Efraim Zuroff vom Wiesenthal-Center
in Jerusalem, ein erprobter Nazi-Jäger,
zweifelte im britischen Guardian
an den Motiven des "Enthüllers".
Gould hat zusammen mit jüdischen Angehörigen seines Stiefvaters in den USA eine
Zivilklage gegen Frank erhoben,
um Schadenersatz für das Leid zu
erhalten, das deren Vorfahren zugefügt
wurde. In Deutschland hat er nicht
Anzeige erstattet.
Die
Ermittler des Landeskriminalamtes
Wiesbaden wollen nun zunächst in
Militärarchiven prüfen, wo Frank
sich zu welcher Zeit des Krieges
befand, wie Möller-Scheu sagt. Das
werde einige Wochen in Anspruch
nehmen. Erst dann will die Behörde
Kontakt zu Bernhard Frank aufnehmen.
zeit.de
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