Für
die Bild-Zeitung ist die Sache klar: „Jude tarnt sich als
Neonazi und überführt SS-Mörder“, titelt das Blatt. Die Beweislage
gegen den im Rhein-Main-Gebiet lebenden Bernhard Frank ist
allerdings sehr dünn.
Frankfurt –
Was für eine Story: „Jude tarnt sich als Neonazi
und überführt SS-Mörder.“ Ein gefundenes Fressen
für die Bild-Zeitung. Mark Gould, ein 43-jähriger
Kalifornier, gab sich nach eigener Darstellung
vier Jahre lang als Rechtsextremist aus und
erlangte so das Vertrauen des ehemaligen SS-Obersturmbannführers
Bernhard Frank. Er dokumentierte etliche Gespräche
mit dem 97-Jährigen auf Video. Das Ergebnis:
Frank sei tief in den Holocaust verstrickt.
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft hat gegen
Frank, der im Rhein-Main-Gebiet lebt, Ermittlungen
eingeleitet.
Doch ob es je zur Anklage kommt, ist fraglich. Die Staatsanwaltschaft wurde tätig
auf der Basis von Material, das
im Dezember anonym bei der Zentralen
Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen
in Ludwigsburg einging; der Einsender
ist bisher unbekannt. Laut Oberstaatsanwältin
Doris Möller-Scheu handelt es sich
um eine Festplatte und fünf CD-ROM.
Staatsanwalt Thomas Will von der
Zentralen Stelle sagt, er habe das
Material nicht selbst ausgewertet.
Auf Basis der Vorwürfe aber, die
Gould in dem von ihm online gestellten
Material – das ist weniger umfangreich
– erhebt, sei eine Anklage unwahrscheinlich,
sagte er der Frankfurter Rundschau.
Schießbefehl
auf Juden
Es
geht vor allem um einen Befehl vom
Juli 1941 im Zusammenhang mit dem
deutschen Angriff auf die Sowjetunion,
der laut Gould die Unterschrift
Franks trägt. „Ist die Bevölkerung
rassisch oder menschlich minderwertig,
(...) so sind alle zu erschießen“,
heißt es darin laut Bild als Anweisung
an die deutschen Truppen in Weißrussland
und der Ukraine.
Geht
es nach dem, was das Boulevardblatt
aus Goulds Recherchen macht, muss
die Geschichte des Holocaust neu
geschrieben werden: Der „von Frank
unterschriebene Sonderbefehl“ sei
die erste schriftliche Anweisung
zur Ermordung von Juden, lange vor
der Wannseekonferenz am 20. Januar
1942. Es ist jedoch längst bekannt,
dass der Reichsführer der SS, Heinrich
Himmler, schon Anfang Juli 1941
die ersten Befehle erteilte, an
der Ostfront Juden zu erschießen.
Gould
behauptet auch nicht, Frank sei
der Urheber des Befehls. Er hält
zwar nur kurz eine schlechte Kopie
in die Kamera, während er andere
Papiere im Faksimile im Internet
dokumentiert. Doch schon dabei ist
zu erkennen, dass die Unterschrift
Franks mit dem Zusatz „f. d. R.“
versehen ist – „für die Richtigkeit“.
Rechts darüber steht „gez. H. Himmler“,
ohne handschriftliche Signatur.
Frank sagt im Video: „Das ist ein
Himmler-Befehl, den ich nur bestätigt
habe.“ Dem damaligen SS-Hauptsturmführer
– das Äquivalent zum Hauptmann der
Wehrmacht – hätte auch kaum mehr
zugestanden, als die Richtigkeit
der Abschrift zu quittieren. Gould
hat mit jüdischen Angehörigen seines
Stiefvaters – er selbst hat, im
Gegensatz zur Bild-Darstellung,
nie behauptet, Jude zu sein – Frank
in den USA auf Schadenersatz verklagt.
In der Klageschrift, die der FR
vorliegt, wird ausführlich versucht,
das Kürzel „f. d. R.“ mit möglichst
viel Bedeutung aufzuladen.
Goulds
Geschichte über den angeblich ranghöchsten
noch lebenden SS-Offizier hatte
schon im Dezember in israelischen,
britischen und US-Medien für Wirbel
gesorgt. Die New York Times bezeichnete
den von Bild sogenannten „Historiker“
als College-Abbrecher und Sammler
von NS-Memorabilia. Efraim Zuroff
vom Wiesenthal-Center in Jerusalem
zweifelte im Guardian an den Motiven
Goulds. Auch andere Medien unterstellten
ihm, es vor allem auf Öffentlichkeit
abgesehen zu haben. Gould hat seine
Indizien auf der Website eines Internet-TV-Senders
veröffentlicht. Strafanzeige in
Deutschland hat er nicht erstattet.
Von
Enttarnung keine Rede
Davon,
dass Frank „unerkannt“ in der Nähe
von Frankfurt lebte, wie mehrere
Medien jetzt im Gefolge der Bild
schreiben, kann keine Rede sein.
Er trägt seinen richtigen Namen
und hat mehrere Bücher veröffentlicht,
vor allem über seine Zeit als letzter
Befehlshaber von Adolf Hitlers Alpenresidenz
auf dem Obersalzberg. Die Ermittler
des Landeskriminalamtes Wiesbaden
wollen nun unter anderem in Militärarchiven
prüfen, wo Frank sich zu welcher
Zeit des Krieges befand, sagte Möller-Scheu
der FR. Das werde einige Wochen
dauern. Erst dann will die Behörde
Frank kontaktieren.
Frank
nennt Himmler, zu dem er nach eigenen
Angaben ein gutes Verhältnis hatte,
in Goulds Videos einen „guten Mann“.
Die Juden, sagt er , „haben ihren
Teil zur Unterdrückung der Deutschen
beigetragen und sich damit ihr eigenes
Grab geschaufelt“.
Dass
eine mögliche Verwicklung Franks
in den Holocaust nie geprüft wurde,
liegt wohl auch daran, dass die
Unterlagen zu Himmlers Kommandostab
lange unzugänglich in Archiven in
der damaligen Tschechoslowakei lagen.
Als Mitglied von Himmlers Kommandostab
dürfte er den Krieg kaum völlig
schuldlos hinter sich gebracht haben.
Die Berichterstattung à la Bild
aber trägt wenig zur Wahrheitsfindung
bei.
fr-online.de
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