23.02.2011 fr-online.de
Himmlers Helfer

Für die Bild-Zeitung ist die Sache klar: „Jude tarnt sich als Neonazi und überführt SS-Mörder“, titelt das Blatt. Die Beweislage gegen den im Rhein-Main-Gebiet lebenden Bernhard Frank ist allerdings sehr dünn.

Frankfurt –
Was für eine Story: „Jude tarnt sich als Neonazi und überführt SS-Mörder.“ Ein gefundenes Fressen für die Bild-Zeitung. Mark Gould, ein 43-jähriger Kalifornier, gab sich nach eigener Darstellung vier Jahre lang als Rechtsextremist aus und erlangte so das Vertrauen des ehemaligen SS-Obersturmbannführers Bernhard Frank. Er dokumentierte etliche Gespräche mit dem 97-Jährigen auf Video. Das Ergebnis: Frank sei tief in den Holocaust verstrickt. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft hat gegen Frank, der im Rhein-Main-Gebiet lebt, Ermittlungen eingeleitet.

Doch ob es je zur Anklage kommt, ist fraglich. Die Staatsanwaltschaft wurde tätig auf der Basis von Material, das im Dezember anonym bei der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg einging; der Einsender ist bisher unbekannt. Laut Oberstaatsanwältin Doris Möller-Scheu handelt es sich um eine Festplatte und fünf CD-ROM. Staatsanwalt Thomas Will von der Zentralen Stelle sagt, er habe das Material nicht selbst ausgewertet. Auf Basis der Vorwürfe aber, die Gould in dem von ihm online gestellten Material – das ist weniger umfangreich – erhebt, sei eine Anklage unwahrscheinlich, sagte er der Frankfurter Rundschau.

Schießbefehl auf Juden

Es geht vor allem um einen Befehl vom Juli 1941 im Zusammenhang mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, der laut Gould die Unterschrift Franks trägt. „Ist die Bevölkerung rassisch oder menschlich minderwertig, (...) so sind alle zu erschießen“, heißt es darin laut Bild als Anweisung an die deutschen Truppen in Weißrussland und der Ukraine.

Geht es nach dem, was das Boulevardblatt aus Goulds Recherchen macht, muss die Geschichte des Holocaust neu geschrieben werden: Der „von Frank unterschriebene Sonderbefehl“ sei die erste schriftliche Anweisung zur Ermordung von Juden, lange vor der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942. Es ist jedoch längst bekannt, dass der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, schon Anfang Juli 1941 die ersten Befehle erteilte, an der Ostfront Juden zu erschießen.

Gould behauptet auch nicht, Frank sei der Urheber des Befehls. Er hält zwar nur kurz eine schlechte Kopie in die Kamera, während er andere Papiere im Faksimile im Internet dokumentiert. Doch schon dabei ist zu erkennen, dass die Unterschrift Franks mit dem Zusatz „f. d. R.“ versehen ist – „für die Richtigkeit“. Rechts darüber steht „gez. H. Himmler“, ohne handschriftliche Signatur. Frank sagt im Video: „Das ist ein Himmler-Befehl, den ich nur bestätigt habe.“ Dem damaligen SS-Hauptsturmführer – das Äquivalent zum Hauptmann der Wehrmacht – hätte auch kaum mehr zugestanden, als die Richtigkeit der Abschrift zu quittieren. Gould hat mit jüdischen Angehörigen seines Stiefvaters – er selbst hat, im Gegensatz zur Bild-Darstellung, nie behauptet, Jude zu sein – Frank in den USA auf Schadenersatz verklagt. In der Klageschrift, die der FR vorliegt, wird ausführlich versucht, das Kürzel „f. d. R.“ mit möglichst viel Bedeutung aufzuladen.

Goulds Geschichte über den angeblich ranghöchsten noch lebenden SS-Offizier hatte schon im Dezember in israelischen, britischen und US-Medien für Wirbel gesorgt. Die New York Times bezeichnete den von Bild sogenannten „Historiker“ als College-Abbrecher und Sammler von NS-Memorabilia. Efraim Zuroff vom Wiesenthal-Center in Jerusalem zweifelte im Guardian an den Motiven Goulds. Auch andere Medien unterstellten ihm, es vor allem auf Öffentlichkeit abgesehen zu haben. Gould hat seine Indizien auf der Website eines Internet-TV-Senders veröffentlicht. Strafanzeige in Deutschland hat er nicht erstattet.

Von Enttarnung keine Rede

Davon, dass Frank „unerkannt“ in der Nähe von Frankfurt lebte, wie mehrere Medien jetzt im Gefolge der Bild schreiben, kann keine Rede sein. Er trägt seinen richtigen Namen und hat mehrere Bücher veröffentlicht, vor allem über seine Zeit als letzter Befehlshaber von Adolf Hitlers Alpenresidenz auf dem Obersalzberg. Die Ermittler des Landeskriminalamtes Wiesbaden wollen nun unter anderem in Militärarchiven prüfen, wo Frank sich zu welcher Zeit des Krieges befand, sagte Möller-Scheu der FR. Das werde einige Wochen dauern. Erst dann will die Behörde Frank kontaktieren.

Frank nennt Himmler, zu dem er nach eigenen Angaben ein gutes Verhältnis hatte, in Goulds Videos einen „guten Mann“. Die Juden, sagt er , „haben ihren Teil zur Unterdrückung der Deutschen beigetragen und sich damit ihr eigenes Grab geschaufelt“.

Dass eine mögliche Verwicklung Franks in den Holocaust nie geprüft wurde, liegt wohl auch daran, dass die Unterlagen zu Himmlers Kommandostab lange unzugänglich in Archiven in der damaligen Tschechoslowakei lagen. Als Mitglied von Himmlers Kommandostab dürfte er den Krieg kaum völlig schuldlos hinter sich gebracht haben. Die Berichterstattung à la Bild aber trägt wenig zur Wahrheitsfindung bei.

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