Es
ist eines der letzten großen Verfahren wegen Verbrechen
im Zweiten Weltkrieg, nun sprachen die Richter ein unerwartetes
Urteil: Der 97-jährige Sandor Kepiro ist vom Vorwurf
des Mordes freigesprochen worden. Der Prozess zeigt, wie
schwer die Aufarbeitung der Gräueltaten von damals ist.
Budapest - Der wegen Nazi-Kriegsverbrechen in Budapest angeklagte
Ungar Sandor Kepiro ist am Montag in erster Instanz freigesprochen
worden. Die Staatsanwälte hatten dem 97-Jährigen
einstigen Polizeioffizier Kepiro vorgeworfen, für die
Ermordung von 36 Menschen in der serbischen Stadt Novi Sad
im Jahr 1942 verantwortlich zu sein. Die Region war damals
von dem mit Nazi-Deutschland verbündeten Ungarn annektiert.
Dem Massaker, angelegt als drei Tage währende "Säuberung
gegen Banden", fielen neben Serben auch Sinti, Roma
und Juden zum Opfer. Insgesamt sollen mindestens 1200 Menschen
umgebracht worden sein.
Die Staatsanwaltschaft hatte eine lebenslange Haftstrafe
gefordert sowie die Übernahme der Kosten des Verfahrens
in Höhe von 4,5 Millionen Forint (16.500 Euro) durch
den Angeklagten. Kepiro hatte bestätigt, an Überfällen
beteiligt gewesen zu sein, bestritt aber jegliche Verantwortung
für die Tötungen.
Das Verfahren gegen Kepiro zeigt erneut, wie schwer die
Aufarbeitung von Verbrechen mehr als 65 Jahre nach dem Ende
des Zweiten Weltkriegs ist. In nur wenigen Fällen kann
die Anklage sich auf Zeitzeugen oder verlässliche Dokumente
stützen. Im Prozess gegen Kepiro waren Historiker als
Experten in den Zeugenstand berufen worden. Sie schätzten
die für die Anklage herangezogenen Dokumente als unvollständig
oder als schlecht übersetzt ein.
Bereits 1944 und 1946 war Kepiro von ungarischen Gerichten
angeklagt worden und im zweiten Verfahren in Abwesenheit
zu 14 Jahren Haft verurteilt. Die Urteile wurden jedoch nie
vollstreckt, weil Kepiro über Österreich nach Argentinien
geflüchtet war. Dort lebte er fast 50 Jahre. 1996 kehrte
er nach Ungarn zurück und lebte in einer Wohnung gegenüber
der Großen Synagoge in Budapest. Der Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums,
Efraim Zuroff, hatte ihn dort 2006 aufgespürt.
Kepiro war auf Platz eins in der im Mai 2011 aktualisierten
Liste der meistgesuchten NS-Kriegsverbrecher, die das Wiesenthal-Zentrum
herausgibt. In der vorherigen Liste vom April 2008 war er
nach Aribert Heim und John Demjanjuk die Nummer drei der
meistgesuchten NS-Verbrecher. 2009 wurde bekannt, dass Heim
bereits 1992 gestorben war. Demjanjuk war im Mai 2011 in
München verurteilt worden . So rutschte Kepiro auf Platz
eins der Liste.
Zuroff, der dem Prozess beigewohnt hatte, bezeichnete
das Urteil als "Skandal". Die Entscheidung
des Gerichts verhöhne die Opfer des Massakers,
sagte er beim Verlassen des Saals. Die Staatsanwaltschaft
wolle gegen das Urteil in Berufung gehen, sagte
er.
Die Urteilsverkündung sollte am Dienstag
fortgesetzt werden. Sie wurde auf zwei Tage aufgeteilt,
weil sich der Angeklagte aus Gesundheitsgründen
täglich nur sehr kurz konzentrieren kann.
Kepiro war aus einem Krankenhaus von Sanitätern
in den Gerichtssaal gebracht worden. Auch während
der Urteilsverkündung hing er an einem Infusionstropf
und wurde nach 15 Minuten wieder in die Klinik
zurückgebracht, berichtete die ungarische
Nachrichtenagentur MTI.
spiegel.de
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