Efraim
Zuroff vom Jerusalemer Simon Wiesenthal Center ist berühmt
geworden als sogenannter Nazijäger. Beständig arbeitet
er gegen die Umdeutung der Schoah.
Man denkt, der Mann müsse bei vielen extrem verhasst
sein. Aber es umzingeln einen keine Bodyguards, wenn man
sich mit Efraim Zuroff trifft. "Wahrscheinlich war ich
in meinem Job nicht erfolgreich genug", witzelt er.
Zuroff ist Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem,
und sein Job besteht darin, Naziverbrecher aus dem Zweiten
Weltkrieg aufzuspüren.
Das macht er jetzt seit 25 Jahren. Mit dem Ausfindigmachen
eines Verdächtigen ist es noch lange nicht getan: Es
braucht einen Staatsanwalt, der eine Klage formuliert, ein
Gericht, das ein Urteil spricht, und Angeklagte, die verhandlungsfähig
sind und bleiben. "Das größte Problem ist
aber, dass es am politischen Willen fehlt, diese Leute vor
Gericht zu bringen", so Zuroff.
Das gelte so ziemlich für alle Länder, in denen
sich die Kriegsverbrecher aufhalten; positive Ausnahmen seien
gegenwärtig nur USA, Italien und Deutschland. "Teilweise",
schiebt Zuroff rasch nach und zählt unerledigte Fälle
auf, ganz als erschrecke ihn sein Lob für das Land der
Täter.
Gestern hat er auf einer Pressekonferenz in Berlin die "Operation
Last Chance II" vorgestellt. Fast euphorisch äußert
er sich über die Urteilsbegründung im Münchner
Demjanjuk-Prozess. Es gebe nun neue Möglichkeiten, all
jene zu verurteilen, die in Einsatzgruppen oder Wachmannschaften
von Vernichtungslagern gedient hatten. Demjanjuk war im Frühjahr
wegen seines Dienstes im Todeslager Sobibór verurteilt
worden, einen individuellen Schuldnachweis hielt das Gericht
nicht für erforderlich.
Die Aufenthaltsorte von 3.000 bis 4.000 mutmaßlichen
Nazis hat das Zentrum ausfindig gemacht. Dreißig davon
wurden verurteilt. Aber das, betont Zuroff, sei nicht der
einzige Maßstab für den Erfolg seiner Arbeit.
Die Wut erklären
Zuroff wurde 1948 in New York geboren. Mit dem
Holocaust kam er erstmals in Berührung,
als ihn seine Mutter im Alter von 12 Jahren vor
den Fernseher zitierte, damit er sich den Eichmann-Prozess
ansehe. "Ich hatte keine Ahnung, wer das
war." Überhaupt hätten die Juden
in Amerika kaum über den Holocaust gesprochen.
Das änderte sich schlagartig mit dem Sechstagekrieg
im Juni 1967. Als er eine Grafik mit einem Kräftevergleich
der israelischen Armee und der arabischen Armeen
sah, war seine spontane Reaktion: "Oh mein
Gott, das wird ein neuer Holocaust."
Das Gefühl, persönlich mitbedroht
zu sein, beschreibt Zuroff als überwältigend.
Also ging er nach Israel. Dort studierte er Geschichte
und kehrte kurzzeitig in die USA zurück,
wo er 1978 Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums
in Los Angeles wurde. Das Büro für
Sonderermittlungen innerhalb des US-Justizministeriums
engagierte ihn, um bei der Suche nach in die
USA eingewanderten Nazis zu helfen. Jüdische Überlebende
- Zeugen also - sprachen lieber mit ihm als einer
offiziellen Behörde.
Endgültig zum sogenannten Nazijäger
gemacht hatte ihn 1986 ein eher zufälliger
Blick in die bis dahin wenig beachteten Unterlagen
des Internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes.
