Budapest
(RP). Mit einem fragwürdigen Freispruch endete gestern
einer der letzten großen NS-Prozesse in Ungarn. Die
Staatsanwaltschaft, die in Berufung gehen will, hatte dem
97-jährigen Sandor Kepiro vorgeworfen, an Massenmorden
und Judendeportationen beteiligt gewesen zu sein. Als der
Richter das Urteil verkündete, brachen rund zwei Dutzend
Sympathisanten der rechtsextremen Szene in Jubel aus. Kepiro
saß regungslos im Rollstuhl. Der Richter will die Begründung
des Freispruchs heute nachliefern.
Beim Prozessauftakt am 5. Mai hatte Kepiro die Anschuldigungen
energisch bestritten. Ein paar Wochen später erinnerte
er sich an nichts mehr; der Anwalt wollte seinen Mandanten
für dement erklären lassen. Doch ebenso betagte
Zeugen beschrieben ihn als beflissenen Vollstrecker nazistischer
Rassenpolitik. Die Anklage warf Kepiro vor, am 23. Januar
1942 in Novi Sad, der Hauptstadt der an Ungarn grenzenden
nordserbischen Provinz Vojvodina, als Gendarmerieoffizier
mit einer Patrouille an der Ermordung von 1246 Juden, serbischen
Partisanen und Zigeunern teilgenommen zu haben. Außerdem
soll er 1944 an der Deportation ungarischer Juden beteiligt
gewesen sein. Die Nazis verhalfen Kepiro zur Flucht nach
Argentinien. In Jugoslawien wurde er in Abwesenheit zum Tode
verurteilt. 1996 kehrte er nach Ungarn zurück.
Efraim Zuroff, Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem,
der Kepiro 2006 ausgerechnet im Budapester Judenviertel aufspürte,
nannte den Freispruch einen Skandal und eine Beleidigung
für die Opfer.
Das Urteil ist politisch brisant. Seit seiner Machtübernahme
im Mai 2010 hat der nationalkonservative Premier Viktor Orban
sämtliche Staatsorgane auf seine Linie gebracht, auch
die Justiz.
Der Freispruch Kepiros entspricht jedenfalls Orbans revisionistischem
Geschichtsbild, wonach Ungarn eine "Opfernation" sei,
die keinerlei Schuld an Verbrechen während der deutschen
Besetzung trage. Die historisch verbürgte Kollaboration
des faschistischen ungarischen Horthy-Regimes mit den Nazis
wird schlicht bestritten.
Orban nennt den von 1920 bis 1944 amtierenden Reichsverweser
Miklos Horthy sein Vorbild. Dazu passt es schlecht, dass
unter dessen Regime rund 440 000 ungarische Juden nach Auschwitz
deportiert wurden. Um die eigene Regierungspartei Fidesz
zu entlasten, überlässt Orban die Stimmungsmache
für die "Opfernation" der rechtsextremen Jobbik
(Besseres Ungarn). Die für ihre Roma-Feindlichkeit bekannte,
drittstärkste Parlamentspartei stellte den Anwalt Kepiros
und übernahm auch das Honorar.
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