Zuroff bemerkte, dass sehr viele der 16 Millionen
Einträge Soldaten betrafen, inklusive Hinweisen
auf etwaige Auswanderungsziele. Er glich die
Namen von zunächst 49 lettischen und litauischen
Kriegsverbrechern, die er recherchiert hatte,
ab - und landete 16 Treffer. "Das war eine
Goldmine. Innerhalb von fünf Minuten konnte
ich herausfinden, wohin ein Naziverbrecher ausgewandert
war. Da hatte ich das Gefühl, ein Nazijäger
zu sein."
Die gute Laune, die Zuroff trotz seiner häufig
frustrierenden Tätigkeit auszeichnet, vergeht
ihm schlagartig, wenn er über Osteuropa
redet. Da weiß er kaum, wo er anfangen
soll, um seine Wut zu erklären. Zum Beispiel
die Ukraine: "Voller Kriegsverbrecher, aber
nicht ein einziger ist verurteilt worden." Oder
Litauen, das Land seiner Vorfahren: "Da
tun sie alles Mögliche, um zu verhindern,
dass ein Naziverbrecher bestraft wird."
Jene Länder, in denen es Zehntausende von
Holocaust-Helfern gab, versuchen, sich ausschließlich
als Opfer darzustellen - als Opfer der Sowjets. "Deswegen
wird die Lüge verbreitet, dass Kommunismus
das Gleiche ist wie Nazismus", wodurch der
Holocaust relativiert werde. Das ist das Programm
der "Prager Deklaration" aus dem Jahr
2008, zu deren Unterzeichnern neben osteuropäischen
Politikern auch der SPD-Mann Joachim Gauck gehört.
Zuroff sagt: "Zum Glück wurde der nicht
Präsident."
Volkspädagogisches Projekt
Hinzu kommt das Ignorieren des Jüdischseins
der Opfer, worin sich die postkommunistischen
Staaten an der sowjetischen Vergangenheit orientieren:
Das Okkupationsmuseum in Riga erkläre heute,
jüdische Letten seien von den Nazis ermordet
worden, weil sie Letten waren. Früher habe
es stets geheißen, die bourgeoisen Hitlerfaschisten
hätten "friedliebende Sowjetbürger" ermordet
- "das ist Bullshit", entzürnt
sich Zuroff.
Seit 20 Jahren versuche er, das litauische Volk
zu motivieren, "der Geschichte ins Auge
zu blicken - und ich habe versagt, komplett versagt." Und
da kommt Zuroff wieder zur Nazijagd, die für
ihn nicht nur eine Sache der Gerechtigkeit ist,
sondern ein gewissermaßen volkspädagogisches
Projekt:
Es gebe kein besseres Mittel, um historische
Debatten anzustoßen, als Leute vor Gericht
zu stellen, die in der eigenen Bevölkerung
eigentlich als unschuldig oder gar als Helden
gelten. Die osteuropäischen Staaten verpassten
jetzt ihre beste Chance, ihren Bevölkerungen
etwas über den Holocaust beizubringen. Stattdessen
blocken sie ab: Einer wie Zuroff gilt dort als
russisch-jüdisch-kommunistischer Agent.
Hat eigentlich wenigstens einmal ein aufgespürter
Kriegsverbrecher echte Reue gezeigt? "Nie".
Nicht einmal die Standardausreden - "ich
war jung, ich war dumm, ich habe Fehler gemacht" -
habe er zu hören bekommen. Nicht ein einziges
Mal.
In nicht allzu ferner Zukunft werden die letzten überlebenden
Nazis gestorben sein. Die "Nazijagd" sei
ja, entgegen der öffentlichen Wahrnehmung,
gar nicht seine Haupttätigkeit, eröffnet
Zuroff. "Was ich in Zukunft tun will, ist
Bildungsinstrumente zu entwickeln", speziell
für Osteuropa. Auch im Westen liege vieles
im Argen, weil der Holocaust umgedeutet werde.
Zuroff zählt auf und redet sich in Rage: Über
die Darstellung von Israel, über Tierrechtler,
die von Hühner-KZ schwadronieren, und Abtreibungsgegner
- alle nutzten die Bilder des Holocaust, und
heraus komme dessen völlige Entwertung.
Arbeitslos wird Zuroff nicht werden.
taz.de
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